Chronik | Tenti Prozess

Der Fotograf

Dalle-Nogare-Verteidiger Carlo Bertacchi versucht, die gesamte Ermittlung als Fehlgriff hinzustellen und betreibt vor Gericht Medienschelte. Das Urteil fällt am 21. Mai.
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Foto: Othmar Seehauser
Obwohl er selbst nicht mehr der Jüngste ist, hat sich sein Spitznamen gehalten: „Il principino del foro“. 
So nennt man in Gerichtskreisen den Bozner Strafverteidiger Carlo Bertacchi. Bertacchi ist bei einem wirklich großen Bozner Anwalt und Menschen in die Lehre gegangen: Arnaldo Loner. Heute ist er der Kopf der Kanzlei, die sein Mentor aufgebaut hat.
Wer den eleganten, langhaarigen (der Autor dieser Zeilen darf sich dieses Adjektiv erlauben) Anwalt vor Gericht erlebt, versteht warum. Carlo Bertacchi ist versiert, gescheit, ein ausgezeichneter Jurist und ein sehr guter Redner. Vor allem aber kehrt er nicht nur in der Aula allzu gern eine Eigenschaft hervor, die ein guter Strafverteidiger wohl braucht: Arroganz.
Wenn Carlo Bertacchi redet, dann versteht er es, die Aufmerksamkeit im Gerichtssaal auf sich zu lenken. Die drei Richter Carlo Busato, Stefan Tappeiner und Ivan Perathoner verfolgen mit größter Aufmerksamkeit jede Regung, die der Anwalt des Bozner Unternehmers Antonio Dalle Nogare macht.
Dabei stellt sich jedem neutralen Beobachter spätestens im Schlussplädoyer am Freitagvormittag eine einfache Frage. Wen verteidigt Carlo Bertacchi eigentlich? Dalle Nogare oder Katiusca Tenti?
Denn der Dalle-Nogare-Anwalt ergriff in seinem Plädoyer so leidenschaftlich für die ehemalige Ressortdirektorin Partei, dass man fast glauben möchte, das sei seine Hauptaufgabe. In Wirklichkeit ist es Strategie. Obwohl die private Beziehung zwischen den beiden Angeklagten seit Sommer 2018 beendet ist, weiß die Verteidigung, dass die Positionen Dalle Nogares und Tentis in diesem Verfahren derart verwoben sind, dass es nur einen gemeinsamen Weg heraus gibt. 
Deshalb redet Bertacchi an diesem Vormittag auch weit  mehr über Tenti als über seinen Klienten Dalle Nogare. 
 

Illegale Abhörungen

 
Es war in diesem Prozess eine Konstante: Von Anfang an hat Carlo Bertacchi alles versucht, um die Ergebnisse der Abhörungen und der Lauschangriffe für nicht zulässig zu erklären. Er ist dabei mit mehreren Anträgen beim Richtersenat gescheitert.
Im Schlussplädoyer greift der Anwalt hier konsequent wieder an. Die ROS-Ermittler hatten das Handy von Katiusca Tenti mit einem Trojaner zur Wanze verwandelt. Damit konnten sie Gespräche in Echtzeit mithören. Zudem hatte man in den Computer von Dalle Nogare eine Software eingebaut, die alle zwei Sekunden ein Bildschirmfoto übermittelte. Damit konnte die Staatsanwaltschaft einen Königsbeweis in diesem Verfahren präsentieren: Katiusca Tenti und Antonio Dalle Nogare, die im Porsche Cayenne des Bauunternehmers die geheimen Unterlagen zur Wobi-Ausschreibung auf dem Laptop anschauen, aber verbal so tun, als würden sie Urlaubsfoto anschauen. „Schau, wie die Esel nett sind“, spielte Katjuscia Tenti dabei gekonnt Theater. Sie ahnte oder wusste, dass sie abgehört wird.
 
 
Dazu kommt, dass die beiden Angeklagten bewusst vercodiert sprachen. So erklärt Tenti in diesem Gespräch, dass man am selben Tag noch zum „Fotograf“ gehen müsse. Der Fotograf, das merken die Ermittler wenig später, war Anwalt Carlo Bertacchi, dessen Kanzlei das Duo noch am selben Tag aufsuchte.
Es ist einer der Anlässe, den der Strafverteidiger am Freitag dazu nutzt, um die Stimme zu erheben und prinzipielle Zweifel am italienischen Rechsystem zu äußern. Verständlichweise durften die Gespräche zwischen den Angeklagten und ihrem Anwalt von den Ermittlern weder angehört noch genutzt werden. „Welche Garantie habe ich, dass die Staatsanwaltschaft den Inhalt dieser vertraulichen Gespräche in meiner Kanzlei nicht doch genutzt hat?“, tönt Bertacchi durch den Gerichtssaal. Zweifel säen ist eine Hauptaufgabe jedes guten Strafverteidigers.
Überhaupt sind nach Carlo Bertacchi alle Abhörungen nicht rechtmäßig. Der Grund: Es gehe aus den Akten nicht hervor, wo sie gemacht wurden. „Ich weiß bis heute nicht, wo Dalle Nogare und Tenti waren, als sie die Unterlagen auf dem Laptop angeschaut haben“, meint der Anwalt. Sein Klient könnte darüber zwar Aufschluss geben, hat es aber vorgezogen, in diesem Prozess nicht aufzutreten und zu schweigen.
Weil es für mehrere zentrale Abhörungen keine genauen örtlichen Angaben gebe, müssten sie aus diesem Prozess ausgeschlossen werden, meint Bertacchi.
Der Strafverteidiger dürfte diese Argumente am Freitag vor allem in Hinblick auf eine mögliche Berufungsverhandlung lanciert haben.
 

Keine Straftat

 
Breiten Raum nehmen in Bertacchis Plädoyer technische Rechtsfragen ein. Wie schon sein Vorredner Adriano Raffaeli, der ebenfalls Antonio Dalle Nogare verteidigt, erklärt Bertacchi, dass die Staatsanwaltschaft gravierende Fehler in der Anklageerhebung gemacht habe.
Auch hier ist die Verteidigungslinie klar. Zum einen seien die übermittelten Dokumente keineswegs geheim gewesen, zum anderen hätten die Änderungen dem Bauunternehmer keinen Vorteil gebracht.
Auch Carlo Bertacchi bemüht sich an diesem Vormittag, die ganze Geschichte so aussehen zu lassen, als hätten zwei Verliebte ein bisschen zuviel getratscht. Mehr nicht. Dass es sich dabei um einen öffentlich Auftrag im Wert von rund 25 Millionen handelt und dass Dalle Nogares Vater Angelo genau in diesem Fall bereits wegen versuchter Bestechung einem gerichtlichen Ausgleich zugestimmt hat, bleibt außen vor.
Auch Carlo Bertacchi bemüht sich an diesem Vormittag, die ganze Geschichte so aussehen zu lassen, als hätten zwei Verliebte ein bisschen zuviel getratscht. Mehr nicht.
Bertacchi pocht darauf, dass es in den Akten keinen einzigen Beweis gebe, dass Antonio Dalle Nogare Katiusca Tenti gebeten oder angestiftet habe, ihm Unterlagen oder Insiderinformationen zu übermitteln. Deshalb sei der Bauunternehmer auch voll freizusprechen.
 

Böses Salto

 
Es ist kein Geheimnis, dass sich Carlo Bertacchi gern in den Zeitungen sieht.
Am Freitag nutzte der Bozner Strafverteidiger  sein Schlussplädoyer dennoch auch für eine genüssliche Medienschelte.
Es gab hier einen Parallelprozess in den Zeitungen“, konstatiert Carlo Bertacchi. Alle unbedachten Äußerungen der Angeklagten seien allein darauf zurückzuführen. Sein besonderes Ziel dabei: Salto.bz und der Autor dieser Zeilen. So behauptet Carlo Bertacchi: „Das geht soweit, dass wir die Abhörung zwischen Tenti und Cuno Tarfusser zuerst auf Salto lesen und hören konnten, bevor wir sie hier im Prozess hatten“.
Schaut man sich die Fakten und Daten an, so entspricht das keineswegs den Tatsachen. Salto.bz hat nie – wie von Bertacchi öffentlich unterstellt – in irgendeinem Fall das Untersuchungsgeheimnis verletzt. Alle Dokumente wurden erst veröffentlicht, nachdem sie im öffentlichen Strafprozess zur Sprache kamen.
Das weiß der Bozner Strafverteidiger genau. Doch auch hier geht es darum, eine Nebelkerze zu werfen.
Es fehlt nur noch eine Instant Book zu diesem Fall“, meint Carlo Bertacchi in seiner Rede vor Gericht sarkastisch und fügt zum Verständnis hinzu: „So wie es bei anderen Prozessen schon gemacht wurde“.
Fast möchte man meinen, er und die Angeklagten hätten Angst davor. Was noch nicht geplant ist, kann aber noch werden.
Der Prozess jedenfalls geht am 21. Mai weiter. An diesem Tag wird es die Repliken geben, und dann wird der Richtersenat das Urteil fällen.