Männlichkeit mit Haken
-
Dass „Uno sguardo dal ponte“ oder „A View from the Bridge“, ein Stück (’55 uraufgeführt, ’56 in revisionierter Fassung) bzw. Film (’62) von Arthur Miller, uns in eine verschollene Welt entführt, ist Teil der Erzählung, explizit ausformuliert durch Erzähler und Anwalt Alfieri (Michele Nani). Genannt seien beide Versionen Millers, da die gegenwärtige Inszenierung durchaus auch mit filmischem Flair arbeitet. Die Brücke, die gemeint ist, ist die im Bühnenbild nur angedeutete Brooklyn Bridge und unser Fokus richtet sich auf den Hafenstadtteil „Red Hook“ in West Brooklyn. Der „rote Haken“ soll noch eine Rolle spielen. Zeitlich bewegen wir uns hier wohl auf das Ende des alten „Amerikanischen Traums“ zu, an den Menschen, besonders aus anderen Ländern nach Amerika kommend, Mitte des 20. Jahrhunderts noch zu glauben vermochten.
Die Hauptfiguren unseres Stücks, welche in diese Noir-Vision eines halbmythologischen-halbhistorischen (als Erinnerung Alfieris gerahmt) New Yorks gesetzt wurden, sind eine Italo-Amerikanische Familie und deren Cousins aus Sizilien, die zu Beginn des Stückes noch erwartet werden. Sie bewegen sich in einer angemessen (abgesehen von zu vielen Stühlen, Bühne: Marco Rossi) spartanisch eingerichteten Wohnung bei atmosphärisch stimmungsvoll schummrigem Licht (Gianni Pollini).
Bereits in Amerika angekommen sind das von Popolizio gespielte Familienoberhaupt (auf den passenden Begriff Patriarch verzichtet man) Eddie, dessen Frau Beatrice (Valentina Sperlì) und deren verwaiste Nichte Catherine (Gaja Masciale). Während Eddie stark spielte, aber auf der Bühne im sizilianischen Duktus oft Worte verschluckte (eine Feststellung, welche hinter dem Redakteur auch zwei Muttersprachler machten) und aus heutiger Sicht mehr ein Antiheld als ein Protagonist mit Identifikationspotential ist, können Sperlì und Masciale in ihren Rollen vorbehaltlos überzeugen.
Im Zentrum des ca. 90-minütigen Stückes steht neben der dichten Atmosphäre, zu welcher auch zahlreiche auf der Bühne abgespielte Italo-Amerikanische Schallplatten Singles beitragen (Sound: Alessandro Saviozzi), vor allem die Beziehung des Ziehvaters Eddie zu seiner 17 Jahre jungen Adoptivtochter Catherine. Diese, von Masciale anfänglich auf der Schwelle zwischen Kind und Erwachsene gespielte Figur, gewinnt Zeit des Stückes zusehends an Selbstvertrauen und Bestimmtheit.
-
Auf der Seite des Familienvaters erleben wir dagegen eine Regression, deren Katalysator die Ankunft der illegal immigrierten Cousins Marco (Raffaele Esposito) und des jungen, „normannisch“-blonden Rodolfo (Lorenzo Grilli), ist. Die behütetst aufgewachsene Tochter von der sich ihr Vater schwer trennen kann verliebt sich recht prompt in den Neuankömmling, der mit ihr nun unter einem Dach wohnt. Für Eddie ist er „nicht der richtige“ und der hartarbeitende, seine eigenen Bedürfnisse hintanstellende Patriarch wird zusehends possessiver.
Homophobe Untertöne, wie der Kuss den Eddie Rodolfo abzwingt, der gerne Sänger wäre und auch gern tanzt, was nicht ins Männlichkeitsbild des Familienoberhaupts passt, werden eine Ebene tiefer gestellt als in den Millerschen Originalen und bleiben vager. Es setzt das Stück andernorts stärker auf eine epochengetreue Darbietung, besonders in Männlichkeitsverständnis und Ehrgefühl. Aus heutiger Sicht ist das teils schwer auszusitzen, auch da sich hier kritisch über heutige Rollenverhältnisse hätte nachdenken lassen, was zu wenig Raum erhält. Anwalt Alfieri beteuert stattdessen mehrfach als Stimme der Vernunft und des Gesetzes, dass dies eine gänzlich andere Zeit gewesen sei, während der Konflikt auf der Bühne eskaliert und es schließlich zu einem recht abrupten, sicherlich nicht für jeden zufriedenstellendem Ende des Stücks kommt. Popolizio geht dabei ganz und gar in einem überholten Männerbild auf und gibt sich der tragischen Funktion des Antihelden hin, samt unverständlichem Poltern in sizilianischem Italienisch, das einen Teil der Schlussworte verschluckt.
Wir bleiben sicher, die Realität der Bühne wird uns als eine der unseren ferne präsentiert. Alfieri betritt noch einmal die Bühne und versichert uns, dass das nun unsere Geschichte gewesen sei. Bei der Wahl des Musikstücks für den Schlussapplaus vergreift man sich, meines Erachtens nach nochmals, da man statt seiner bis dahin stilsicheren Italo-Amerikanischen Musiklinie und Atmosphäre auf Amy Winehouses „You know I’m no good“ setzt - Noir ja, Italienisch und/oder Amerikanisch nein. Es bleibt ein handwerklich solides, auf Hochglanz poliertes Stück, das zwischen zu vielen Stühlen künstlerisch nicht ganz überzeugen, durchaus aber unterhalten kann.
-
„Uno Sguardo dal ponte“, eine Koproduktion der Compagnia Umberto Orsini, Teatro di Roma, Emilia Romagna Teatro ERT, die zu Gast beim Teatro Stabile di Bolzano ist, ist noch heute - Samstagabend um 19 Uhr - sowie morgen - Sonntagnachmittag um 16 Uhr - im Bozner Stadttheater zu sehen.