Chronik | Fall Gullotta

Der Schatten der Landtagswahlen

Die Entscheidung, ob gegen den italienischen Schulamtsleiter Vincenzo Gullotta das Hauptverfahren eröffnet wird, wurde auf März 2024 vertagt. Kein Zufall?
Gullotta, Vincenzo
Foto: LPA
  • Man kann die Episode als Bagatelldelikt sehen. Als kleine Verfehlung, die zwar problematisch ist, aber strafrechtlich ohne Relevanz. Oder man kann die Geschichte als Ausdruck eines Systems sehen, das auf Machtmissbrauch, Kriechertum und Günstlingswirtschaft aufgebaut aus. Ein Schulsystem, in dem es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Einfluss geht.
    Die Affäre Gullotta ist demnach auch ein Stück Südtirol, so wie man es weder in den Glanzprospekten der IDM noch in den Zeitungen eines Medienkonzern findet.

  • Operation Noten

    Ein Sohn des italienischen Haupschulamtsleiters Vincenzo Gullotta besucht 2020 die zweite Klasse der Mittelschule „Ugo Foscolo“. Wie an allen übrigen Schulen finden auch dort in der zweiten Juniwoche die Notenkonferenzen statt.
    Doch am 12. Juni 2020 passiert etwas Unvorhergesehenes. Es ist der letzte Schultag, die Zeugnisse sind längst ausgestellt. Am Nachmittag dieses Tages treffen sich die Professoren der Klasse 2F zu einer außerordentlichen Notenkonferenz. Die bereits abgeschlossene Bewertungssitzung wird neu eröffnet und das Ergebnis korrigiert. In einer Diskussion, die keine Stunde dauert, werden die Noten eines einzigen Schülers in zwei Fächern angehoben.Es handelt sich um den Sohn des Schulamtsleiters Vincenzo Gullotta. Korrigiert werden die Note im Fach Technik von 6 auf 8 und die Note im Fach Musik von 7 auf 8. Der Grund dafür: Es sei bei der Errechnung des Notendurchschnittes zu formalen Fehlern gekommen.

  • Mittelschule Foscolo: Notenkonferenz für Sohn des Schulamtsleiters wiederholt. Foto: Facebook

    Nach der offiziellen Version war es der Architekt und Technikprofessor Francesco Migliaccio, dem zuhause beim Essen mit seiner Frau - so stellt es Migliaccio anfänglich auch bei den Anhörungen vor der Gerichtspolizei dar - plötzlich aufgefallen war, dass er bei der Errechnung der Note einen Fehler gemacht habe. Migliaccio schickt sofort per Mail eine schriftliche Stellungnahme an den Direktor Franco Lever. Einen ähnlichen Bewertungsfehler habe es dann auch im Fach Musik gegeben.

  • Direktor Lever beruft noch am selben Nachmittag eine neue Notenkonferenz ein, und die beiden Noten des Gullotta-Sohnes werden korrigiert. Im Fall des Gullotta-Sprösslings betrug der Notdurchschnitt im Fach Technik 6,17 und im Fach Musik 7.
    Doch Musikprofessor Michele Di Mauro weigert sich auf der außerordentlichen Sitzung, seine Bewertung zu korrigieren. Trotz offenen Drucks der Schulverantwortlichen. Di Mauro wird schließlich von der Mehrheit im Klassenrat kurzerhand überstimmt. So wird auch die Musiknote des Gullotta-Sohnes angehoben.

  • Das Telefonat

    Dann aber kommt heraus, dass es am Vormittag des 12. Juni 2020 ein Telefonat zwischen dem Schulamtsleiter Vincenzo Gullotta und Direktor Franco Lever gegeben hat. Es ist der Corriere Dell´Alto Adige, der vier Tage nach der Notenkonferenz als erster detailliert über die Geschichte berichtet. Redakteurin Chiara Currò Dossi fragt dabei auch beim Direktor der Schule Franco Lever nach. „Ich bestreite einen solchen Anruf“, wird Lever im Corriere zitiert. Nach Erscheinen des Artikels gibt auch Vincenzo Gullotta eine kurze schriftliche Erklärung ab. Darin heißt es wörtlich: „Dass der Artikel völlig haltlos ist, nicht der Wahrheit entspricht und auf Fakten beruht, die es nie gegeben hat“.
    Diese Aussagen werden bereits am nächsten Tag widerlegt. Als SALTO einen Auszug aus dem offiziellen Protokoll der außerordentlichen Notenkonferenz veröffentlicht. Laut Protokoll habe es einen Anruf der „Familie Gullotta“ beim Direktor gegeben. Erst danach habe einer der Professoren, dessen Note beanstandet wurde, eine schriftliche Stellungnahme bei Direktor Franco Lever abgeliefert.

     

  • Offizielles Protokoll: Anruf der Familie Gullotta. Foto: tt
  • Jetzt ändert das Duo Gullotta/Lever seine Version.
    Gullotta erklärt, er habe am Morgen des 12. Juni mit Direktor Franco Lever ein Dienstgespräch geführt, bei dem es um andere Dinge gegangen sei. Während des Gesprächs habe er die gerade veröffentlichten Noten seines Sohnes gesehen und daraufhin angemerkt, dass da etwas nicht stimmen könne.
    Die Schule sei dann ohne sein Zutun tätig geworden. Gullotta bestreitet vehement, den Direktor unter Druck gesetzt zu haben. Zudem kündigt er in der Stellungnahme Klagen gegen verschiedene Medien an. Als Kronzeuge wird Technikprofessor Francesco Migliaccio aufgeboten, der dieser Version bis ins letzte Detail bestätigt.

  • Die Ermittlungen

    Die Ermittlungen der Gerichtspolizei bringen aber zu Tage, dass davon wenig wahr ist.
    Denn die Auswertung der Telefondaten ergeben, dass Direktor Lever nach dem Telefonat mit Schulamtsleiter Gullotta, mehrmals den Meraner Technikprofessor angerufen hat.
    Zudem beschlagnahmt die Gerichtspolizei das elektronische Klassenbuch. Dabei wird klar, dass der angebliche „technische Fehler“, der den beiden Professoren unterlaufen ist und der letztlich der Grund für die Notenkorrektur war, ein reine Chimäre ist.
    Denn fünf Mitschüler und Mitschülerinnen des Gullotta-Sohnes waren in genau derselben Situation. Hat der Professor einen Fehler gemacht, so auch bei diesen fünf Schülern. Doch angehoben wurde nur die Note des Sohnes des Schulamtsleiters. Über die anderen Fälle hat man nie gesprochen.
    Die Ermittlungen haben letztlich die Intervention des höchsten Südtiroler Schulbeamten in allen Facetten bestätigt. Die Staatsanwaltschaft geht sogar davon aus, dass Vincenzo Gullotta gegenüber dem Schuldirektor Franco Lever die Entsendung von Inspektoren in den Raum gestellt habe, um die Neubewertung zu erreichen.

  • Vertagte Entscheidung

    Die Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft sind seit Mai 2022 eigentlich abgeschlossen. Der ermittelnde Staatsanwalt Andrea Sacchetti stellte dem italienischen Schulamtsleiter Vincenzo Gullotta, dem Direktor der Bozner Mittelschule „Ugo Foscolo“, Franco Lever und dem Lehrer Francesco Migliaccio damals die Benachrichtigung über den Abschluss der Vorermittlungen zu. Der strafrechtliche Vorwurf: Falschbeurkundung im Amt (Art 479 StGB - Falsità ideologica commessa dal pubblico ufficiale in atti pubblici) und Anstiftung zur Vorteilsannahme (Art 319 quater StGB - Induzione indebita a dare o promettere utilità).

  • Landesgericht Bozen: 16 Monate vom Abschluss der Ermittlungen bis zur Entscheidung ob ein Hauptverfahren eingeleitet wird. Foto: Othmar Seehauser

    Weil die Verteidigung die Anhörung des Beschuldigten, sowie weiterer Zeugen beantragt, verzögert sich der definitive Abschluss der Ermittlungen um ein halbes Jahr. Im November 2022 ist es dann soweit. Doch danach ruhte das Verfahren weitere 10 Monate. Am Donnerstag sollte Voruntersuchungsrichter Ivan Perathoner jetzt entscheiden, ob – wie von der Staatsanwaltschaft gefordert - das Hauptverfahren gegen die drei Beschuldigten eröffnet wird oder ob der Fall archiviert wird, wie die Verteidigung fordert.
    Aber auch diese Verhandlung wurde heute wieder vertagt. Auf den 7. März 2024. Der offizielle Grund: Der Wechsel des Staatsanwaltes. 

  • Der ermittelnde Staatsanwalt Andrea Sacchetti wechselt Ende 2022 zuerst als Richter nach Bologna und wurde im April 2023 dann zum Richter am Verwaltungsgericht Bozen ernannt. Die Ermittlung wurden jetzt der Staatsanwältin Federica Iovene übertragen. Dieser Wechsel ist dann auch der offizielle Grund für die Vertagung. Die neue Staatsanwältin muss sich erst in den Fall einarbeiten. 
    Dabei ist seit neun Monaten klar, dass jemand in der Staatsanwaltschaft den Fall übernehmen muss.
    Vor diesem Hintergrund kann man über den eigentlichen Grund dieser weiteren Verzögerung nur mutmaßen. Der italienische Schulamtsleiter gehört zu den höchsten fünf Beamten im Landesdienst. Der italienische Schullandesrat Giuliano Vettorato hat sich von Anfang an voll hinter Vincenzo Gullotta gestellt. Vor allem aber hat Vettorato – nach Bekanntwerden der strafrechtlichen Vorwürfe und nach dem Abschluss der Ermittlungen - Gullotta demonstrativ auch noch befördert. Neben dem Amt als Schulamtsleiter wurde ihm vor einigen Monaten auch der Posten eines Ressortdirektors übertragen. 

    Eine offizielle Anklageerhebung zwei Wochen vor den Landtagswahlen wäre nicht nur für den Lega-Politiker ein SuperGAU. Deshalb dürfte man die Entscheidung verschoben haben.

    Eine offizielle Anklageerhebung zwei Wochen vor den Landtagswahlen wäre nicht nur für den Lega-Politiker ein SuperGAU. Deshalb dürfte man die Entscheidung verschoben haben. Zufällig auf einen Termin an dem die Bildung der neue Landesregierung abgeschlossen sein wird.
    Damit aber dürften die Parallelen zu einem anderen prominenten Fall augenscheinlich werden: Florian Zerzer. Auch der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes steht vor der Anklageerhebung. Auch sein Auftrag wurde trotzdem bis Februar 2024 verlängert.
    Aber Achtung: Natürlich sind das nur die Gehirngespinste gewisser Journalisten.

     

     

     

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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Fr., 06.10.2023 - 08:51

Wie ist der Stand der Verfahren gegenüber dem Direktor der Bozner Mittelschule „Ugo Foscolo“, Franco Lever und Lehrer Francesco Migliaccio?
Wurden diese Verfahren auch auf März 2024 verschoben?

Fr., 06.10.2023 - 08:51 Permalink
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Profil für Benutzer Peter Gasser
Peter Gasser Sa., 07.10.2023 - 09:50

Wenn Politik und Staatsanwaltschaft pakteln, ist die Gewaltenteilung am Ende...
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Was denkt man als Bürger zu den Bestätigungen/Beförderungen von Zerzer und Gullotta?
Offensichtlich ist DIES denen vollkommen egal, die wir wählen sollten... hierdurch entsteht ein Bruch, der zu allgemeiner Ablehnung der politischen Klasse führt.
Kein Politiker sollte noch Betroffenheit zeigen, wenn Politikmüdigkeit viral wird, und die Wahlbeteiligung nur noch sinkt...

Sa., 07.10.2023 - 09:50 Permalink