Film | SALTO Weekend

Something Wicked This Way Comes

Das populäre Broadway-Musical "Wicked" findet seinen Weg auf die Leinwand. Der Film ist ein Spektakel, aber eines, das sich dagegen wehrt, egal zu sein.
Zwei Hexen sind zu sehen
Foto: Universal
  • Universal Pictures adaptiert das seit 2003 sehr erfolgreich laufende Musical Wicked. Es basiert auf dem Buch von Gregory Maguire und wurde von Stephen Schwartz (Musik und Lyrics) und Winnie Holzman (Buch) für die Bühne verarbeitet. Regisseur Jon M. Chu hat nun die Kinofassung gedreht, was für Unwissende wohl kaum bemerkenswert ist, für Kenner*innen aber ein Grund zum Feiern. Denn anders als der Autor dieser Zeilen bis vor wenigen Wochen annahm, ist Wicked alles andere als ein Nischenmusical. Vielmehr kann es als das Paradebeispiel eines modernen Musicals gesehen werden. Es ist tief in der Popkultur verwurzelt und hat Lieder hervorgebracht, die längst ikonisch geworden sind. Wicked erzählt, das sei kurz zusammengefasst für all jene, die wie ich bislang keine Berührungspunkte mit dem Musical hatten, die Vorgeschichte zum Filmklassiker Der Zauberer von OZ. Es geht darin um die beiden Hexen Galinda und Elphaba. Erstere tritt im Film von 1939 als die gute Hexe des Nordens auf, während zweitere die böse Hexe des Westens ist. Doch Elphaba war nicht immer böse, sie wurde böse, oder war sie es jemals? Diese und weitere Fragen wirft der Film von Anfang an auf. Wir erleben, wie sich die beiden Junghexen kennenlernen, an die Universität gehen, irgendwann Freundinnen werden, die Hauptstadt und den berühmten Zauberer besuchen. 

    Wicked präsentiert sich in der Filmfassung als opulentes Musical, das an alte Zeiten anknüpft. Als das Genre in Hollywood noch groß und allgegenwärtig war. Bloß kann Regisseur Jon M. Chu heute auf technische Mittel zurückgreifen, die die Welt von OZ neu und noch detailreicher erscheinen lassen. In seiner Inszenierung orientiert er sich zwar an den Traditionen des Musical-Genres, entstaubt es aber und gibt sich dabei keineswegs nostalgisch oder rückständig. Eine entfesselte Kamera trifft auf reichhaltige Ausstattung, die sich im Szenenbild auch nicht zu viel auf visuelle Effekte verlässt, ein Kostümbild, das überwältigt, aber nicht klotzt, viele Details im Hintergrund, Anspielungen und Zitate auf den Originalfilm, ohne zur reinen Hommage zu verkommen. Dazu erklingen die Stimmen der beiden Hauptdarstellerinnen, die beide langjähriges Wissen um ihre Figuren und deren Lieder mitbringen. Die Gesangserfahrung der Popmusikerin Ariana Grande und der Schauspielerin Cynthia Erivo ist langjährig und das hört man. Nahezu mühelos schmettern sie die Melodien, der Höhepunkt steht passenderweise am Ende des Films, am Ende des ersten Akt, womit der Film endet (ein zweiter Teil wird folgen), mit dem Lied „Defying Gravity“. Es ist in der Musical-Welt längst legendär, nahezu totgespielt, in der Fassung von Erivo und Grande erhält es aber eine neue Opulenz, was vor allem an der Kombination mit der entsprechenden, bildgewaltigen Szene liegt. Wicked ist Überwältigungskino, ohne zu überfordern.

  • Foto: Universal
  • Hinter der lauten, und nur selten leisen Fassade erzählt das Musical eine Geschichte von Ausgrenzung und letztlich von Faschismus. Elphaba hat grüne Haut und wird daher diskriminiert – egal von welchen Menschen, egal welcher anderer Hautfarbe, die in unserer, realen Welt, noch immer Ziel von Rassismus wäre. Nein, in OZ ist die Farbe Grün jene der Außenseiterin. Und auch die sprechenden Tiere werden zunehmend ausgegrenzt, sodass sie ihre Stimme verlieren. Das sind mehr als eindeutige Symbole, mit denen das Musical wie auch der Film hier arbeitet. Aber sie funktionieren als Faschismus-Allegorie in ihrer Überdeutlichkeit, weil das Musical als Genre ja auch überdeutlich in allem ist. Der Zauberer von OZ, der nichts weiter als ein Scharlatan ist, sagt an einer Stelle, dass das Volk einen gemeinsamen Feind, ja einen Sündenbock benötigt. Er, der Politiker, weiß wie zu agieren ist, um an der Macht zu bleiben. Er nutzt jene, die größere Fähigkeiten haben, in diesem Fall Hexen, um seine Pläne zu verwirklichen. Dabei droht den Hexen aber immer auch selbst die Ausgrenzung. Normal sind sie auch in OZ nicht. Normal, dieses Wort, das eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist. Dennoch entscheidet der Zauberer wie auch die Politiker unserer Welt regelmäßig, was der Norm entspricht, und was nicht. Wicked ist ein Kommentar zur Gegenwart, den vor allem jene benötigen, die noch immer nicht aufgewacht sind. Als Kinoerlebnis überzeugt der Film als perfekte Unterhaltung die Fans des Musicals, aber vielleicht auch jene, die zum ersten Mal damit in Berührung kommen.

  • (c) Universal