Nachhaltigkeit muss transparenter werden
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Ulrich Prechsl ist Lead des Team Sustainability bei IDM. Er hat in der Agrarforschung Ökobilanzen und Klimaschutzmaßnahmen für die Landwirtschaft erstellt, den Klimawandel auf Alpenwiesen untersucht und viele Jahre an der Laimburg zu Pflanzenschutz und Apfelbaumkrankheiten geforscht. Dabei hat er moderne Methoden wie Machine Learning genutzt, um chemisch-synthetische Pestizide zu reduzieren. Später arbeitete er als Nachhaltigkeitsberater und berechnete in dieser Rolle THG-Bilanzen für Unternehmen. Dadurch kennt er beide Seiten: die Bedürfnisse von Unternehmen und die wissenschaftliche Perspektive. Es gibt zwei Fragen, die wichtig für sein Arbeiten sind: Wie können wir Nachhaltigkeit in die Praxis bringen und wie können wir auf robuste Weise Daten generieren und analysieren, um gute Entscheidungen zu treffen?
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SALTO: Herr Prechsl, Sie sind Teil des Sustainability Team bei IDM. Wie definiert sich der Begriff „Nachhaltigkeit“ im wirtschaftlichen Kontext für Konsumenten einerseits und Unternehmen andererseits Ihrer Meinung nach? Was sind dabei die Erwartungen der Konsumenten an nachhaltige Unternehmen?
Ulrich Prechsl: Der Begriff der Nachhaltigkeit geht zurück auf die Forstwirtschaft, als Carl von Carlowitz im 18. Jahrhundert es so definiert hat, dass es um den Erhalt der wesentlichen Eigenschaften des Waldes geht. Wenn man das auf Betriebe umschriebt, dann liegt der Blick auf den Erhalt der Funktionsfähigkeit. Darunter fallen verschiedene Aspekte wie Ökonomie, Soziales, Governance und das Ökologische. Die Ausrichtung auf zukünftige Entwicklungen spielt eine zentrale Rolle.
Ein perfekt nachhaltiges Produkt oder Unternehmen gibt es fast nicht, denn das würde bedeuten, dass sie überhaupt keine negativen Wirkungen auf die Welt hätten, sei es das Klima oder sonstiger Umweltverschmutzung oder im sozialen Bereich.
Ich glaube auch, dass der Begriff „nachhaltig“ in den letzten Jahren häufig inflationär verwendet wurde, was das Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbrauchern in diesen Begriff geschwächt hat. Viele Konsumentinnen und Konsumenten sind nach wie vor unsicher, wie sie diesen komplexen Begriff genau einordnen sollen und wie sie tatsächlich die Nachhaltigkeit von Produkten und Unternehmen bewerten können. Oft haben Verbraucherinnen und Verbraucher auch sehr hohe Erwartungen, die nicht immer realistisch sind. Nachhaltigkeit lässt sich nicht einfach mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ beantworten, wie es manche Labels oder Zertifizierungen suggerieren. Mir gefällt es besser, wenn von „nachhaltiger“ gesprochen wird.Ist es wirtschaftlich für ein Unternehmen, nachhaltig zu arbeiten und welche Vorteile ergeben sich daraus?
Es gibt immer noch Unternehmen, die sich noch gegen das Thema Nachhaltigkeit sträuben, und es scheint so, als wäre das Bewusstsein für die fundamentale Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens noch nicht ausreichend vorhanden.
Die Vorteile liegen allerdings klar auf der Hand: Kosteneinsparungen, Einhaltung gesetzlicher Vorgaben auf EU- oder nationaler Ebene, Wettbewerbsvorteile, gesteigerte Sichtbarkeit und Resilienz. Indem sich Unternehmen mit der Zukunft auseinandersetzen, können sie besser einschätzen, was auf sie zukommt – Stichwort Risikomanagement. Nachhaltigkeit fördert Innovation und steigert die Attraktivität als Arbeitgeber. Insbesondere junge Menschen legen Wert darauf.
Die Herausforderung besteht darin, dass sich Unternehmen zunächst mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Dies kann anfangs schwierig erscheinen, wird jedoch mit der Zeit leichter.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitssiegel für Konsumentinnen und Konsumenten? Werden sie überhaupt als glaubwürdig wahrgenommen und warum begegnet man ihnen mit so viel Skepsis?
Es gibt viel berechtigte Skepsis, wenn es um Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Labels und Zertifikate geht. Es ist wichtig, hier klar zu unterscheiden zwischen vertrauenswürdigen Labels, die fundierte Kriterien erfüllen, und solche, bei denen möglicherweise nicht viel dahintersteckt. Transparenz spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wenn ein Label auf den Markt gebracht wird, muss immer klar ersichtlich sein, was dahintersteht. Der Begriff der Nachhaltigkeit darf nicht als Deckmantel verwendet werden. Aus diesem Grund hat die EU die Green Claim Directive eingeführt. Es regelt, wie bestimmte Begriffe verwendet werden dürfen, um das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten in Labels und Produkte zurückzugewinnen. In Zukunft muss klar und konkret kommuniziert werden, was genau ein Label oder Unternehmen umsetzt.
Transparenz ist hier das Schlüsselwort. Perfektion darf man nicht erwarten; jedes Label hat seine Grenzen. Wenn ein Label behauptet, dass alles perfekt sei, sollte man skeptisch werden. Es ist wichtig, sich auch mit den Aspekten auseinanderzusetzen, die ein Label nicht abdeckt oder erfüllt.
Auch die Konsumentinnen und Konsumenten selbst müssen kritischer werden. Viele wünschen sich, dass ein Label ihnen die Entscheidung abnimmt, aber so einfach ist es nicht. Sie sollten lernen, sich nicht nur auf Labels zu stützen, sondern ihr eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen und anzupassen. Es ist wichtig, sich zu überlegen, was man selbst zur Nachhaltigkeit beitragen kann.
Für Privatpersonen gibt es im Alltag verschiedene Maßnahmen, um nachhaltiger zu leben wie beispielsweise ein bewusster Konsum von Lebensmitteln oder der Verzicht auf Fast-Fashion-Kleidung. Gibt es für Unternehmen auch solche Grundregeln oder eine Art Handbuch, nach dem gearbeitet werden kann, um nachhaltiger zu werden?
Es gibt gewisse Grundprinzipien für eine nachhaltige Unternehmensführung. Wie beispielsweise Ressourcen schonen, Energieeffizienz steigern, erneuerbare Energien nutzen, Gleichstellung der Geschlechter fördern und die Partizipation der Mitarbeitenden stärken. Allerdings ist jedes Unternehmen einzigartig, und es gibt keine universelle Lösung. Daher ist es entscheidend, zu Beginn eines Nachhaltigkeitsprozesses eine gründliche Analyse oder professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen.
Aktuell müssen beispielsweise große Unternehmen nach CSRD/ESRS Standard einen Nachhaltigkeitsbericht verfassen. Dieser gibt die Bewertung der doppelten Wesentlichkeit vor. Darin wird analysiert, welche Auswirkungen das Unternehmen auf die Umwelt und Gesellschaft hat, und welche Risiken für das Unternehmen selbst durch Umwelt- und Sozialfaktoren entstehen. Diese individuelle Analyse hilft dabei, spezifische Ziele und maßgeschneiderte Strategien für Unternehmen zu entwickeln, um ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt wahrzunehmen. Gleichzeitig bietet sie eine Chance, die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens aktiv zu gestalten.
Wie können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen effektiv kommunizieren, um das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten zu stärken?
Transparenz ist ein wesentlicher Bestandteil nachhaltiger Unternehmensführung. Es reicht nicht aus, sich hinter Labels zu verstecken. Unternehmen sollten offen und detailliert darlegen, welche konkreten Maßnahmen sie ergreifen, um nachhaltiger zu werden. Obwohl dies manchmal aufwendig und herausfordernd sein kann, bieten moderne Kommunikationsmittel wie Unternehmenswebsites umfangreiche Möglichkeiten, um diese Informationen transparent zu präsentieren. Die Green Claim Directive der EU unterstreicht genau diesen Ansatz und fordert klare und nachvollziehbare Angaben über nachhaltige Maßnahmen.
Klarheit und Transparenz sind entscheidend, um Vertrauen zu schaffen und den tatsächlichen Fortschritt in der Nachhaltigkeit zu dokumentieren.
Wie stellen Sie sich ein erfolgreiches, nachhaltiges Unternehmen in Zukunft vor? Wie wird sich die Nachhaltigkeit eines Unternehmens auf das Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten auswirken? Sind wirtschaftlicher Erfolg und Nachhaltigkeit auch in Zukunft noch vereinbar?
In die Zukunft kann ich leider nicht blicken. In der Vergangenheit stand die Ökonomie oft über allem. Mit der Einführung der sogenannten Triple-Bottom-Line hat sich das verändert: Soziale Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg wurden gleichwertig. Der Trend geht heute zunehmend dahin, dass die Ökologie den Rahmen bildet, innerhalb dessen soziale Aspekte wirken, während die Wirtschaft, wie in einem Kreis, im Kern bleibt.
Nachhaltige Unternehmen zeichnen sich durch ihren Purpose aus – ihren Sinn und Zweck – sowie den Beitrag, den sie zur Verbesserung der Welt leisten wollen. Patagonia, ein bekanntes Outdoorbekleidungsunternehmen, ist ein beliebtes Beispiel dafür, wie Nachhaltigkeit erfolgreich umgesetzt werden kann. Solche Unternehmen werden sich voraussichtlich in der Zukunft durchsetzen, da sie nicht nur als Arbeitgeber attraktiver sind, sondern auch resilienter und agiler auf Herausforderungen reagieren.
Schließlich ist die Einstellung entscheidend. Nachhaltigkeit ist mehr als eine technische Aufgabe – es erfordert ein Umdenken und eine Veränderung der Haltung. Nachhaltige Veränderungen sind nur möglich, wenn die Menschen wirklich überzeugt sind. Dafür braucht es nicht nur konkrete Maßnahmen, sondern auch einen tiefgreifenden Wandel im Bewusstsein. Ein universelles Rezept gibt es dabei jedoch nicht, denn jedes Unternehmen, jede Gesellschaft und jedes Land bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit. Trotz Skepsis und Ängsten ist es wichtig, den Mut zu haben, neue Wege zu gehen.
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Unser Einsatz für ein nachhaltigeres Südtirol
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ umfasst zahlreiche Herausforderungen: von der Förderung regionaler Kreisläufe über Biodiversität bis zur grünen Mobilität. IDM arbeitet gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und verschiedenen Institutionen an diesen Themen. Dazu gehören beispielsweise Initiativen wie das 2023 eingeführte „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“, das auch auf andere Sektoren außerhalb des Tourismus ausgeweitet wird, Maßnahmen zum Besuchermanagement, die Förderung regionaler Erzeugnisse und viele weitere.
Entdecke alle Projekte aus dem Jahr 2023 in unserem Tätigkeitsbericht: Nachhaltigkeit – IDM-Bericht (idm-suedtirol.com).