„Rispetto e disciplina“
Er war Eisenbahner und wurde vor 60 Jahren aus dem Veronesischen nach Bruneck versetzt. Seine aktive Fußballkariere hatte er damals, mit 23, bereits hinter sich. Er spielte beim FC Padova in der Serie D, aber die Hüfte tat ihm nicht mehr mit. Im fremden Bruneck traf er auf den dortigen FC. Das war seinerzeit eine fußballerische Großmacht weit übers Pustertal hinaus. Weitgehend italienisch, mit deutschen Zufallsakteuren (die, um mitspielen zu dürfen, immer besser sein mussten), und, sportgeschichtlich gesehen, Wiege und Schule des Pustertaler Fußballs. Einmal, es war die Meisterschaft 1958/59 , wurde der FC Brunico hinter Passer Meran und Lancia Bolzano beste Südtiroler Mannschaft der Regionalliga. Heute, und das ist der Lauf der Geschichte, gibt es den FC Brunico gar nicht mehr. Ausgestorben, so wie der Italieneranteil in Bruneck auch schon fast.
Dann kam Natale Pasetto. Mit den Besten in Südtirol noch ein Weilchen mitzuspielen, erlaubte ihm seine kaputte Hüfte. Er wurde Trainer, zuerst in Bruneck, im Lauf der Jahrzehnte dann in vielleicht einem Dutzend Orten des Pustertals. Wo Pasetto war, wurde gewonnen. Der FC Südtirol in seiner Gründerphase holte ihn ins Trainerteam. Der Aufstieg der SC St. Georgen zu Pustertals Nummer 1 ist ebenfalls eng mit Trainervater Pasetto verbunden. „54 anni di campo!“, sagte er mir vor zwei Jahren. Da war er 80 und hatte aufgehört, die Mädchenmannschaft von Pfalzen zu trainieren. Mit Meisterschaftssieg und Aufstieg in die höhere Liga, versteht sich. Der Frauenfußball hatte dem Nestor unter Südtirols Trainern noch einmal Flügel verliehen. Nie habe er solche Genugtuung erlebt wie als Trainer der Fußballerinnen (von denen eine seiner vielen Enkelinnen die Kapitänin war). „Sono fenomenali, le donne“, schwärmte er.
Die Biografie des Natale Pasetto ist die Geschichte des Fußballs im Pustertal. Und weitgehend auch dessen Soziologie. Der zugezogene „Bahneler“ verstand es mit den jungen Pusterern. Sein Handwerk (kann man so sagen beim „Fuß“-Ball?) hat Pasetto bei den Jugendtrainern in Verona gelernt. Training, Training, nochmal Training. Das hielt der Meister stets für wichtiger als die Partien selber. „Die Siege holst du im Training, im Spiel selber holst du dann den Preis dafür ab.“ Das war so einer seiner Grundsätze. Und Trainer machen hieß für ihn „begleiten“. Im Pustertal der fußballerischen Gründerzeit traf er auf junge Menschen, deren Spielprinzip war: „A la gib ihm!“ Und dieses Denken den Buben auszutreiben, das war der Ehrgeiz des Fußball-Lehrers Pasetto.
Mit dem Zug fuhr der Bahneler zum Abendtraining nach Niederdort und kehrte noch in der Nacht mit dem selber mitgebrachten Fahrrad nach Bruneck zurück.
Der alte Trainer sprach das so aus: „A la gib ihm!“ Wahrscheinlich blieb es der einzige deutsche Spruch, den er beherrschte. Machte aber nichts. Der Fußball war immer etwas italienischer als die Südtiroler Gesellschaft insgesamt. Und nirgendwo geschieht Integration leichter als am Fußballfeld: früher galt es für die Italiener, heute die Albaner. Um einen politisch unkorrekte Vergleich zu bemühen: Die Inschrift am Bozner Siegesdenkmal: „Hinc ceteros excoluimus lingua, legibus, artibus“ ist natürlich eine faschistisch-imperialistische Zumutung. Stünde zu Sprache, Recht und Künste hinzu aber auch noch „pila“ wie Ball (spezifisch Fußball hieße auf Lateinisch Pedifollis, aber das brächte jemand auf schlechte Gedanken), so wäre dem schwierig zu widersprechen. Fußballerisch wurden wir zweifelsfrei „hinc“, also von hier, gemeint Italien aus zivilisiert. Die Übertreibung sei erlaubt: Gab es in den 1960er-70er Jahren in einem Südtiroler Dorf einen Italiener, wetten!, dann war das der Fußballtrainer.
Natale Pasetto war ein besonders guter, beliebter und erfolgreicher von der Art. Er trainierte das ganze Tal. Vom einst glorreichen FC Brunico war schon die Rede. Als dieser sich verflüchtigte und im der Stadtauswahl Bruneck aufging, ging Pasetto selbstredend mit. Zwischendurch trainierte er den FC Niederdorf, die zweite Hochburg des Pustertaler Fußballs. Mit dem Zug fuhr der Bahneler zum Abendtraining nach Niederdort und kehrte noch in der Nacht mit dem selber mitgebrachten Fahrrad nach Bruneck zurück. Als Gage für die Saison brachte ihm Kapitän Siegi Bachmann zu Weihnachten ein Porzellan-Service. „Ein paar Teller hab ich heute noch“, sagte er zu seinem 80sten. Fiel irgendwo in der Umgebung der Dorftrainer aus (Italiener, natürlich), bei Natale Pasetto konnte immer um Aushilfe gefragt werden.
„54 anni di campo!“, sagte er mir vor zwei Jahren. Da war er 80 und hatte aufgehört, die Mädchenmannschaft von Pfalzen zu trainieren.
Die besten Fußballer des Pustertals der letzten drei Generationen: sind alles Pasetto-Schüler. Die Bachlechners, die Prati, die Ferraresi, die Jörginer Bruggers, Brunettis, das Neumair Pepele ... Der Höhenflug der Tölderer gründet auf Pasettos Schule. Patrizio Morini, einziger Südtiroler mit Serie-A-Trainerlizenz, ist ihr Musterschüler und gewissermaßen Erbe. Nach dem größten Talent unter seinen Schülern gefragt, hatte der Altmeister keine Zweifel: „Baumi!“. Das war Karl Baumgartner, später erfolgreicher Filmunternehmer, seinerzeit (68er-Generation) der George Best des Südtiroler Fußballs.
Großes Talent, aber halt nur Talent. Natale Pasetto war bescheiden von Charakter. „Non son venuto con la puzza sotto il naso“, sagte der Meister vieler Lehrlinge. Seine Lieblingstugenden waren: Rispetto und disciplina. Damit, war er überzeugt, lasse sich aus jedem gesunden jungen Menschen ein brauchbarer Fußballer formen. Sein Fußballer-Idol blieb zeitlebens Gigi Riva, und zum Leitspruch hatte er sich einen von Rivas Trainer Manlio Scopigno zugelegt: „Wer nicht bereit ist zu lernen, beweist, dass er nie gelernt hat“. Natale Pasetto, Jahrgang 1937, ist am 6. Mai im Altersheim in Bruneck gestorben.