Politik | Interview

„Sparer sind die Leidtragenden“

Wirtschaftsprofessor Alex Weissensteiner über die Nullzins-Politik der EZB, die verzwickte Situation des Kleinsparers und die Aussichten für die Zukunft.

In Deutschland, dem Land der Sparer, klagt man schon seit längerer Zeit über die niedrigen Erträge, die sich die Sparer von ihren Bankkonten und Sparbüchern erwarten können. Zwar gibt es keine Inflation, die das Ersparte wegfrisst, aber wenn die Zinsen bei Null liegen, ist das auch kein Trost. Die Verbraucherzentrale ruft dazu auf, die verschiedenen Banken und ihre Angebote besser zu vergleichen. Doch gibt es auch andere Ausweichmöglichkeiten? Und was kann man sich für die Zukunft erwarten?

salto.bz: Für die Sparer ist die Situation desaströs. Und dennoch scheint es das geringere Übel zu sein. Warum macht man diese Nullzins-Politik überhaupt?
Alex Weissensteiner: Nicht nur die Europäische Zentralbank (EZB), auch andere wichtige Notenbanken weltweit – etwa in den USA oder in Großbritannien – haben den kurzfristigen Zins für Refinanzierungen, also den Zinssatz, zu dem sich die privaten Banken bei der Zentralbank Geld leihen können, auf Null gesetzt. Grundsätzlich ist es so, dass bei Inflation und Wirtschaftswachstum die Zinssätze gehoben werden: Wenn die Banken sich das Geld bei der Notenbank nur teuer ausleihen können, dann gibt es weniger Geld im Umlauf und der Inflation wird Einhalt geboten. Außerdem wird dadurch übermäßige Spekulation verhindert. Umgekehrt wird bei Wirtschaftsflaute oder Deflation der Zinssatz gesenkt. Denn bei niedrigem Zinssatz rentiert sich die Finanzierung von mehr Investitionen, die Wirtschaft wächst, und gleichzeitig wird durch die Vergrößerung der Geldmenge die Deflation bekämpft.

Gerade ist das zweite Szenario der Fall.
Ja. Durch den niedrigen Zinssatz können sich die Banken bei der Zentralbank so gut wie kostenlos mit frischem Geld versorgen. Sie verleihen es zu vergleichsweise niedrigen Zinsen an Unternehmen und Private weiter, die mit dem billigen Geld mehr Investitionen tätigen können und somit die gesamte Wirtschaft ankurbeln.

Der Leitzins der EZB liegt nun schon lange fast bei Null. Vom Wirtschaftswachstum ist aber noch nicht allzu viel zu sehen. Woran liegt das?
In Großbritannien und den USA ist die Nullzins-Strategie aufgegangen, in Europa bislang aber nicht. Die EZB hat zu lange mit solchen Maßnahmen gezögert und hat die Zinssätze nur stückchenweise reduziert. Das berühmte „Whatever it takes“ von EZB-Präsident Mario Draghi kam zu spät. Eine Senkung des Zinssatzes wirkt nur, wenn sie groß ist und der Leitzins beispielsweise von 5% auf 2,5% fällt. Wenn letztens der Leitzins von 0,25% auf 0,00% gesenkt wurde, hat das kaum noch eine reale Auswirkung. Die Maßnahme ist eher symbolisch.

Das heißt, der Spielraum für weitere Maßnahmen beim Zins ist aufgebraucht. Was nun?
Es bleibt in der Tat kaum noch Handlungsspielraum, um der Wirtschaft weiter auf die Beine zu helfen. Man kann sogar einen negativen Zins einführen. Der Einlagenzins der EZB liegt beispielsweise bereits bei –0,40%. Das heißt, wenn private Banken kurzfristig nicht benötigtes Geld bei der EZB „parken“ wollen, dann müssen sie dafür zahlen. Damit versucht man, das Geld weiterhin in der Wirtschaft in Umlauf zu halten. Wenn man versucht, Geld auf Druck in Umlauf zu halten, dann riskiert man aber auch, dass dieses Geld in unrentable Anlagen gesteckt wird.

An welche Maßnahmen denkt man noch?
Derzeit kauft die EZB über den Sekundärmarkt bereits Staats- und Unternehmensanleihen. Nachdem der Handlungsspielraum mit den Zinsen aber verloren gegangen ist, denkt man auch an andere, sehr unkonventionelle Maßnahmen. Beispielsweise ließ Draghi verlauten, dass das Helikoptergeld ein interessantes Konzept sei. Dabei würde das neugedruckte Zentralbankgeld nicht über private Banken in die Wirtschaft gebracht, sondern direkt an den Staat oder die Bürger ausbezahlt. Offiziell wird Helikoptergeld aber noch nicht erwogen. Darüber hinaus benötigt es aber auch wieder mehr staatliche Maßnahmen, die zurzeit durch die Defizit-Schranken des Maastrichter Vertrages sehr eingeschränkt werden.

Also wieder eine keynesianische Politik nach dem Vorbild der 50er- und 60er-Jahre?
Es bräuchte auf jeden Fall nicht nur geldpolitische, sondern auch mehr fiskalpolitische Maßnahmen: Investitionen, die durch den Staat gelenkt werden. Wie wir gesehen haben, greifen die geldpolitischen Maßnahmen alleine zu kurz.

Was feststeht, ist, dass die Zinsen so bald nicht wieder steigen werden. Was kann man als Kleinsparer tun?
So gut wie nichts. Die Sparer sind im Moment sicher die Leidtragenden. Statt das Geld in einem Konto oder Sparbuch anzulegen, könnte man es in Aktien oder Immobilien investieren. Immobilien sind jedoch schon eine große Anlage, Aktien hingegen sind zurzeit auch ein schwieriger Markt. Wichtig ist dabei, gestreut anzulegen. Jedenfalls muss man sich von der früheren Erwartung, dass Pensionsersparnisse mit 2% oder 3% jährlich wachsen, verabschieden. Und die demographische Entwicklung hin zu einer Altersgesellschaft wie in Japan ist ein weiterer Grund, sich Gedanken um eine gute Altersvorsorge zu machen. Die öffentliche Hand wird nicht mehr lange die Kosten stemmen können, die sie bisher noch übernehmen konnte.

Uni-Professor Alex Weissensteiner

 

In der Verbraucherzentrale Südtirol ist für den Bereich Bankkonto und Anlage eine eigener Beratungsservice verfügbar, gegen Terminvormerkung unter Tel. 0471-975597.

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Wolfgang Mair Do., 11.08.2016 - 11:03

Professor Weissensteiner mag ein guter Volkswirt sein, aber es gibt für den Sparer, unabhängig ob klein oder gross, nicht nur Aktien und Immobilien; auch heute ist es möglich, mit einem breit gestreuten Anleiheportfolio Renditen zwischen 2 und 4% zu erzielen.

Do., 11.08.2016 - 11:03 Permalink
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Bernhard Oberrauch Do., 11.08.2016 - 16:09

Ein leistungsloses Einkommen ist ethisch nicht vertretbar. Insofern sind Renditen über Zinsen gar nicht erwünscht, und zudem auch ökonomisch gesehen besonders für Kleinsparer ein Schuß nach hinten. Das bisschen Rendite wird durch überproportionale Verteuerungen der Verbrauchsgüter mehr als vernichtet. Dazu gibt es einige Berechnungen, unter anderem jene von Helmut Creutz und Margrit Kennedy.
Das "Helikoptergeld" ist sicher ein besseres Konzept als die bisherige Praxis, welche dem Gemeinwohl Verluste gebracht hat: die europäische Zentralbank hat den privaten Banken fast gratis Geld geliehen, welches jene dann teurer an die Staaten verliehen haben.
Überhaupt wäre es gut, alle geldpolitischen Massnahmen zu hinterfragen, ob sie dem Gemeinwohl dienen. Ein positives Beispiel wäre die Finanztransaktionssteuer, die immer noch nicht umgesetzt wurde.
Folgende Nachricht läßt mich zweifeln, wie gemeinwohl-orientiert unsere EU-Politiker denken:
"Der frühere EU-Kommissionspräsident Barroso hat bei Goldman Sachs als Berater angeheuert – ausgerechnet bei der Bank, die in der Finanzkrise 2008 eine besonders unrühmliche Rolle gespielt hat." siehe
https://act.wemove.eu/campaigns/barroso-goldman-sachs?utm_source=civi&u…

Alex Weissensteiner hat recht wenn er sagt: "Jedenfalls muss man sich von der früheren Erwartung, dass Pensionsersparnisse mit 2% oder 3% jährlich wachsen, verabschieden." Ein leistungsloses Einkommen ist kein Geschenk, sondern eine Umverteilung des Geldes, wo es neben den Gewinnern besonders viele Verlierer gibt.
Zu diesem Thema hat sich sogar eine Bank geäußert: die Sparkasse Rosenheim-Bad Aibling
https://www.spk-ro-aib.de/privatkunden/zins_und_boerse/thema_des_monats…

Freuen wir uns also, wenn die Pensionsersparnisse nicht mehr "wachsen", dann gibt es weniger Verlierer, und vielleicht in ihrem Wert erhalten bleiben, aber das hängt von vielen komplexen Zusammenhängen ab.

Do., 11.08.2016 - 16:09 Permalink