Kultur | Salto Weekend

Frech, charmant, provokant

In Valeria Parrellas neuem Buch „Enzyklopädie der Frau. Update“ geht es um nichts Geringeres als die Möse. Ein Roman für starke Frauen – und für starke Männer.
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Foto: Folio Verlag

Mit einem Schmunzeln lesen wir aus heutiger Perspektive das dem Buch vorangestellte Zitat aus der Enzyklopädie der Frau – dem italienischen Sammelheft der 1960er-Jahre mit Ratschlägen für die perfekte Frau –, das erklärt, wie die armen skandinavischen Frauen dazu verdammt sind, in einer allzu modernen Welt zu leben, wo sie arbeiten und zu Wohlstand kommen können, sich jedoch alles gegen sie verschworen hat, um ihre Natur auszulöschen.
Umso radikaler erscheint dann der Auftritt der Hauptfigur Amanda, einer Architekturdozentin Anfang 50, in Neapel aufgewachsen mit Eltern, die Mitte der 60er illegal die erste Antibabypille aus den USA kauften, die Klotür offen ließen und glaubten, dass ein diskriminierender Begriff wie „Schwuchtel“ unmöglich als Beleidigung herhalten könne. Einzige Reliquie der „alten“ Generation: die obengenannte Enzyklopädie der Großmutter, die beansprucht, alle für Frauen relevanten Themen erschöpfend behandelt zu haben. Ein Eintrag fehlt jedoch, wie Amanda findet: M wie Möse, und deshalb liegt uns nun dieser Ergänzungsband vor.

Wer jetzt auf einen „erotischen“ Roman in Fifty-Shades-Manier hofft, darf an dieser Stelle aufhören zu lesen. Denn Amanda ist in erster Linie eine kluge und gebildete Frau, dementsprechend vergnüglich ist diese Lektüre, die mit Anspielungen aus Philosophie, Literatur, Kunst, Musik, Film und noch mehr nicht geizt. Zugegeben, die vielen Asterisken und das häufige Blättern im Stichwortverzeichnis sind etwas mühsam, jedoch sind diese Erläuterungen, die von Platon über Descartes, bis hin zu Arcimboldo und der legendären Sängerin Mina reichen, bisweilen so geistreich, dass sie trotz des Verzögerungsmoments im Erzählstrom wunderbar unterhaltsam und ja, auch bildend sind.

Gleichzeitig zwingt sie uns – ob Frau oder Mann – dazu, mit unseren eigenen Ansichten und Verhaltensweisen in Sachen Sex kritisch ins Gericht zu gehen.

Über diese intellektuellen Einsprengsel hinaus geht es aber, wie schon angekündigt, hauptsächlich um Sex. Entwaffnend ehrlich und unromantisch gesteht Amanda: „[…] ich bin rundum mit Klarlack versiegelt, weshalb alles, was ein Mann tut oder glaubt tun zu müssen, einfach an mir abperlt.“ Sie ist selbstbewusst, bisweilen kompromisslos, egoistisch und radikal, jedoch weit davon entfernt zu belehren oder gar eine universelle Gültigkeit für ihre Behauptungen zu beanspruchen. Valeria Parrella hat hier eine Figur geschaffen, mit der man hadert, ja hadern muss, weil sie einem mit ihrer Direktheit und ihrem schier grenzenlosen Selbstbewusstsein oft schlicht zu viel ist. Aber ihre Ehrlichkeit ist niemals Prahlerei, und so trifft es einen umso stärker, wenn sie etwa in leisen Tönen von ihrer Achillesferse (oder um einen aktuelleren Begriff zu bemühen: ihrem metoo-Moment) erzählt. Gleichzeitig zwingt sie uns – ob Frau oder Mann – dazu, mit unseren eigenen Ansichten und Verhaltensweisen in Sachen Sex kritisch ins Gericht zu gehen.
Mit keiner Männerhasserin, keiner Hardcore-Emanze und keinem Mannsweib haben wir es hier zu tun, sondern mit einer lebensfrohen, lustvollen Frau, frei von jeglichem Zynismus, die gerne Sex um des Sex willen hat, und schlicht und einfach nicht so tun will, als würde es dabei immer um die großen Gefühle gehen. Denn um die geht es zwar oft. Aber oft eben auch nicht.