Wir wollen frei bleiben!
Am Montag letzter Woche hat Gernot Psenner, Bürgermeister von Tiers, die vorläufige Schließung des Jugendraums „Bude” verfügt. Die Begründung: In den letzten Wochen hätten sich die Klagen der Tierser in Bezug auf Lärm und Alkohol im Jugendraum ‚Bude‘ gehäuft. Dies hätte den Gemeindeausschuss dazu bewogen, die „Bude” vorübergehend zu schließen. Auf Nachfrage führt Bürgermeister Psenner aus: „Es gab Klagen über Lärmbelästigung. Erst dadurch erfuhr ich, dass eine nicht gemeldete Geburtstagsfeier stattfand, die weit über die gesetzlich erlaubte Sperrstunde dauerte und die geltenden Ausgangssperre – aufgrund der Corona Verordnung des Landes –, nicht beachtete. Die letzten Monate waren – coronabedingt – besonders für die Jugendlichen eine schwierige Zeit. Dennoch sind die Regeln, Vereinbarungen und Verordnungen einzuhalten.”
Darauf gleich mit der Schließung des Jugendraumes zu reagieren, ohne ein direktes Gespräch zu suchen, erscheint aber doch überzogen. Der aktuelle Vorstand des Jugendvereins „Bude”, der den Raum seit Anfang 2020 führt, hatte die Nachricht per Mail erhalten, mit der Aufforderung innerhalb von zehn Tagen darauf zu antworten und einen Tätigkeitsbericht beizufügen. Die acht engagierten, jungen Tierser und Tierserinnen, die den Vorstand bilden, waren einigermaßen erstaunt – und anfangs wohl auch geschockt – über den Vorgang, vor allem weil niemand von ihnen etwas von diesen Klagen gehört hatte. Tiers ist mit seinen knapp 1000 Einwohnern eine eher kleine Gemeinde. Informationen zirkulieren da naturgemäß schnell und direkt.
Der Bürgermeister will, dass der Jugenddienst den Jugendraum übernimmt.
Ein Vorstandsmitglied der „Bude” bringt die Situation aber folgendermaßen auf den Punkt: „Wir haben verstanden was der Bürgermeister will: Der Bürgermeister will, dass der Jugenddienst den Jugendraum übernimmt und wir sollen ihm helfen Veranstaltungen für die 14- bis 16jährigen zu organisieren.”
Der Vorstand der „Bude” hat derlei Aktivitäten auch in besagtem Tätigkeitsprogramm aufgelistet und es gab und gibt auch bereits konkrete Vorhaben, wäre da nicht Corona dazwischengekommen. Im Februar 2020 gab es in der „Bude” die Buchvorstellung mit dem jungen Autor und Musiker Max Silbernagl und eine Faschingsfeier, und danach waren öffentliche Aktivitäten landesweit, europaweit, nicht mehr möglich. Der Vorwurf die „Bude” wäre diesbezüglich inaktiv, gilt also nicht.
Bürgermeisters Psenner hatte in der die Schließung betreffenden Mail auch eine Tätigkeitsvorschau eingefordert, die ebenfalls prompt geliefert wurde, mit Rückblick auf die Aktivitäten 2020 und eine Vorschau auf das was geplant ist. Zu letzterem gehören „Veranstaltungen speziell für Jugendliche”, die Öffnung des Jugendraumes während traditioneller Tierser Veranstaltungen wie z.B. die „Berglernächte”, ein jährliches Openair „in Ehren der vorherigen Budevorstände”, die Zusammenarbeit mit der katholischen Jungschar Tiers und anderes mehr.
Gernot Psenner, Bürgermeister in Tiers seit 2015, war bis 2018 sechzehn Jahre lang Geschäftsführer beim Jugenddienst Bozen-Land, und in seinem „Programmatischen Dokument” für die Amtsperiode 2020-2025, veröffentlicht im „Rathausboten” (Ausgabe 5/2020) deutet er seinen Plan an: „Für die Jugend gilt es die vorhandenen Einrichtungen, wie den Jugend- und Jungscharraum, den Boulderraum... mit Leben zu füllen, diese unter Einbeziehung der Jugendlichen zu gestalten, die Jugendarbeit mit Hilfe des Jugenddienstes zu unterstützen und die Zusammenarbeit aller im Jugendbereich Tätigen untereinander abzustimmen.”
Der Jugenddienst Bozen-Land ist eine übergemeindliche Organisation, deren Mitglieder die Gemeinden und die Pfarrgemeinden sind. Der Jugenddienst Bozen-Land betreut mittlerweile u.a. die Jugendtreffs und Jugendräume im Sarntal, am Ritten und – bis auf den kleinen „weißen” Fleck Tiers – das Gebiet Salten/Schlern. Finanziert wird der Jugenddienst Bozen-Land vornehmlich durch die Mitgliedsbeiträge der Mitgliedsgemeinden, durch das Amt für Jugendarbeit und durch Beiträge der Familienagentur der Provinz Südtirol.
Klammer auf: Die Pfarrgemeinden scheinen in der Auflistung der Eingänge/Beiträge des Jugenddienstes Bozen-Land für das Jahr 2020 nicht auf. Der Vorstand setzt sich aber – wie alle Vorstände der Jugenddienste in Südtirol – vor allem aus Vertreterinnen der Pfarrgemeinderäte und der Gemeinden zusammen. Klammer geschlossen.
Während die Gemeinde Tiers dem katholischen Jugenddienst Bozen-Land seit mittlerweile 20 Jahren den jährlichen Mitgliedsbeitrag überweist – 2020 waren es 2892,75 Euro – erhielt der Jugendraum „Bude” keinerlei direkte finanzielle Unterstützung seitens der Gemeinde. Im Gegenteil: Die mit 17. Juli 2020 datierte „Anfrage für den Umbau des Jugendraumes” ist laut „Bude”-Vorstand bis heute unbeantwortet.
Bürgermeister Psenner sieht das anders: „Es blieb nicht unbeantwortet. Es wurde immer vereinbart, auch schriftlich, dass man sich vor Ort ein Bild machen möchte und dann bewertet, welche Investitionen notwendig sind und gemacht werden oder nicht.”
Die „Bude” ist auch aus der Sicht des Vereinsvorstandes in die Jahre gekommen und hat einen Umbau notwendig. Wichtiger Bestandteil dieses Gesuches ist die direkte Mitarbeit der Jugendlichen bei diesem geplanten Umbau, d.h. alles was der Vorstand selbst machen kann, wird auch selbst gemacht. Der Vorstand steht da ganz in der Tradition der „Gründer”-Generation der „Bude”, die den Raum vor etwa 40 Jahren, als das Vereinshaus gebaut wurde, eigenhändig aus dem Erdreich herausgegraben und eingerichtet hatten. Seither ist die „Bude” nicht nur für die jungen Tierser und Tierserinnen zu einem wesentlichen Bestandteil des Dorflebens geworden – und ist nach wie vor ein wichtiger Treffpunkt für alle Generationen.
Diese besondere Bindung der Tierser Bevölkerung zur „Bude” spiegelt sich auch in den Reaktionen wider, die der Post letzte Woche hervorgerufen hatte: Jugendreferent David Weissenegger hatte über das Profil der „Rosengartenliste” über die Schließung der „Bude“ informiert.
Der aktuelle Vorstand will für seine „Bude” kämpfen und weiß weite Teile der Tierser Bevölkerung hinter sich.
Der aktuelle Vorstand will für seine „Bude” kämpfen und weiß weite Teile der Tierser Bevölkerung hinter sich. Bemängelt wird die Kommunikation mit dem Bürgermeister, die eher nur in eine Richtung zu gehen scheint, wie im Nachsatz zu den Tätigkeiten zu lesen ist: „Am 17.07.2020 stellten wir die Anfrage für einen Umbau der Bude. Im weiteren Verlauf gab es seitens der Gemeinde keinen Fortschritt, auch nicht nach mehreren weiteren Anfragen seitens des Bude-Ausschusses und seitens des Jugendreferenten David. Am 18.12.2020 teilte uns der Bürgermeister endlich mit, dass wir am 28.12.2020 eine Sitzung mit gesamten Gemeinde-Ausschuss bezüglich des Umbaus abhalten können. Am Tag des festgelegten Termins wurde das Ganze wieder abgesagt.”
Diese Aussprache wird morgen, Freitag, 11. Juni 2021, das bestätigt uns auch Bürgermeister Psenner, endlich stattfinden. Der ursprünglich eingeladene Vertreter des Jugenddienstes soll aber nicht anwesend sein.
Die Machtverhältnisse im Gemeindeausschuss von Tiers haben sich seit den letzten Gemeinderatswahlen verändert: Bestand der Gemeinderat bis 2020 noch aus je sechs Gemeinderäte/Gemeinderätinnen der SVP und der Rosengartenliste, so hat die Rosengartenliste 2020 zwei Sitze im Gemeinderat verloren. Bürgermeister Psenner hat den Gemeindeausschuss in der Folge mit VertreterInnen seiner Partei besetzt. Vizebürgermeisterin ist Irene Vieider, die auch stellvertretenden Präsidentin des Tierser Pfarrgemeinderates ist.
Als Konzession an die Rosengartenliste übergab er dem jungen David Weissenegger das Jugendreferat. Weissenegger ist zwar nicht im Gemeindeausschuss, vertritt aber die Jugend in Tiers, ist direkter Ansprechpartner für die „Bude”. Weissenegger steht voll hinter der „Bude” und ist bei der morgigen Aussprache zwischen dem Gemeindeausschuss und dem Vorstand des Jugendraums anwesend.
In Tiers scheint sich die Geschichte zu wiederholen: 2019 wurde in Völs und Kastelruth der alteingesessene Jugendverein „Allesclub” auf Betreiben der Katelruther Gemeindevertreterin Cristina Pallanch mit dem katholischen Jugenddienst Bozen-Land „ausgetauscht”: Zuerst wurden die vom „Allesclub” betreuten Jugendräume in den einzelnen Dörfern geschlossen und nach langen Verhandlungen schließlich neu an den kirchlichen Jugenddienst Bozen-Land vergeben. Auch der „Allesclub” war ein Jugendverein, der in den Gemeinden von Kastelruth und Völs seit über vierzig Jahren aktiv war und als ortsansässiger Verein geführt wurde.
Eine breite gesellschaftliche Diskussion über eine bessere, transparentere und klarere Trennung von Religion und Jugendarbeit ist überfällig.
Es ergibt sich auch in Tiers der Eindruck, dass die politischen Vertreter ein konkretes Ziel verfolgen und dieses auf Kosten eines ortsansässigen, traditionsreichen und erfolgreich arbeitenden Vereins erreichen wollen. In Kastelruth/Völs war das Vorhaben erfolgreich. Auch hier geht es punktuell um einen Jugendraum, eine Jugendgruppe, in Wirklichkeit aber geht es um den Einfluss einer mittlerweile sehr großen, kirchennahen Institution. Eine breite gesellschaftliche Diskussion über eine bessere, transparentere und klarere Trennung von Religion und Jugendarbeit ist überfällig.
Die Chronik zum Fall „Allesclub” Kastelruth/Völs
Über die Schließung der Jugendtreffs im Schlerngebiet (2. Mai 2018):
https://www.salto.bz/de/article/01052018/allesclub-kastelruth-voels
„Ringen um Raum” (7. Mai 2018):
https://www.salto.bz/de/article/07052018/ringen-um-raum
Zur Bürgerversammlung in Völs (11. Mai 2018):
https://www.salto.bz/it/article/11052018/krimi-unterm-schlern
Zur Bürgerversammlung in Seis (28. Mai 2018):
https://www.salto.bz/de/article/27052018/allesclub-versammlung-seis
Ein Zwischenstand (21. Juni 2018):
https://www.salto.bz/de/article/21062018/nach-der-zwangspause-die-zukunft
Gastbeitrag von Simon Profanter (Allesclub) (7. August 2018):
https://www.salto.bz/de/article/09122018/aus-fuer-allesclub
Das Aus für den „Allesclub” (10. Dezember 2018):
https://www.salto.bz/de/article/07082018/darum-geht-es