Gesellschaft | Gastbeitrag

"In den Geburten steckt unser Herzblut"

Silvia Weissteiner ist Hebamme. Die angekündigte Schließung der geburtshilflichen Abteilungen mit weniger als 500 Geburten betrifft sie. Ganz direkt.

 

Das Thema zur Schließung der geburtshilflichen Abteilungen mit weniger als 500 Geburten zwingt uns, die Geburtshilfe neu zu überdenken. Dieses nationale Gesetz besteht. Und nüchtern betrachtet, werden wohl auch wir es in Südtirol umsetzen müssen, um gesetzeskonform zu sein.

Als Hebamme bin ich davon nicht begeistert. Hebammen und auch Krankenpflegerinnen und Ärzte in den betroffenen Krankenhäusern sind einer großen Ungewissheit ausgesetzt. Die Abteilungen, wo ihr Herzensblut, ihre Energie und ihre Zeit hineingeflossen sind, stehen vor dem Aus. Diese Schließung, die wir alle abwenden möchten, bietet uns die Chance zur Veränderung. Dieser Zeitpunkt sollte dazu genutzt werden, das Thema rund um die Betreuung von Frauen in der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett in Südtirol, neu zu überdenken und gestalten. Wir können wieder weitere Jahre mit dieser Diskussion weiterfahren, bis das Unabwendbare schlussendlich doch eintritt. Wir können uns aber dieser neuen Herausforderung stellen und uns gemeinsam mit den politischen Vertretern, den Vertretern der Südtiroler Familien und des betroffenen Personals an einen Tisch setzen und überlegen, was die Familien in Südtirol rund ums Eltern werden und Eltersein, benötigen. Neben der medizinischen Vorsorge ist ebenso eine gesundheitsfördernde psychosoziale und emotionale Betreuung erforderlich, die sich an der Lebenswelt einer jungen Familie orientiert.

"Lasst uns um denken"
Die betroffenen Geburtshilfen könnten in einen  „Hebammenkreißsaal“, wie es in anderen Teilen Italiens und auch in anderen Ländern Europas bereits der Fall ist, umstrukturiert werden. Beim Hebammenkreißsaal handelt es sich um eine geburtshilfliche Abteilung in einem Krankenhaus, in der Hebammen eigenverantwortlich gesunde Schwangere vor, während und nach der Geburt betreuen. Gesunde Schwangere, die in dieser Zeit eine Komplikation entwickeln, werden anhand eines interdisziplinär erarbeiteten Ein- und Ausschlußkriterienkatalogs in den üblichen Kreißsaal weitergeleitet.

 Dieser Zeitpunkt sollte dazu genutzt werden, das Thema rund um die Betreuung von Frauen in der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett in Südtirol, neu zu überdenken und gestalten.

Auch in der außerklinischen Geburtshilfe könnten Veränderungen erfolgen. Hier könnte ein Geburtshaus  angedacht werden und die freiberufliche Hebammentätigkeit gefördert werden. Eine mögliche Umsetzung des Modells der Beleghebamme, wie es in Deutschland üblich ist, sollte diskutiert werden.  
Unbedingt notwendig ist die Besetzung der Hebammenstellen in den einzelnen Gesundheitssprengel, um eine möglichst großflächige Betreuung der Frauen zu ermöglichen. Dies ist zwar in einigen Gebieten gegeben, aber leider nicht allen Frauen Südtirols zugänglich.

Ein Blick nach Deutschland. Die Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung für Ärzte und Hebammen in der Geburtshilfe haben sich in den vergangenen zehn Jahren verzehnfacht. Für viele Hebammen ein Teufelskreis. Mehr lesen Sie auf welt.de.

Frei praktizierende Hebammen würde es auch in der Schweiz mehr brauchen. Doch die Entlohnung stimmt längst nicht mehr.

Natürliche Geburten brauchen keine Eingriffe
Halten wir uns immer vor Augen, dass Schwangerschaft und Geburt ein natürlicher Prozess ist und der Frauenkörper, bis auf ein paar wenigen Ausnahmen, von Natur her dafür geschaffen ist. Diese natürlichen Geburten bedürfen keiner medizinischen Eingriffe, denn jeder Eingriff bringt meistens weitere Eingriffe mit sich. Schwangerschaft und Geburt sollten daher als etwas Natürliches betrachtet werden und dieses  soll enthalten, gestärkt und gefördert werden.

Bei der Begleitung von Schwangeren und Gebärenden ist eine Risikoselektion notwendig. Frauen mit einem bestehenden Risiko oder einer Komplikation, müssen in einem Krankenhaus begleitet und betreut werden. Gesunde Schwangerschaften aber, können von der Hebamme genauso sicher betreut werden. Um diese Selektion durchzuführen, braucht es eine genaue Anamnese, eine kontinuierliche Betreuung in der Schangerschaft und eine eingehende Aufklärung der Frau. All dies sollte in meinen Augen die zukünftige Betreuung der Schwangeren bieten können.

Es gäbe viele Möglichkeiten und Ideen, um die Geburtshilfe in Südtirol neu zu gestalten. Wir sollten uns dabei sowohl von den Nachbarprovinzen, als auch von den Nachbarländern inspirieren lassen und das Beste für die Familien in Südtirol herauspicken. Wir können weiterhin kämpfen und uns gegen dieses Gesetz wehren. Oder wir können uns der Herausforderung stellen, das gesamte Betreuungssystem von Familien und Frauen beeinflussen und verändern.  Dabei bietet der Berufsstand der Hebamme für die Bereiche Geburtsförderung und Prävention ein Potenzial, welches gesellschaftlich wesentlich mehr als bisher genutzt werden könnte.