Gesellschaft | Was gerecht ist

Über Frauen(bilder) und Familien(bilder)

„Beim Sarner Kirchtag haben die Burschen geschwitzt, als sie die Marie gesehen haben.”, so stand’s neulich zu lesen bei TZ online (http://www.tageszeitung.it/2013/09/09/schwitzen-wegen-marie/) und nein, gesagt hat’s nicht der Deppel von nebenan, sondern, man höre und staune, ein „hoch(!)rangiger“ SVP-Vertreter.
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Hat sich was gerührt, im lauen Landl, nachdem diese Unverschämtheit wenn nicht gar Beleidigung ausgesetzt worden war?! Ist eine Welle der Empörung durch die Haupt- und Nebentäler gerauscht?! Hat jemand auch nur einen Laut gesagt? Mitnichten. Nichts, nicht das Geringste, nirgends. Marie Måwe selbst sagt/e nichts; die Parteileitung sagt/e nichts; der emanzipierte und frauenfreundliche Gemeingut-Arno sagt/e auch nichts (aber die Frau Måwe, die hatte er „zum Gespräch“ zitiert, aus weit geringerem Anlass…) und nicht einmal die weiblichen Partei-Kolleginnen der Frau Måwe erhoben ein Sterbenswörtchen, nicht für ihre Mitstreiterin, und nicht gegen den unerhörten Spruch ihres Kollegen. Dass übrigens ein Barack Obama sich wegen eines weit weniger üblen Sagers offiziell entschuldigen musste (http://www.spiegel.de/politik/ausland/sexismus-debatte-obama-entschuldigt-sich-fuer-kompliment-a-892859.html), was er auch umstandslos tat, sei hier der Vollständigkeit halber vermerkt, ändern wird’s nichts, aber vielleicht schämt sich ja doch noch der eine oder andere unserer „Hochrangigen“, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. So also schaut’s aus, bei uns, in Sachen Erneuerung, und gute Arbeit dem Herrn Kompatscher, dem ja übrigens seine Wahlkampfstrategen schon die Schuhe ausgezogen haben, noch längst, bevor er am Ziel ist… Willkommen Moderne, willkommen Zukunft!

Ja, da passt doch auch die Sache mit der „traditionellen Familie“ bei SVP hervorragend ins Bild, wie das Tüpfelchen aufs i: Gestern Abend durften wir aus den Acht-Uhr-Nachrichten lernen, wie Frau Dissertori von SVP Wert darauf legt, dass getrennt werde zwischen „traditionellen – also den richtigen – und allen anderen – im Umkehrschluss: den falschen – Familien. Frau Stirner, auch SVP, protestierte gegen diese Diskriminierung „neuer“ Familien, derer es ja recht viele gibt, jedenfalls außerhalb des engen Südtiroler Kosmos. Recht weit ist sie aber nicht gekommen, die Frau Stirner, mit ihrem Protest, denn die standhafte Frau Dissertori blieb dabei, dass (sinngemäß) natürlich auch die neuen Familien Anrecht hätten auf Unterstützung („wir tolerieren das, aber gut ist es nicht“, so in der Richtung wollte sie sich wohl verstanden wissen, die Frau Dissertori), aber der Schwerpunkt habe doch bitteschön bei den „richtigen“ Familien zu bleiben. Aber hallo, Neuzeit! Das ist schon recht heftig, nicht wahr? Denn: Wer definiert, was eine „richtige“ Familie ist? Und wer sagt, dass a priori „richtig“ zu sein hat, was „traditionell“ ist?! Fakt ist: Die „richtigen“ Familien à la Frau Dissertori werden zunehmend weniger – die „falschen“ dagegen alleweil mehr.

Und natürlich ist es grundsätzlich nie gut, die eigene Position – und sei sie noch so traditionell – mit der einzig Richtigen zu verwechseln. Davon abgesehen möchte man meinen, ist Familie immer dort, wo sich ein oder zwei oder auch mehrere Erwachsene um ein oder zwei oder mehrere Nachwachsende kümmern. Und überhaupt würde ich schon gern sagen, dass – recht eigentlich betrachtet – Alleinerziehende (auf die sich Frau Stirner mit ihrem Protest bezog) mehr Anspruch haben sollten auf Unterstützung als „traditionelle“ Familien – haben doch erstere exakt denselben Erziehungs-Aufwand bei halbiertem Personal. Möchte man meinen. Außer… außer natürlich Frau Dissertori sähe einen Makel, eine „Selbst!-Schuld“ in der (meist ist es ja so) Alleinerzieherin. Dann, und eigentlich nur dann, wäre ihre Position vielleicht irgendwie nachvollziehbar, verständlich aber noch lange nicht.

Denn natürlich ist nicht die Alleinerzieherin und auch nicht der Alleinerzieher und überhaupt niemand „Schuld“ am Alleinerziehertum – es ist einfach so. Aber gerade im Falle der weiblichen Alleinerzieherinnen spielt noch eine ganz, ganz üble – traditionelle - Unterströmung mit: Eine Frau ohne Mann ist nur „die Hälfte“ (keineswegs ist aber im Umkehrschluss ein Mann ohne Frau nur ein Halber), und also auch nur die Hälfte wert. Womöglich, wer weiß, liegt ja auch in dieser üblen Unterströmung der Grund dafür, dass sich immer noch viel zu viele Frauen von ihren Männern misshandeln lassen, in unglücklichen Beziehungen ausharren, sich von einer gescheiterten Beziehung Hals über Kopf in die nächste stürzen… um bloß nicht "nur die Hälfte" und halb so viel wert zu sein. Und exakt dieses ist doch das Bild, das Frau Dissertori mit ihrer Rede von der „traditionellen“ Familie vermittelt. Aber vielleicht hat sie ja auch nur den schönen Satz des derzeitigen Papstes (!) nicht gehört oder nicht verstanden: „Who am I to judge?“.

Denn es nicht Aufgabe der Politik, den Menschen zu sagen, wie sie zu leben, zu lieben und zu sein haben, und noch viel weniger ist es Aufgabe der Politik, die Menschen in Richtung des eigenen Weltbildes zu drängen und schon gar nicht zu zwängen. Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass allen Bürgern gerechte Behandlung widerfährt. Und Gerechtigkeit ist nun mal: Für alle gleich gerecht.

Also, liebe Frau Dissertori, denken Sie doch vielleicht in Zukunft zwei Mal nach, bevor Sie sie Ihr persönliches Rollen- als Leitbild für die Bevölkerung definieren. Das steht Ihnen nicht zu.