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Gault Millau: Sternensegen und Fluch

Der Guide Michelin 2013 beschert den Köchen der Alpenregion 20 Sterne. Eine Verleihung, die von renomierten Köchen auch kritisch beäugt wird. Roland Trettl, gebürtiger Oberbozner, Starkoch vom Ikarus in Salzburg sagt: "Österreich und seine Kulinarik scheint mir viel zu sehr von Gault Millau infiziert zu sein, das wird schon zu einer Krankheit."

Abhängigkeiten gibt es viele. Eine ist die Auszeichnungswut, die um sich greift. Noten, Zertifikate, Sterne, Hauben, Gläser wollen zeigen, das ist besser als jenes. Bewertungen um Maßstäbe zu haben.

Braves Südtirol
Karl Hohenlohe, Herausgeber des Gault Millaus, ist mit Südtirol sehr zufrieden: "Südtirol ist das einzige Land, in dem es gastronomisch kontinuierlich bergauf geht." Das sei unter anderem auf die "Symbiose von alpinen und mediterranen Einflüssen", ja, ein wahrlicher Schatz, dieses Land. Guter Schüler. 2o Sterne, 111 Hauben, 26 Tre Bicchieri. Zeugnisvergabe erfolgreich. Setzen.

Roland Trettl ist seit zehn Jahren Küchenchef des Restaurants Ikarus  in Salzburg.  Monatlich hatte er einen Starkoch zu Gast. Im Dezember lässt Trettl die Schürze fallen und will, wie er sagt: Einmal inne halten, Bilanz ziehen. "Ich hab ja bis jetzt nie Zeit gehabt, die ganzen Eindrücke zu verarbeiten, die mir dieser Job verschafft hat", so Trettl. In seinem Interview im Der Standard kommt Trettl auf den Punkt. Er vermisst bei den Köchen in Österreich Mut, die eigenen Kreativität auszuprobieren und er sagt etwas, das fast nicht erlaubt ist.

"Ich hab schon eine Vermutung, aber ich weiß nicht, ob ich mich da ein bissl weit hinauslehne. Ich sag das jetzt zum ersten Mal: Österreich und seine Kulinarik scheint mir viel zu sehr von Gault Millau infiziert zu sein, das wird schon zu einer Krankheit. Jeder hat Angst, jeder kocht irgendwie nur für Gault Millau oder wie er glaubt, dass es denen gefallen könnte."

Gefallen um zu gewinnen?
Kochen um zu gefallen, doch nicht dem Gast, sondern den Fachleuten. Benannt wurde der Gault-Millau nach seinen Herausgebern Henri Gault (1929–2000) und Christian Millau (* 1928). Neben dem Guide Michelin ist der Gault Millau einflussreichster Restaurantführer französischen Ursprungs. Er vergibt die Hauben, die neben den Michelins Sternen die begehrtesten Auszeichnung der Haute Cuisine sind. Diese Auszeichnungswut, wohin führt sie? Tut sie gut? Trettl weiter:

"Wofür lebe ich als Koch? Damit ich glückliche Gäste hab, damit ich mich nach der Arbeit in den Spiegel schauen und stolz auf das sein kann, was ich mache - und nicht auf das, was ein Gault Millau über mich schreibt. Ich würde den Kollegen mehr Mut wünschen, die Konventionen infrage zu stellen, sonst kann sich an unserem Status quo nie etwas ändern."

Von Sturheit und Druck

Brave SchülerInnen, die Südtiroler Köche. Aber auch solche mit eigenem Kopf, mit Idee und Tatensgeist. Langweile ist nicht ihres. Das schätzt Gault Millau. Eine Südtirolerin ist auch darunter: Anna Matscher.  1997 erhielt sie ihren ersten Stern, viel zu früh, sagte Matscher später. Am liebsten hätten sie ihn nie bekommen. Im Reisemagzin Berg exclusiv heißt es: "Der überschäumende Druck von Gästen und Medien wurde enorm. Alles war plötzlich anders, obwohl doch alles gleich blieb."

Was also sind die Sterne? Segen oder Fluch? Noch mehr Druck? Noch weniger Zeit für Gäste, MitarbeiterInnen, Familie? Sterne also, für wen?