Bühne | Tanz

Katalanische Kraft

Mit „Sonoma“ tanzen La Veronal weiblichen Zorn, Religion, Ekstase und Gewalt in detailliertem Grau zu Chören, Trommeln und Dudelsäcken in martialischen Rhythmen.
sonoma
Foto: Anna Fàbrega
  • Opulenz kann sehr schnell plump daher kommen. Nicht so, als sich gestern der Vorhang im Bozner Stadttheater öffnete, wo derzeit die Tanzkompanie La Veronal aus Barcelona zu Gast ist. Der Titel „Sonoma“, des Stückes für neun Tänzerinnen, ist ein Kofferwort und nicht bis ins Letzte in Bezug auf das Stück entschlüsselbar, ganz wie die Metaphern eines Traums. „Sonoma“ setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort für „Körper“ und dem lateinischen für „Klang“. Wie die Körper eingekleidet sind und der von ihnen durchtanzte Licht- und Bühnenraum beschaffen ist, ist für die katalanische Kompanie unter der künstlerischen Leitung von Marcos Morau (auch: Idee und Choreographie) entscheidend. 

  • Sonoma: Immer wieder ist Sonoma auch eine Art Modeschau, da auf den ersten Eindruck von einem neuen Kostüm geachtet wird. Foto: Albert Pons

    Die Liste der mitwirkenden Personen, die prägend am Stück gearbeitet haben, ist lang. Es sind die Bereiche der Fotografie, Musik, und Dramaturgie, wie auch Design vertreten. Auch den verschiedenen Kostümen der sich oft nur mehr durch ihren (Klang-)körper unterscheidenden Tänzerinnen, kommt zum Teil eine sprechende Rolle zu: Gruppenzugehörigkeit ist sofort visuell ersichtlich, wenn etwa eine Tänzerin alleinig ein anderes Kostüm trägt, verstoßen, gejagt und verspottet wird. Aber auch im praktischen Sinn können diese auf den ersten Blick nur zwischen Grau, Schwarz und Weiß changierenden Kostüme mehrfach als Fortführung der Bewegung der Tänzerinnen gesehen werden. Das Spiel mit der Physik verschiedener Röcke wird ausgereizt und bestens beherrscht.

  • Der Auftritt erfolgt aber im bodenlangen Reifrock auf unsichtbaren Schritten, wie schwebend. Spielt sich die Beinarbeit der neun auch im Verborgenen ab, wird dennoch die Präzision und Abstimmung aufeinander deutlich, besonders in den koordinierten Figuren. So etwa eine, bei der die Tänzerinnen ständigen Blickkontakt zum Publikum halten und sich im perfekten Gleichschritt mit verschränkten Armen wie der Durchmesser eines Kreises um den Mittelpunkt drehen. Dann wieder ein sich Auflehnen mit dem brachialen Sound kriegerischer Instrumente auf Hollywood-Blockbuster-Lautstärke, aber mit deutlich mehr und spannenderen Wenden in der Rhythmik. Klang und Tanz sind mitreißend, entführen in eine fiebertraumhafte Welt mit sowohl religiösen, als auch folkloristischen, mythenhaften und surrealistischen Figuren und Motiven. Dabei bleibt immer ein Mysterium, ein ambivalentes Bild vom Kreuz, ein erweitertes und ins Gegenteilige verzerrtes, in der Gruppe vorgetragenes Bibelzitat (Bergpredigt) oder aber ebenfalls enteignete kirchliche Rituale als Motiv, nicht gänzlich erklärlich und offen. Eine parallele Spannung liegt in der nicht ganz harmonischen, nach alternativen Lösungen suchenden Musik von Sonoma, die immer wieder Ausbrüche aus der Gruppe ins individuelle Tanzen und die solistische Kreativität erlaubt.

     

  • Sonoma: Alle sind gleich, manche sind gleicher. Sonoma macht die dominante Gruppe einer Szene zur verlassenen Außenseiterin der nächsten. Foto: Alfred Mauve

    Auf der Gegenseite steht ein Zorn der Gruppe und es wäre vielleicht reduktiv, aber durch die passagenweise Wildheit auch nicht ganz unpassend, dass sich die Assoziation zu einem Hexentanz aufdrängt. Ganz nach einem cleveren Akronym der Kanadischen Sängerin Devon Cole ist jede der Tänzerinnen eine „Woman in total control (of) herself“, auch wenn Unterordnung, Hierarchie und Gruppendynamik durchaus wiederkehrende Motive sind. Hin und her geworfen sind die Tänzerinnen, ob sie nun in der gemeinsam mit Morau ausgearbeiteten Choreographie Triebkraft oder Getriebene sind.

  •  Für den Titel eigentlich zu selten, treten die selbstbestimmten Frauen auch als Klangkörper in Erscheinung: schreiend, rezitierend, mit spitzen Lauten und vereinzelt auch singend, sowie stampfend rhythmisch klackernd ihren eigenen Takt erzeugend. Auch und gerade in den Augenblicken, in denen sich das Stück an einem emotionalen Kipppunkt befindet, überträgt man alles in ein gänzlich anderes Repertoire an Gesten und Kleidern und stößt immer wieder auf hypnotisierende Muster. Man ist verzaubert, manchmal auch verwundert, gerade wenn surrealistische Figuren aus den Schatten am Bühnenrand treten.

    Beeindruckend ist dabei nicht zu letzt - neben bereits erwähnter Opulenz in Bühne, Musik und Kostüm - die ziemliche Gleichzeitigkeit der visuellen Reize mit den auditiven. Wenn neun Hüte über den Bühnenboden ins Seitenaus schlittern, so tun sie dies jeweils simultan mit einem Klangelement. Das Stück ist mit großer Präzision und Vorstellungskraft, ohne endgültig eindeutige Interpretationsmöglichkeiten angelegt. Auch wenn die vier als Slogan skandierten Worte auf Latein gegen Ende fast so etwas wie ein Schlachtruf und damit ausgesprochen plakativ sind, stammen sie doch vom guten alten Hippokrates. Um zu erfahren, welche es sind, sollte man ins Stadttheater gehen. Nimmt man sie als „Moral von der Geschicht“, wozu durch die dramaturgische Setzung am Ende des Abends Anlass bestünde, so verschließt man sich zahlreiche Möglichkeiten, Unmöglichkeiten und noch interessantere Widersprüchlichkeiten, die auch nach dem Stückbesuch noch grübeln lassen.

    Man sieht eine Kompanie in athletischer und kreativer Höchstform in einem Stück, das auch seine minimalistischen Momente stimmungsvoll als Ruhe vor dem nächsten Sturm aufbaut. An vielen Stellen greift alles perfekt ineinander und wird dabei in eine Welt gebettet, die klar Inspiration beim mexikanischen Filmemacher Luis Buñuel (der Dalì, Breton und Meret Oppenheimer zu seinem künstlerischen Freundeskreis zählte) sucht und findet. Eine liebevolle Hommage für Fans von Buñuels Arbeit und ein Rausch für die Sinne für alle, denen diese nicht vertraut ist. Das Ende kommt dann als großer, kraftvoller Paukenschlag, der nachhallt. Es waren und sind 70 ausgesprochen dichte und sehenswerte Minuten.

  • „Sonoma“ ist am Samstag um 19, sowie am Sonntag um 16 Uhr im Bozner Stadttheater zu sehen. Zum Ende der nächsten Woche wird das Stück vom 14. bis 17. Dezember auch im Teatro Sociale Trento zu sehen sein.