SunEdison: Ein Brief aus Missouri
Eine „kalte Dusche“ in vielerlei Hinsicht war es, die mehr als 200 Mitarbeiter der Sinicher Memc am Montag erwischt hat. Nach 28 Monaten Lohnausgleichkasse, nach unzähligen Verhandlungen und Vertröstungen, Hoffnungsschimmern und Rückschlägen ist seit gestern klar, dass die Arbeiter des Polykristal-Bereichs nicht mehr in ihre Fabrik zurückkehren werden. Schluss, Aus, die Marktlage erlaubt leider keine Fortführung der Produktion, so die Essenz eines Briefs aus der Unternehmenszentrale der Multinationalen in Missouri, wo man im vergangenen Jahr beschlossen hatte, den Namen Memc mit jenem der Tochter SunEdison auszuwechseln.
Wechsel gibt es offenbar auch in der Unternehmensstrategie. Denn nachdem das Werk allein zwischen 2005 und 2008 200 Millionen Dollar in Sinich investiert hat, um Silizium für den Solar- und Fotovoltaik-Markt herzustellen, wie Stefan Schwarze von der Fachgewerkschaft des CGIL/AGB erklärt, und in den vergangenen Jahren noch einmal mehr als 100 Millionen nachgeschossen hat, wird nun umgesattelt. Für Solar- und Photovoltaik-Produkte wird derzeit massiv in Saudi-Arabien investiert; in Sinich wird dagegen nicht nur die Polysilizium-Schiene, sondern in den kommenden 12 Monaten auch der dazugehörige Trichlorsilan-Werksbereich geschlossen werden, was weitere 35 Arbeitsplätze kosten wird. Die Optionen, die man in den vergangenen zwei Jahren durchgespielt hat, um kosteneffektiver zu arbeiten, hätten nicht genügt, um im derzeitigen Photovoltaik-Marktumfeld zu bestehen, heißt es auch in einer offiziellen Mitteilung des Unternehmens.
Totschlagargument Marktlogik
Dass die selbe Botschaft den mehr als 200 MitarbeiterInnen in Südtirol per Brief überbracht wird, ist nur eine der vielen Aspekte, die Gewerkschafter Schwarze zunehmend an dem System zweifeln lassen, in dem er arbeitet. „Es ist einfach kriminell“, meint er, „das kann so nicht mehr weitergehen.“ Denn noch weit mehr als der Fall Röchling macht die Causa Memc deutlich, wie ohnmächtig nicht nur Gewerschaften, sondern auch die Politik bei der Rettung von Arbeitsplätzen angesichts des Totschlagarguments Marktlogik sind.
Landesbeiträge für millionenschweren Investitionen, die nicht einmal fertig abgeschlossen wurden, eine Sonderregelung für die Irap-Befreiung, zweijährige aufwändige Verhandlungen samt Abkommen für eine Stromleitung über den Brenner, um dem Unternehmen günstigere Energiekosten zu ermöglichen – und als das allen nichts reicht, zuletzt auch noch die prinzipielle Bereitschaft von Belegschaft und Gewerkschaften Verhandlungen über die Kürzung von Lohnkosten um 15 Prozent aufzunehmen. Doch die Antwort auf all diese Bemühungen war ein bedauernder Brief aus Missouri. Der muss nun wohl nicht nur Anlass zu Überlegungen geben, wie den mehr als 200 Beschäftigten möglichst gut unter die Arme gegriffen werden kann.