"Politiker können nicht nur auf Wahlen schauen"
Herr Kompatscher, was ist für den Landeshauptmann die wichtigste Botschaft dieser Gemeinderatswahlen 2015?
Als Landeshauptmann beunruhigt mich vor allem das Thema der Wahlbeteiligung, die erneut gesunken ist. Das ist kein gutes Zeichen. Wir haben zwar im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch eine relativ hohe Wahlbeteiligung in Südtirol. Dennoch ist ein Wert von knapp 67 Prozent ein klares Zeichen für eine weiter fortschreitende Politikverdrossenheit - und auch der Tatsache, dass viele Menschen mit dem vorhanden Angebot nichts anfangen konnten bzw. sich durch eine aktive Beteiligung an der Politik offenbar keine Verbesserung ihrer persönlichen Lebensbedingungen erwarten. Daran gilt es zu arbeiten.
Und was kann die SVP daraus lernen?
Zum einen, dass wir in einigen Fällen die lokalpolitischen Themen und vielleicht auch die Stimmungslagen falsch eingeschätzt haben. Das zeigt sich vor allem dort, wo wir mehrere Bürgermeisterkandidaten präsentiert haben und keine Vorwahlen gemacht haben. Dort habt die SVP am Ende verloren, obwohl unsere Kandidaten deutlich mehr Stimmen bekommen haben als jene der anderen Listen. Klar zu erkennen ist auch, dass sich das Thema Gesundheitsreform auf das Ergebnis in den Gemeinden Innichen und Sterzing niedergeschlagen hat – auch wenn die Ergebnisse in den Bezirken und erst recht in Schlanders und Bezirk Vinschgau zeigen, dass es auch anderes hätte gehen können. Hier sind mit Sicherheit Fehler gemacht worden.
Auffällig ist neben dem teils hohen Rückgang der Wahlbeteiligung auch die hohe Zahl an ungültigen Stimmen – vor allem in Gemeinden, wo nur die SVP angetreten ist.
Die SVP befindet sich hier sicherlich irgendwo zwischen Hammer und Amboss. Sie trägt dafür Verantwortung, dass Kandidaten präsentiert werden, dass eine breite Liste aufgestellt wird und es Vielfalt gibt. Wenn sich dann andere Listen nicht der Wahl stellen, hoffe ich schon, dass die BürgerInnen verstehen, dass dies nicht Schuld der Volkspartei sein kann. Und ich hoffe auch, dass all die Menschen, die immer noch bereit sind, sich für ihre Gemeinde zur Verfügung zu stellen, dann vielleicht in einem zweiten Moment doch noch dafür belohnt werden.
"Ich denke, dass es trotzdem eine Verpflichtung gibt, als Politiker nicht einfach nur auf die Wahlen zu schauen. Insbesondere wenn man Regierungsverantwortung trägt. Die hat eben auch ihre Nachteile – zum Beispiel, dass man Entscheidungen treffen muss, die nicht gut ankommen, egal ob Wahltermine anstehen oder nicht."
Bereits vor den Wahlen war allerorts zu hören, dass es auf Gemeindeebene keine Parteien mehr braucht – nun gab es einen klaren Trend zu Bürgerlisten. Was heißt das für die größte Partei im Land?
Dieser Trend hängt meiner Einschätzung nach schon auch damit zusammen, dass man den Parteien auf Landesebene einen Denkzettel verpassen wollte – nach Vorkommnissen wie dem Rentenskandal und mehr. Insgesamt mag es vielleicht sehr sympathisch erscheinen, wenn man frei Personen wählen kann. Aber wenn es keine Parteienbündnisse bzw. Parteienzugehörigkeit mehr gibt in den Gemeinderäten, stellt sich für mich schon die Frage der Regierbarkeit. Dann kann halt passieren, dass jeder für sich allein marschiert. Und das wäre der öffentlichen Sache nicht unbedingt dienlich.
Sie haben die Auswirkungen der Sanitätsreform genannt. In Bozen dagegen wurde in den letzten Tagen vor der Wahl das Hotel Alpi für Flüchtlinge geöffnet. Eine Entscheidung, die auch parteiintern zu einiger Kritik geführt hat. Hat sie sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt?
Wir konnten die Menschen nicht aus wahltaktischen Gründen einfach auf der Straße lassen. Ich denke, dass es trotzdem eine Verpflichtung gibt als Politiker nicht einfach nur auf die Wahlen zu schauen, insbesondere wenn man Regierungsverantwortung trägt. Die hat eben auch ihre Nachteile – zum Beispiel, dass man Entscheidungen treffen muss, die nicht gut ankommen, egal ob Wahltermine anstehen oder nicht. So war es bei der Unterbringung der Flüchtlinge, und so war es bei der Gesundheitsreform.
Würden Sie heute anders entscheiden?
Natürlich hätten wir auch taktisch abwarten könne, doch wir haben es nicht getan, weil wir es für ehrlicher halten, die Dinge dann anzugehen, wenn sie anstehen. Dafür sind wir abgestraft worden und das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Denn die Wählerinnen und Wähler haben immer Recht.