Kultur | Salto Afternoon

Von Karanlik und Yuta

Für „Semiotics of the Riverside“ gab das Künstlerduo Sööt/Zeyringer die Zügel aus der Hand: Gestern Abend performten fünf Bürger Bozens entlang der Talfer an drei Orten.
Semiotics of the Riverside
Foto: (c) Privat
Das Resultat war dreimal das selbe und doch auch durch den jeweils anderen Kontext ein vollkommen anderes. Den Anfang machte man um kurz nach 9 Uhr, als das letzte Abendrot am Schlern und Rosengarten verglüht war auf der Altstadtseite der Talfer, am Zusammenfluss mit dem Eisack. Die Künstlerinnen Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer hatten vorab mit den Stadtbewohner:innen nach Begriffen gesucht, welche diese mit dem Raum Fluss bei Nacht assoziierten: Eine Erfahrung, die gerade für Frauen, LGBTQIA+ Personen und People of Color oft mit Angst vor Übergriffen verbunden ist. Die zwei Stadtbürger und drei Bürgerinnen bildeten eine gemeinsame Front und deklinierten das erarbeitete fünfsprachige Alphabet („Yūta“, litauisch für „Gefühl“ und „Karanlık“, türkisch für „Dunkelheit“ hatten es neben Italienisch, Deutsch und Englisch auf die Liste geschafft) gemeinsam durch. Der Stapel mit den Begriff-Karten wird Person nach Person abgearbeitet und mit symbolischen Gesten verbunden: Zuhalten der Augen „Karanlık“ und „Dunkelheit“, Simulation eines Herzschlags mit Stöckelschuh „High Heels Heartbeat“ oder auch mit einer kleinen Lightshow mit Fahrradlichtern „Luce Light Licht“. Bei der ersten Aufführung vor Publikum war das Ergebnis ein mäßiges: Die Flüsse führten reichlich Wasser, das Publikum hatte Berührungsängste und stand lieber mit dem Rücken zum Fahrradweg, als näher am Geschehen und so war von den Worten wenig zu hören. Die Partizipation des Publikums blieb aus, die verteilten Schilder wurden zwar gehalten, aber nicht wirklich demonstrativ, sondern eher pflichtbewusst.
 
 

Als die erste der drei Performances vorbei war, begab man sich zur Drusus Brücke, genauer zur Fahrradunterführung, wo etwas Erstaunliches geschah: Obwohl die gleichen Worte und Aktionen durchdekliniert wurden, war die Wirkung eine vollkommen andere. Das verbliebene Streulicht des Tages störte hier nicht mehr die Immersion in einen Zustand der Angst und Angstüberwindung. Finsternis und vorbeihuschende Fledermäuse schafften die Atmosphäre, die engeren Verhältnisse zwangen zu größerer Nähe zum Geschehen, das Symbolische handeln verlor dabei auch etwas an Distanziertheit und Abstraktheit. Die Performance wirkte im neuen Kontext als wäre sie eine neue. Die Künstlerinnen Sööt und Zeyringer traten nicht mehr mit einer Einleitung in den Vordergrund, was das Geschehen unmittelbar machte, sie hielten sich als Lichtgestalterinnen am Rand, bei den beiden Scheinwerfern, die die Szene ausleuchteten.

 
 

Beim dritten Stopp im Petrarca Park herrschte nach wie vor die notwendige Dunkelheit, aber auch wieder größere Distanz: Das Gelände ermöglichte etwas größeren Abstand, welchen ein Kameramann und eine Tonangel für sich beanspruchten, zur Dokumentation des Geschehens. Die Performance wirkte auch hier, besser als am Anfang, etwas weniger als in der Mitte. Die Frage, ob diese symbolische Flussrückeroberung etwas gebracht hat, stellt sich fast nicht: Sie hat mit Sicherheit den Perfomer:innen etwas gebracht, so persönlich war die Ausarbeitung durch die beiden Künstlerinnen – gerade die beiden Statements die zum Begriff „Prejudice“ über gemischte Herkunft und zu dem englisch ausgesprochenen Buchstaben „Y“ gestellte Frage hinterließen eine Spur. Wer weiß, wie viele aus dem Publikum den Fluss nach der von lungomare organisierten Performance ein klein wenig anders sehen…