Umwelt | Hochwasser

Das Karussell

Wenn Hochwasser vom Ausnahme- zum Dauerzustand wird
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Karussell
Foto: ©Mg
  • Es ist die allerfrüheste Kindheitserinnerung aus den späten 1960er Jahren. Aus der Stadt am Fluss. Draußen, tief in der Ebene. Der Fluss bringt das Wasser aus den Bergen, die so weit weg sind, dass man sie von der Stadt aus nicht sieht. Am anderen Ufer steht das Karussell. Man sieht es vom Kinderzimmer aus. Am Sonntag geht´s mit den Eltern über die Brücke. Dann aufs Karussell. Eines Tages ist das Karussell verschwunden. Es ist unter Wasser. Das ganze Ufer ist unter Wasser. Nicht zum ersten Mal in der tausendjährigen Geschichte der Stadt. Es wird auch nicht das letzte Mal sein. So ist das eben im Frühling, wenn die Schneeschmelze in den Bergen den Fluss in der Ebene über die Ufer treten lässt. Viele Generationen von Stadtbewohnern haben gelernt, damit zu leben. Es scheint so, als hätte jeder ein Boot, mit dem er sein Haus über den ersten Stock verlassen und wieder betreten kann.

    Fast ein ganzes Leben lang bleibt das Karussell die einzige Erfahrung mit Hochwasser. Erst in den letzten Jahren wird das Hochwasser zum Alltag. Das liegt an der Katastrophe mit dem Klima. Alle paar Wochen gehen Bäche und Flüsse über. Sei es hier in den Bergen oder draußen in der Ebene. Immer mehr Menschen betrifft es. Viele kennen jemanden, den es schon einmal erwischt hat. Das Hochwasser wird immer gewaltiger. Jetzt geht es um mehr als das Karussell und die paar Häuser drüben. Es geht ans Eingemachte. Bald schon werden weder Versicherung noch Staat für die Schäden aufkommen können. Wanderwege werden vermurt und Straßen für lange Zeit gesperrt. Eines Tages reißt der Fluss die Brücke. Dann bleibt nur noch die Erinnerung. And die Brücke. Ans Karussell. Ans Hochwasser in der Eben. (Mg, 11.06.2024)