Im Museion ist im 1. Stock ein Arsenal an Potenzialen aufgereiht: nicht an Waffen, sondern an Kunstwerken - jenen im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. 1939 im gleichnamigen Aufsatz beschrieben, thematisiert Walter Benjamin darin den Wandel der Kunst durch den Einfluss der Technik. Die durch die Reproduzierbarkeit entstehende kollektive Ästhetik bietet einerseits die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Emanzipation, andererseits besteht die Gefahr durch eine Vereinnahmung der Politik. (1)

Wir sehen hier Bücher, Zeitungen, Poster, Editionen und "Gadgets" wie Kartenspiele oder Puzzles bekannter KünstlerInnen, alles fein angeordnet unter Vitrinen und hinter Glas. "'Top Hundred' setzt sich mit dem Prinzip der Reproduzierbarkeit von Kunstwerken auseinander, die auf Aura und Einmaligkeit verzichten und auf eine breite und demokratische Verteilung zielen." Wir können hier jedoch den mannigfaltigen Inhalt der Bücher, Kassetten, Platten usw. nur erahnen, uns ausdenken. Und trotzdem: wer die visuelle Fülle an diesen wenn auch teils unter Verschluss gehaltenen Informationen auf sich wirken lässt, der/die spürt die darin enthaltene Sprengkraft.

Diese Kunstwerke sind (theoretisch) genauso reproduzierbar wie Waffen und genauso "Most Wanted Things" für die KunstjägerInnen wie der neueste Nagellack von Chanel für das Fashion-Victim. Toll wäre es gewesen, das eine oder andere Exponat einfach erstehen zu können, den "Love Forever"-Sticker von Yayoi Kusama oder die Solarlampe "Little Sun" von Olafur Eliasson. Aber es gibt ja noch den Museion-Shop für derartige Bedürfnisse.

Unterdessen sind wir beeindruckt von der Fülle der Sammlung von Zona Archives, die 1967 in Florenz u.a. von Nannucci initiiert wurde.
Rückblick: Zona war ein von in der Region arbeitenden Künstlern ins Leben gerufener und geleiteter autonomer, selbstfinanzierter Kunstraum in Florenz (aktiv bis 1985). Ziel von Zona war die Auflösung der Grenzen in der Kunst, Poesie und Musik, visueller Kunst und Architektur. Interdisziplinarität, Internationalität und eine antiakademische Haltung war Programm. Informationen sammeln, archivieren, distribuieren, Netzwerke kreiieren, ebenso.
Zona Archives verfügt u.a. über 4000 KünstlerInnenbücher, über 1000 Aufnahmen von neuer Musik, über 6000 Audiodokumente von KünstlerInnen und PoetInnen usw. Daraus hat sich Zona Editions ergeben, das sich nicht nur um den Druck von Katalogen und Büchern von eigenen Events kümmert, sondern auch autonom Platten, KünstlerInnenbücher und Editionen herausgibt. Auch nach der Schließung des Projektraumes in der Via Niccolò 119r ist Zona damit weiterhin aktiv.
Warum "Top Hundred" daher nicht unter Zona Archives signiert wurde, und warum überhaupt der Titel gewählt wurde, der an Charts (die persönlichen von Nannucci oder generelle Kunstcharts?) erinnert, das bleiben offene Fragen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 7.1.2016.
Kuratiert von Andreas Hapkemeyer


(1) Die derzeit laufende Ausstellung "Politischer Populismus" in der Kunsthalle Wien zeigt, wie künstlerische Verfahren und Ästhetiken verwendet werden, um politische Ziele zu verbreiten und durchzusetzen, und analysiert und bricht diese wiederum anhand verschiedener künstlerischer Positionen.