Bittersüß und bitterböse
Märchenhafte Stimmung kommt in Rudolf Freys Inszenierung des ungarischen Klassikers von 1909 keine auf. Das Rummelflair ist genauso verblichen wie die armseligen Farben in der weiß-rosa gestreiften Kulisse, der Glitzeranzug des umschwärmten Ringelspiel-Ausrufers Liliom (Tim Breyvogel) kann über dessen heruntergekommene Erscheinung nicht hinwegtäuschen, und um die Tristesse komplett zu machen, trottet dann und wann ein verlorener Riesenbär durchs Bild. Das lebensfrohe Dienstmädchen Julie (Hanna Binder) verliebt sich trotz aller Warnungen in Liliom, frei sein wollen die beiden und akzeptieren um der Liebe willen den Verlust ihrer Anstellungen. Doch fürs tägliche Überleben ist Geld notwendiger als Gefühle. Die federleichten Choreographien schlagen schon bald um in einen angedeuteten Tanz der Gewalt: Liliom schlägt Julie. Schmerzend ist die Aktualität des Themas. Die anfangs in ihrer Selbstbestimmtheit sehr modern gezeichnete Julie macht das, was die meisten Opfer häuslicher Gewalt tun: Sie spielt die Situation herunter und rechtfertigt Liliom, während die Außenstehenden auch das tun, was sie immer tun –sensationsgeil tratschen und ein schnelles Urteil fällen.
Bis hierhin plätschert die Inszenierung – eine Koproduktion zwischen den Vereinigten Bühnen Bozen und dem Landestheater Niederösterreich – ein wenig vor sich hin, der zweite Teil ist dann wesentlich knackiger. Julie wird schwanger, in seiner Geldnot und Verzweiflung plant Liliom einen Raubüberfall, dieser scheitert grandios und Liliom entgeht der Verhaftung durch Selbstmord. Die Tratschgeier kreisen schon und fällen bereitwillig ihr Schuldurteil.
Das göttliche Gericht im Jenseits ist zu Lilioms Überraschung ein Polizeibüro in fadem Beige mit einem Beamten in ebenso fadem Beige und einer lethargischen Putzfrau. Die Strafe für den Selbstmord: sechzehn Jahre Fegefeuer, in dessen Dampf Liliom durch das Bürofenster entlassen wird, während ihm die anderen lakonisch an einer E-Zigarette ziehend hinterherblicken.
Am Ende darf Liliom für einen Tag auf die Erde zurückkehren und mit seiner Tochter reden, diese Szene wird nicht ausgespielt, sondern erzählt – fein gelöst. Der Hintergrund könnte auch eine Vorstadtkulisse der Gegenwart sein. Ebenso zeitgemäß ist der angepasste Schluss. Dem Originaltext „Es ist möglich, dass einen jemand schlägt, und es tut gar nicht weh.“ wird ein neuer Schlusssatz nachgestellt: „Ich glaube nicht, dass es möglich ist, dass einen einer schlägt, und es tut nicht weh.“
So bleibt das Stück stimmig bis zuletzt, was außer den bis in die Nebenrollen überzeugenden Darsteller*innen auch dem stimmungsvollen Bühnenbild (Vincent Mesnaritsch), der raffinierten Beleuchtung (Günter Zaworka) und vor allem der großartigen musikalischen Untermalung durch das Duo „Die Strottern“ im Polizistengewand und den „Todesengel“ Matthias Loibner mit seiner Drehleier zu verdanken ist.