Wirtschaft | Genau, Flughafen Bozen.

Genau, Flughafen Bozen.

Auch eine Meinung, samt schwerer Abwägung nach einer Entscheidung in der Frage, wie ich wohl abstimmen würde.
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Lieber Klaus,

Bingo! In deiner Mail von vor ein paar Stunden hast du einen Nagel (mindestens) auf den Kopf getroffen: dass es welche gibt, die mit ihrer Meinung zum Flughafen noch nicht in die Öffentlichkeit wollen. Manche, und du zähltest dich dazu, machen es sich bequem und würden sich bis zur Volksbefragung irgendwie “durchschummeln”. Du hast Recht. Diese Beobachtung mache ich auch. Und, warum nicht, auch bei mir selbst!

Eigentlich kann man derzeit wohl eher drei Klassen der Flughafen-Diskutierer beobachten. Es gibt zunächst mal die glühenden Befürworter und die genauso eifrigen grundsätzlichen Gegner. Beiderseits wird sowohl mit korrekten, als auch mit harten Bandagen um Überzeugung der großen Wählergruppen gekämpft. Und beide “polieren” ihre Argumente manchmal bis zum Biegen und Brechen, da findet man die reinsten Gustostückerl.

Dazwischen gibt es aber tatsächlich auch: die Schweigenden. Du hast dich in deiner Mail vorhin dazugezählt. Ich mich (öffentlich betrachtet) eigentlich auch. Dieses Schweigen ist natürlich bequem -  die Entscheidung schwer, und seinen Standpunkt auf morgen oder übermorgen festzulegen zu verschieben doch leichter ist, als es heute zu tun.

Während ich aber so wohlwollend über Newton und Kiloponds nachdenke, lass mich zu den anderen auch ehrlich sein, und lass mich dann ergänzen: Sollen doch die Bozner (und natürlich auch die Moritzinger) die Nachteile für sich ausleuchten und das dann glatt unter sich entscheiden.

Ich persönlich gehöre dabei gewiss nicht zu den fundamentalistischen Neinsagern des Airports, sondern eher zu denen, die beide Optionen (dafür oder dagegen) reflektieren wollen und beiden Seiten gar einiges abgewinnen können. Ganz “egoistisch” (na ja, “subjektiv” reicht auch) betrachtet zum Beispiel - ich persönlich wohne ja nicht in der Flugschneise des Airports - könnte ich das ganze Thema auch nur rein ökonomisch betrachten und mir die paar Millionen im Jahr auch schnuppe sein lassen. Wir geben ja Geld auch für ganz andere Dinge aus. Und profitabel muss nicht immer alles sein. Ist mir das Geld also erstmal schnuppe, dann könnte ich wohlwollend sagen, nun gut, können uns ein paar Besucher (und seien es beispielsweise auch nur Forschungspartner der einen oder anderen mir am Herzen liegenden Institution...) besser erreichen, na dann: was solls. Her mit dem zweiten und dritten Newtonschen Gesetz, und gib uns Schubkraft.

Während ich aber so wohlwollend über Newton und Kiloponds nachdenke, lass mich zu den anderen auch ehrlich sein, und lass mich dann ergänzen: Sollen doch die Bozner (und natürlich auch die Moritzinger) die Nachteile für sich ausleuchten und das dann glatt unter sich entscheiden. Ich wohne weit weg, nicke dann rein meinen Anteil an Steuern mit ab und gut ist. Ehrlich. Vermutlich geh ich damit nicht zur Bürgerbefragung. Das not in my back yard Argument einmal umgekehrt. Du weißt schon.

Die andere Seite, die der Wirtschaft, mal gedanklich ausgeleuchtet: Es fällt mir das Interview vor ein paar Monaten (im RAI-Morgentelefon) eines Druckereibetriebs ein. "Die Wirtschaft" (O-Ton) brauche den Flughafen so dringend, weil man ja sonst ständig Aufträge verlieren würde - weil wir schlecht erreichbar sind und Meetings unerläßlich sind. Mal davon angesehen, dass sowohl dieser Druckereibetrieb als auch ich mit Sicherheit viel eher Glasfaser als Flüge brauchen um unsere Aufträge zu halten (aber das ist jetzt wirklich ein anderes Thema…), ist das Argument doch wackelig: Brauche ich von Klausen nach Verona oder Innsbruck ca. 1,00-1,5h Autofahrt (an späteren BBT-Rapids gar nicht zu denken) so stelle ich mir doch die Frage was mit den ganzen oberen Eisacktal (die Seilbahnbauer, du weiß schon) oder dem Unterland so ist: Für die ist doch Innsbruck oder Verona heute schon exakt so weit weg wie für mich damals am Siemens-Standort Neuperlach Süd der Flughafen Neufahrn in München.

Was aber businessmäßig noch viel schlimmer ist: das Flugangebot. Ich habe einmal den Fehler gemacht, beruflich von Venedig nach Berlin zu fliegen statt von München aus. War eine verrückte Schnapsidee, um die italienische Konjunktur einmal etwas zu unterstützen. Dumm dabei: Airberlin fliegt nur 1x am Tag von/zu Berlin/Venedig. Klang für mich gut. Hmm. Im Detail betrachtet: wenn der Flug dann a) für dein Meeting zu unpassender Zeit ist oder b) ausfällt (letzteres so wie mir geschehen), dann steckst du exakt 24 zusätzliche Stunden in Berlin fest.  Wäre ich hingegen über München geflogen, hätte es jede halbe Stunde eine andere Maschine gegeben. Insofern: attraktive Zubringerflüge nach Bozen, wie sie die Wirtschaft für ihre Meetings braucht, werden wir wohl nie in der Qualität haben, wie ich sie als Businessgast denn eigentlich brauche. Macht mich bei dem Argument also doch wieder etwas zweifeln.

Ich kann dem Airport nun trotzdem einiges abgewinnen: Von der Seite des Tourismus “Incoming” bringt uns der Airport bei geschickter Bewirtschaftung (aber bitte nur geschickt!)  “hochwertige” und entferntere Gästekontingente.

Versuch einer Gegenvision: Falls wir, wie ich damals im Morgentelefon hörte, wirklich täglich sooft riskieren sollten Aufträge zu verlieren, weil wir keine physische Meetings in Flugplatznähe haben können, dann erschiene es mir fast cooler: In Verona und Innsbruck lässige “Südtirol Lounges” einzurichten, mit exklusivem Zugang nur auf Einladung Südtiroler Unternehmer. In der Zeit, in der ich regelmäßig und ohne Murren von Bozen ins Pustertal zu einem Kundentermin fahre, könnte ich genauso nach Verona fahren. Dort treffe ich meine Geschäftspartner dann in der lässigen Südtirol Lounge mit freundlichen Mannequins in Dirndl und Lederhosen und schließe meine Geschäfte ab. Für den Rest der Bevölkerung richten wir natürlich einen super Regionaltakt und -Shuttleverbindungen nach Innsbruck ein. Die Handelskammer oder das EOS führen die “Südtirol Lounges” als Werbeschild, und eröffnen die Geschäftssaison mit den prämierten Wein- und Apfelköniginnen. Ok, soll jetzt nur ein Bild aufwerfen, du weiß schon ...

Ich kann dem Airport nun trotzdem einiges abgewinnen: Von der Seite des Tourismus “Incoming” bringt uns der Airport bei geschickter Bewirtschaftung (aber bitte nur geschickt!)  “hochwertige” und entferntere Gästekontingente. Und damit sicher Zugewinn - zu für alle überschaubaren Kosten. Der auf den vorherrschenden Säulen Italien und Deutschland basierende Tourismus könnte sich weiter diversifizieren. Und - für viele irrelevant, für mich nicht uninteressant - akademische und wirtschaftliche Eliten könnten um einiges leichter zu unserer Metropole gelangen. Das wäre quasi personelle “Frischluft”, und du weißt ja, sowas befürworte ich immer ;)

Vom “Impact” auf diesen bereits verkehrs- und umwelttechnisch überbelasteten Gebieten in Bozen und südlich weiter abgesehen, dürfen und sollen wir uns schon die Frage stellen, ob es für das “Klimaland Südtirol” tatsächlich opportun ist - oder ist es schon obszön? 

Wenn ich weiter denke, wars das dann aber schon. Ein Großteil der anderen Landesteile - also allemal die von Brixen oder Sterzing aufwärts, werden sich wohl weiterhin wesentlich auf das stabile Angebot Innsbruck oder gar München stützen, statt auf die zaghafte Pflanze Bozen. Aber selbst Ökonomie und USP’s der Mitbewerber mal außen vor gelassen: Mein Hauptbedenken gegen den Flughafen Bozen ist vor allem ein ethisches. Wie ich schrieb, die Bozner, Moritzinger und vor allem die Bozen-Süd-bis-Salurner müssten das dann schon unter sich ausmachen.

Vom “Impact” auf diesen bereits verkehrs- und umwelttechnisch überbelasteten Gebieten in Bozen und südlich weiter abgesehen, dürfen und sollen wir uns schon die Frage stellen, ob es für das “Klimaland Südtirol” tatsächlich opportun ist - oder ist es schon obszön? - sich mit einem Flughafen zu schmücken. Egal wie klein und wie überschaubar die Zahl der Flüge ist: Der Klimawandel und seine Folgen (besonders in der Südhalbkugel) sind so völlig inakzeptabel, dass ich laut fragen darf, ob wir es uns leisten sollen, unseren (egal wie minimalen) Beitrag an diesem Desaster weiter auszubauen. Dass das Flugzeug zu den Klimakillern Nummer 1 zählt, weißt du ja sehr genau - darum legst du wert zu kompensieren, sooft du fliegst.

Ich lese aber weiter. Dich, und viele andere auch, und bilde mir damit meine Meinung.

Hmm. Unterm Strich und mit subjektiver Bewertung sind mir diese "dafür" Argumente (der Standort Südtirol, die andere Flughäfen so weit weg, die Nutzbarkeit für Unternehmer) dann derzeit noch zu dünn. Die "dagegen" Argumente (eben das umgekehrte von oben, plus der Lärm für die Bevölkerung, plus die Umwelt, plus die Steuergelder die einigen mehr stören als mir) dann doch etwas stärker. Müsste ich ein Kreuzchen machen, hinge der Pendel momentan wohl auf der Nein-Seite, und so würde ich wohl abstimmen wenn *heute* der Urnenruf wäre und ich nicht entscheiden sollte (was momentan gar nicht abwegig ist), das “den Bozner” unter sich ausmachen zu lassen.

Ich lese aber weiter. Dich, und viele andere auch, und bilde mir damit meine Meinung. Vielleicht geh ich dann doch am 12. Juni überzeugt zur Befragung, ich arbeite zumindest dran.

Ärgern? Tun mich die unterschiedlichen Sichtweisen kein bisschen. Im Gegenteil, wie sonst soll eine gesellschaftliche Diskussion um dieses Vorhaben entstehen! Minuspunkte gibts von meiner Seite nur für die “Angstmacher” unter den Interessensgruppen. Wären dann die, die Weltuntergangsvisionen beschwören, Du weißt schon, die Streichung von der Landkarte, der wirtschaftliche Niedergang, oder gar die, die das brilliante Argument hervorzaubern, dass “wenn wir es nicht tun”, es dann ein beliebig anderer Investor einfach tut: Den Flughafen übernehmen und selber Geld reinstecken und weitermachen.

Klar. Die stehen Schlange, die Investoren. Warum fragt man sich dann nicht, warum man dann überhaupt öffentlich investieren sollte, wenn andere bereit stehen, zu übernehmen? Hach, egal. Das ist ja auch gar nicht die einzige Blüte dieses Wahlkampfes.

Tut mir doch alle den Gefallen: lasst die schlichte Angstmache einfach sein. Angst nämlich, liebe Pro- und Contra Argumentierer: Angst war noch nie ein guter Berater. Auf einen guten 12. Juni.

Christoph Moar