Wirtschaft | Türkei 2015

Einkaufen in Istanbul

Istanbul ist die Handelsmetropole schlechthin. Ihre geografische Lage hat den Warenaustausch zwischen Orient und Okzident seit jeher begünstigt.

He Polis: Die Stadt aller Städte war Konstantinopel vom 9. bis 12. Jahrhundert. Sie war die größte Stadt Europas: an Fläche, Einwohnerzahl, politisch-administrativer Bedeutung, Verkehrsanbindung, Wirtschaftskraft und Warenumschlag. Der Weltmarkt und der gesamte Fernverkehr zu Land und zu See bündelten sich hier, an der europäisch-asiatischen Schnittstelle. 

Konstantinopel war einer der Endpunkte und Umschlagplätze der Seidenstraße aus China. Seidenstoffe, Porzellan, Wolle, Teppiche, Zelte, Farbstoffe, Gewürze, Parfüme, Elfenbein und Edelsteine wurden gehandelt. Hauptakteure des Orienthandels waren Griechen, Armenier, Juden und Syrer - bis er von Venezianern und Genuesen monopolisiert wurde.

Die Galatabrücke (vom italienischen calata) ist ein noch erhaltenes Zeugnis dieser Epoche. Der Handel verwandelte die Stadt in das größte damals existierende multikulturelle Agglomerat, in dem alle großen Religionen friedlich nebeneinander existierten.

Heute ist von diesem Glanz nicht mehr viel übrig geblieben - außer dem Handel, der in Istanbul weiterhin boomt. Bis Ende Juni hat die Stadtverwaltung das "Istanbul Shopping Fest" ausgerufen - eine moderne Art, die derzeitige Konsumflaute zu bekämpfen. 

In der populären Shopping-Mall Istiklal Caddesi ertönt jetzt aus den Läden europäisch-amerikanische Popmusik. Anglo-amerikanische Sprecher laden die Menschen mit aufmunternden Parolen zum Kaufen ein. Wer jetzt Euros oder Dollar besitzt, kann derzeit in Istanbul sehr gut einkaufen.

Besonders günstig sind Textilien, die fürs anspruchsvolle europäische Ausland produziert und mit geringen Abwandlungen in der Türkei zu recht als Eigenprodukte verkauft werden. Turnschuhe sind perfekt ausgeführt und extrem preisgünstig. Bekannte schwärmen auch von Jeans, die in der Türkei besonders billig seien.

Die vielen Märkte in den einzelnen Istanbuler Vierteln können kaum aufgezählt werden. Es sind wohl tausende von Pazaris (Bazars), die jeden Tag auf- und abgebaut werden. Selbstverständlich ist in der Peripherie oder in ärmeren Vierteln alles billiger. Aber dorthin verirrt sich kaum ein Tourist, dessen Besuchstage ja meist gezählt sind.    

Beliebt sind in Istanbul die großen Einkaufszentren: Istinye, Canyon und das neue Zorlu-Center. Alle Brands der Welt werden dort angeboten. Und in Istanbul lebende Europäer (ich nicht!)  gehen dort gerne ein und aus, weil es die klassischen Steaks (also nicht halal) zu essen gibt. In den dortigen Supermärkten finden sich die ausgefallensten internationalen Waren.

Fast nur Touristen pilgern zum großen Einkaufstempel neben den Moscheen: zum Großen Bazar. Wenn beispielsweise Römerinnen in Massen nach Istanbul fliegen, dann nur, um dort einzukaufen. Was? Natürlich Markentaschen, die hier um ein Drittel billiger sind. Allerdings habe ich bis heute nicht verstanden, wo diese Luxus-Leder-Produkte letztendlich hergestellt werden und ob sie echt sind.  

Große Enttäuschung machte sich bei den Italienerinnen breit, als ihnen ein in Istanbul lebender neapolitanischer Bekannter sagte, er würde in Neapel einkaufen, wenn er auf gute Fälschungen aus sei. Dort sei alles billiger und besser verarbeitet.

Doch der Große Bazar ist zu schön, zu einmalig, zu überwältigend als dass er nur wegen dieser Taschen besucht werden dürfte. Natürlich sind es auch die originellen türkischen Produkte wert, durch die verwirrenden Straßen des Bazars zu schlendern. Doch ist es vor allem die Atmosphäre (ein banales Wort), das Gewirr von Sprachen, Geräuschen und Gerüchen, die jeden Besuch lohnenswert machen. 

Regelrecht umwerfend sind die Händler des Bazars, die sogar spezielle Wiener Dialekte aus der Menge heraushören und darauf antworten, indem sie den Betreffenden zum Betreten des Ladens einladen - in ebendemselben Dialekt. Mir ist das mit einer Wiener Bekannten passiert. Wir waren sprachlos.

Meine persönliche Bewunderung verdienen die Händler im Bazar auch wegen ihrer Verkaufskünste. Sie merken ganz genau, wie weit der Kunde beim Feilschen gehen wird.  Mir jedenfalls ergeht es so: Eine Sekunde bevor ich beschließe, den Laden zu verlassen, lenkt der Kaufmann ein - auch wenn es sich um einen Nachlass von nur wenigen T-Lira  handelt: es geht ums Prinzip und darum, den Käufer glauben zu lassen, er habe ein Geschäft gemacht.

Als ich nach Istanbul kam, wurde mir geraten, ohne bestimmtes Ziel und Kaufobjekt im Sinn durch den Großen Bazar zu streunen. Sich treiben lassen und die Schönheit des Gebäudes mit all seinen Insassen zu bestaunen: das würde auch ich jedem Bazar-Besucher raten.