Woher importiert die EU das Gas?

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Über 50 Jahre lang war Russland ein zuverlässiger Gaslieferant für Europa und erfüllte seine vertraglichen Verpflichtungen auch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Bereits Ende der 1960er Jahre begann Russland Gas nach Europa zu exportieren. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich Russland zum wichtigsten Gaslieferanten für Europa, insbesondere durch den Bau der Nord Stream Pipeline. Bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges war Russland der Hauptgaslieferant für die EU. Vor allem Deutschland 1/, Österreich und die östlichen EU-Länder waren stark von russischem Gas abhängig. Durch die Stilllegung russischer Gas-Pipelines in die EU-Länder nahmen die russischen Gasexporte stark ab.
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Welche Rolle spielt Gas im Energiemix der EU-Länder?
Gas ist in den EU-Ländern nach Erdöl die zweitwichtigste Energiequelle. Verglichen mit Kohle und Erdöl weist Gas eine bessere Klimabilanz auf, da es geringere CO2-Emissionen freisetzt. Es setzt auch weniger andere Schadstoffe, wie Schwefeldioxid, Ruß und andere Partikel-Emissionen bei der Verbrennung frei. Bei der Förderdung und beim Transport von Gas kann es zum Entweichen von Methan kommen, das den Hauptbestandteil von Gas darstellt. Methan ist ein sehr schädliches Treibhausgas und trägt neben CO2 auch zur Klimaerwärmung bei.
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Gas macht etwas über 20% am gesamten Energieverbrauch der EU-Länder aus, während Gas in Italien mit einem Anteil von circa 38% eine weitaus größere Rolle spielt. Hauptgründe dafür sind, dass in Italien der Kohle-Anteil nur 2% beträgt und dass es keine Atomkraftwerke gibt. Mit Ausnahme der Niederlande, produzieren die EU-Länder nur wenig Gas und sind daher stark von Gasimporten abhängig, etwa 90% des EU-Gasverbrauchs musste im Jahr 2024 von außerhalb der EU importiert werden.
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Wofür wird Gas verwendet?
In der EU wird Gas hauptsächlich zur Stromerzeugung, zur Warmwasseraufbereitung und Heizung in den Haushalten und gewerblichen Betrieben genutzt und in industriellen Prozessen verwendet. Etwa 30 % der Haushalte in der EU werden mit Gas beheizt. Bei der Stromgewinnung hat Gas mit 15% nach Erneuerbarer Energie (34%) den zweitgrößten Anteil, während in Italien der Anteil von Gas an der Stromgewinnung 40% beträgt. Im Industriesektor wird Gas für spezialisierte Prozesse eingesetzt, wie z.B. in der Metall-, Zement-, Glas-, Keramik-, Lebensmittel- und Textilindustrie. In der chemischen Industrie dient Gas als Rohstoff zur Herstellung von Plastik, Ammoniak, Stickstoffdünger, von pharmazeutischen Produkten u.v.a. Im Transport-Sektor wird Gas als Treibstoff verwendet, entweder als Autogas (LPG = Liquified Petroleum Gas) oder als Gas (CNG = Compressed Natural Gas) 2/. Aus Gas wird durch das Verfahren der „Dampfreformierung“ Wasserstoff hergestellt.
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Welche EU-Länder verbrauchen am meisten Gas?
Den bei weitem größten Gas-Verbrauch in der EU haben Deutschland und Italien, gefolgt von Frankreich, Spanien, Niederlanden, Polen und Belgien. Abgesehen davon, dass Deutschland das bevölkerungsreichste Land mit der größten Volkswirtschaft in der EU ist, ist der Gasverbrauch in Deutschland auch deshalb sehr hoch, weil die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie viel Gas als Rohstoff nutzt. Italiens Gasverbrauch ist hoch, da kaum Kohle genutzt wird und da es keine Atomenergie gibt.
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Wie wird Gas transportiert?
Gas wird entweder über Pipelines in gasförmigen Zustand transportiert oder als Flüssiggas (LNG) mit LNG-Tankern. Gas wird in Gasverflüssigungsanlagen auf -164 °C abgekühlt und unter atmosphärischem Druck verflüssigt, so dass das ursprüngliche Volumen des Erdgases auf ein Sechshundertstel reduziert wird. Es wird dann in LNG-Tankern transportiert und im Importland in speziellen LNG-Terminals (Regasifizierungs-Terminals) wieder in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt, bevor es in die Verteilerpipelines eingespeist wird. Laut EU-Kommission wurden im Jahr 2024 etwa 63% der EU-Gasimporte über Pipelines importiert, während die Flüssiggas-Importe 37% ausmachen. In Zukunft wird der Anteil der Flüssiggasimporte weiter steigen. Der aufwändige Verflüssigung- und Regasifizierungs-Prozess, sowie der Transport in speziellen LNG-Tankern machen Flüssiggas teurer als Pipeline-Gas.
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Aus welchen Ländern importieren die EU-Länder Gas?
Während Russland im Jahr 2021 den europäischen Gasmarkt mit einem Anteil von etwa 45% noch dominiert hat, machten die russischen Gasexporte in die EU-Länder im Jahr 2024 nur mehr 19% aus und sanken im ersten Halbjahr 2025 auf circa 13%. Im selben Zeitraum haben sich die Flüssiggasimporte aus den USA in die EU mehr als verdoppelt, auch Norwegen und Aserbeidschan konnten ihre Gaslieferungen in die EU deutlich steigern.
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Norwegen ist mit über 33% der größte Gaslieferant für die EU und liefert den größten Teil des Gases über Pipelines. An zweiter Stelle rangieren die USA, der wichtigste Lieferant von Flüssiggas. Algerien exportiert sein Gas hauptsächlich durch die Transmed-Pipeline durchs Mittelmeer nach Italien, kleinere Mengen von Flüssiggas werden auch an EU-Länder verkauft. Katar ist ein wichtiger Exporteur von Flüssiggas. Die Exporte von Pipelinegas aus Russland sind stark zurückgegangen, es gibt aber noch Pipeline-Gas-Lieferungen über die Turk Stream-Pipeline, während die Transit-Pipeline durch die Ukraine seit Anfang 2025 kein russisches Gas mehr liefert. Einige europäische Länder importieren weiterhin russisches Pipelinegas, dazu zählen Ungarn und die Slowakei. Durch vermehrten Flüssiggas-Export versucht Russland einen Teil des nicht mehr gelieferten Pipelinegases zu ersetzen. Das Vereinigte Königreich liefert Gas sowohl über Pipelines als auch Flüssiggas. Aserbeidschan exportiert Gas über die Trans-Anatolische Pipeline (TANAP). Eine Reihe kleinerer Länder aus Südamerika, Afrika, dem Mittleren Osten und aus Asien liefern kleinere Mengen an Flüssiggas in die EU.
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Flüssiggas-Importe in die EU
Die erhöhte Nachfrage in Europa aufgrund der Verknappung von russischem Pipeline Gas und die steigende LNG-Kapazität in den USA haben zu einem Aufschwung des LNG-Handels seit 2022 geführt. Zwischen 2022 und 2024 wurden in der gesamten EU zwölf neue LNG-Terminals und sechs Erweiterungsprojekte in Betrieb genommen und die Importkapazität hat sich um 70 Milliarden Kubikmeter erhöht.
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Die Flüssiggas-Einfuhren aus den USA haben sich 2024, verglichen mit 2021 mehr als verdoppelt. Mit 45% Anteil an den gesamten Flüssiggasimporte in die EU waren die USA im Jahr 2024 der bei weiten größte Flüssiggas-Importeuer in die EU. Laut EU-Kommission wird der Anteil von amerikanischem Flüssiggas in diesem Jahr auf 55% ansteigen. Der zweitgrößte Flüssiggas-Lieferant in die EU ist Russland. Um seine Pipeline-Exporte zumindest teilweise zu ersetzten, setzt Russland vermehrt auf Flüssiggas-Exporte. Zu diesem Zwecke wurde die Exportkapazität der bestehenden LNG-Terminals vergrößert und neue LNG-Terminals gebaut. Auch Algerien, Katar und Nigeria liefert beträchtliche Mengen an Flüssiggas in die EU. Daneben gibt es noch eine Reihe kleinerer Flüssiggas-Lieferanten aus Afrika (Ägypten, Kamerun und Äquatorial Guinea), dem Mittleren Osten (Oman und Vereinigte Arabische Emirate), aus Südamerika (Peru und Argentinien), aus Asien (Indonesien, Malaysia) und Australien.
Die größten Flüssiggas-Importeure in der EU sind Frankreich, Spanien, Italien, die Niederlande und Belgien. Laut EU-Komission verfügen derzeit 13 Mitgliedstaaten 4/ über die notwendige Infrastruktur für den Import von Flüssiggas. Die EU verfügt über ausreichende Kapazitätsreserven, um zusätzliche Flüssiggasimporte, auch aus den USA, zu importieren und so die russischen Gasimporte zu ersetzen.
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Entwicklung der Gaspreise
Im vergangenen Jahrzehnt waren die Gaspreise stabil, doch im 2. Jahr der Covid-Krise stiegen die Gaspreise als Folge gestiegener Nachfrage. Die Verknappung von russischem Pipelinegas nach Ausbruch des Russland-Ukraine Krieges im Jahr 2022 haben zu einen weiterem starken Preissprung der Gaspreise geführt. 2023 sanken die Preise, bevor sie im 2. Halbjahr 2024 wieder stiegen. Da Gas auch zur Stromerzeugung genutzt wird, stiegen auch die Strompriese entsprechend.
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Die höchsten Gaspreise für Haushalte verzeichnet Schweden, gefolgt von den Niederlanden und Italien. Laut ARERA (Autorità di Regolazione per Energia Reti e Ambiente) waren „Italiens Gasrechnungen im Jahr 2024 5,3 % höher als der Durchschnitt der Eurozone.“
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Zukunftsperspektiven
Bei dem Ende Juli 2025 geschlossenen Handelsabkommen zwischen der EU und den USA wurde unter anderem auch vereinbart, dass die EU zusätzliche Energieimporte in Milliardenhöhe in den kommenden 3 Jahren aus den USA importieren wird, was bedeutet, dass auch die Flüssiggasimporte aus den Vereinigten Staaten in die EU stark zunehmen werden.
Um bis 2027 vollständig von russischem Gas wegzukommen, setzen die Europäer vermehrt auf amerikanisches Flüssiggas. Die USA könnten dann Norwegen als wichtigsten Gasimporteur der EU überholen und die Nummer eins werden.
In der Vergangenheit wurde von den EU- Politikern immer wieder die Wichtigkeit der Diversifizierung und der Energiesicherheit bei den Gasimporten hervorgehoben. Schon unter US-Präsident Obama versuchten die USA die Europäer davon abzuhalten die Nord Stream 2 Pipeline zu bauen bzw. fertigzustellen, welche mehr russisches Gas nach Europa liefern sollte. Amerika argumentierte, Europa und vor allem Deutschland würde sich zu sehr von russischem Gas abhängig machen. Eine zu starke Abhängigkeit bei den Gasimporten von nur einem Land ist nicht wünschenswert, doch bei den von den USA im Jahr 2019 verhängten Sanktionen gegen die Nord Stream 2 Pipeline 3/ ging es den USA vor allem um ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen und weniger um die Sorge über eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischem Gas. Jetzt ist die EU dabei in eine starke Abhängigkeit von importiertem Flüssiggas aus den USA zu geraten. Ob eine US-Regierung unter Präsident Trump ein verlässlicher Partner für die EU ist, kann man zumindest bezweifeln, wenn man sich seine Zollverhandlungen oder seine erratische Geopolitik vor Augen führt.
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1/Deutschland war durch die Stilllegung der Nord Stream 1 Pipeline durch Russland, welche russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland lieferte, besonders stark betroffen. Die deutschen Chemie- und Pharmakonzerne (z.B. BASF, Bayer und Boehringer Ingelheim, Merck und Evonik etc.) gehören zu den größten der Welt. Anstatt günstiges Pipeline Gas aus Russland zu beziehen, mussten die deutschen Chemie-Konzerne teureres Flüssiggas, vor allem aus den USA kaufen. Als Folge der hohen Gaspreise kam es zu Produktionsrückgängen, Stellenabbau und zu Werksschließungen.
2/ Autogas (LPG=Liquified Petroleum Gas) ist flüssig und besteht aus Propan und Butan. LPG fällt bei der Erdöl- und Erdgas-Förderung sowie in Erdöl-Raffinerien an. Erdgas (CNG) wird komprimiert und behält seinen gasförmigen Zustand bei. Sowohl Autogas (LPG) als auch Erdgas (CNG= komprimiertes Gas) haben, verglichen mit Diesel und Benzin, weniger CO2 – und andere Schadstoff-Emissionen. In der EU ist Polen das Land mit den meisten LPG-betriebenen Autos gefolgt von Italien. Mit über 900.000 CNG-betriebenen PKWs liegt Italien in der EU mit großem Abstand an erster Stelle. Viele CNG-Autos können sowohl mit CNG als auch mit Benzin (oder Diesel) betrieben werden.
3/ Im Dezember 2019 beschloss die USA unter Präsident Trump Investoren sowie Firmen, die direkt am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt waren, mit Sanktionen zu belegen. Die Nord Stream 2 Pipeline verläuft weitgehend parallel zur bereits seit 2011 bestehenden Nord Stream 1 Pipeline und sollte ab Mitte 2020 Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr von Russland nach Westeuropa transportieren. Schon seit längerer Zeit gab es wegen des Baus dieser Pipeline Divergenzen zwischen Europa und den USA, aber auch innerhalb der EU war der Bau der Pipeline nicht unumstritten. Polen und andere osteuropäische Staaten fürchteten eine zu starke Abhängigkeit von russischem Gas, sowie eine Schwächung alternativer Pipelines und traditioneller Transitländer. Die Nord Stream 2 Pipeline wurde im Septembver 2021 fertiggestellt, wurde aber nie in Betrieb genommen. Die deutsche Regierung stoppte das Projekt kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Im September 2022 wurden 3 der 4 Lieferstränge der Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 durch Explosionen stark beschädigt. Bis jetzt ist nicht eindeutig geklärt, wer die Nord Stream Pipelines gesprengt hat. Es gibt zwar Ermittlungen und verschiedene Theorien, aber keine endgültige Bestätigung der Verantwortlichkeit.
4/ Belgien, Deutschland, Spanien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Italien, Litauen, Malta, Niederlande, Polen und Portugal.
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