Umwelt | Artenvielfalt

Ein Raum, viele Nutzer

Die Urban Nature Challenge 2021 hat auch dieses Mal viele – für das ungeschulte Auge – unerwartete und neue Tierarten zum Vorschein gebracht.
Silberreiher
Foto: Maurizio Azzolini

Wer hätte gedacht, dass am Sonntagmorgen am Rand des Flughafens in Bozen Süd 30 verschiedene Vogelarten von langen Flügen über die Alpen ausruhten oder in den feuchten Stellen nach Nahrung stocherten? Graureiher, Silberreiher, Kiebitz, der in Südtirol nicht mehr brütet und hier nur für kurze Zeit Rast einlegt, Rohrammer, Turmfalke, Lerche. Maurizio Azzolini von EBN Italia/Dolomiti Birdwatching beobachtet die Zugvögel am Flughafen schon seit vielen Jahren. Er meint, nichts Besonderes am Sonntag, für Nicht-Fachleute ist die Vogelliste stattlich. Seit Beginn der Pistenverlängerung ist es schwieriger geworden näher an die Vögel zu kommen und sie zu fotografieren. Luigi Mariotti von WWF Bozen schaute nach den ehemaligen Lebensräumen der Wechselkröte, die vor den Bauarbeiten im selben Areal lagen und verloren gingen.

Matteo Anderle von Eurac-Research kletterte auf den Bozner Pfarrturm und spähte durchs Spektiv, um die Vögel im Zentrum zu beobachten. Die Stadt zeigte sich der kleinen Gruppe von Menschen, wie die Vögel Bozen sehen. Die Expedition in den finsteren Dachstuhl des Doms ergab keine Hinweise auf Leben. Vielfältiger schaute es am Domplatz aus. Enrico Bissardella von der Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz Südtirol (AVK) zeigte auf einige Segler, die sich in der Mittagssonne über das Kirchendach jagten. Es sind Fahlsegler, die hellen Verwandten des Mauerseglers, der in Südtirol stärker verbreitet ist.

 

Inzwischen hatten Freiwillige unter der Regie von WWF Bozen Dutzende von Müllsäcken beisammen, die sie bei der Säuberung der Talfer-Ufer gefüllt hatten, mit Zigarettenstummeln und Gesichtsmasken vor allem, auch ein Fahrrad war dabei. Roberto Maistri von WWF Bozen erklärte Pflanzen und Tiere entlang der Ufersäume. Zum zweiten Mal findet Urban Nature von WWF Italien zusammen mit WWF Bozen, weiteren Vereinen, dem Naturmuseum Südtirol, Eurac Research und dem Landesamt für Natur statt. Bebaute und freie Bodenfläche, Bäche und Flüsse und der Wasserhaushalt, Stadtluft und die Filterwirkung der großen Bäume, der Temperaturanstieg in der Stadt durch Plätze, Mauern, hohe Häuser, es sind komplexe Themen, die Stadtplanung und Stadtnutzung herausfordern.

 

Um Pflanzen drehte sich alles im Orto Semirurali-Garten. Durch den Garten führten der Botaniker des Naturmuseums Südtirol Thomas Wilhalm und die Anthropologin Hilary Solly vom Verein Donne Nissà Frauen. Sie koordiniert die Gärtnerinnen und Gärtner aus 17 Nationen. Es ging an ganz unterschiedlich bewirtschafteten Beeten vorbei, je nach den kulinarischen Vorlieben der Gärtner.

Wilhalm zog das einjährige Berufkraut am Zaunrand heraus, erst in seiner Hand stieg das Interesse der Teilnehmenden am Berufkraut. "Eine Pflanze, die aus Nordamerika eingewandert ist, seit 1840 in Südtirol (das damals noch nicht so hieß) nachzuweisen". Er findet mehrere dieser „Pflanzenmigranten“ im Garten. Über den globalen Warentransport, mit Lieferungen von Pflanzen für Park- und Hausgärten, durch die Eisenbahn und Straßen breiten sich mediterrane und exotische Pflanzen aus. Manche können sich nach einer ersten Einbürgerungsphase, in der sie unauffällig in ihrer Nische bleiben, überall dort ausbreiten, wo die Lebensbedingungen passen. Bestes Beispiel: das Schmalblättrige Greiskraut aus Südafrika, das seit 1975 in Südtirol belegt ist. Die Stadt bietet viele höchst unterschiedliche Lebensräume. Wo Platz ist, nutzt ihn jemand, bis umgegraben und bebaut wird oder Häuser unbewohnt bleiben. Selten merken die Menschen die vielen Nachbarn anderer Natur.