The Show Mast go on
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In meiner Wohnsitzgemeinde gibt’s zurzeit großen Kummer. Grund dafür ist nicht etwa das in die Jahre gekommene Kindergartengebäude oder der zuverlässig überfüllte Schülerbus nach Algund, nein. Der Grund ist zwischen 8,80 und 9,80 Meter hoch, glänzt metallisch (weil aus Metall, jawohl) und säumt die Zugstrecke, die sich in zwei Schleifen nicht direkt durch den Ortskern, aber sehr wohl durch Apfelwiesen und Weinberge windet.
Eine Verschandelung, nein, eine „Vergewaltigung“ der Natur sei das. Grausig.
Plötzlich sind da, nach monatelangen Arbeiten zur Elektrifizierung der Vinschger Bahn, die hier verkehrt, viele hohe Masten aufgetaucht. Erwartbar, denn irgendwie muss der Strom ja zum Zug kommen, aber dass es dann so viele und so hohe Oberleitungsmasten werden würden, das hatte man offenbar nicht erwartet. Oder sich den Effekt zumindest nicht wirklich vorstellen können. Fast 10 Meter hoch, alle paar Meter einer: Geschenkt, sie fallen auf. Jetzt, wo die Kameraden da stehen, bereit, dem Zugele künftig Kraft einzuspeisen, ist das Entsetzen in der Bevölkerung groß: Eine Verschandelung, nein, eine „Vergewaltigung“ der Natur sei das. Grausig. Die Touristen werden uns weglaufen (Prags, are you listening?). Wie konnte das bloß passieren?Da fährt der Zug drüber.
In der Neuen Südtiroler Tageszeitung berichtet der Marlinger Bürgermeister, die Beschwerden kämen aus allen Ecken: HGV, Tourismusverein, SVP-Ortsgruppe, Heimatpflegeverein und Bauernbund hätten sich an ihn gewandt, gefordert wird zumindest die Kürzung der schiachen Masten. Zwischen 1,5 und 2 Metern sollen abgehobelt werden, wie bei den Masten im Bahnhofsbereich bereits erfolgt. Die STA aber sagt „njet“. Das seien Standardprodukte, die man nun nicht einzeln anpassen könne, meint Direktor Dejaco, bestimmt anderweitig arg gebeutelt gerade (Stichwort: Entwerter-Gate) und mutmaßlich ächzend unter den nun auch noch beleidigten Marlingerinnen und Marlingern. Da fährt der Zug drüber.
Was tun jetzt? Ich befürchte schon eine Klingelbeutel-Tour von Haustür zu Haustür, damit das Geld für die Kürzungen zusammenkommt, vielleicht wird eine neue Taxe eingeführt (Masten-Obulus), um die Abschneidungen zu finanzieren, vielleicht startet der Gemeinderat ein GoFundMe „Mastenkürzung jetzt!“. Vielleicht nehmen die Marlinger Bürger und Bürgerinnen das aber auch selbst in die Hand und rücken mit schwerem Gerät aus; unsere Feuerwehr ist sehr engagiert.
Die Verschandelung der Natur beginnt, wo der Mensch sich ausbreitet.
Dabei, lässt man den Blick schweifen, fällt anderes auf, das in Punkto Ästhetik auch nicht gerade preisverdächtig ist. Die Hagelnetze gleich neben der Zugstrecke: Melania Trump beim Papst? Die vielen, vielen Betonpfosten, an denen die verzwergten Apfelbäumchen Halt suchen. Moderne Skulpturen? Überhaupt, die Straße. Die Autos, die darauf fahren. Und auf der anderen Seite, im Tal unten, die MeBo. Wäre auch alles schöner ohne. Die Verschandelung der Natur beginnt, wo der Mensch sich ausbreitet. Aber so, wie uns obige Eingriffe eigentlich gar nicht mehr besonders auffallen, werden uns auch die metallenen Masten, die jetzt so peinlich berührt dastehen wie ungebetene Gäste, bald gar nicht mehr auffallen. Immerhin ermöglichen sie ein umweltfreundliches Transportmittel – wäre uns die mastenlose, luftverpestende Diesellok wirklich lieber?Die Tourismuswerbung kann sich indes ja bemühen, das veränderte Landschaftsbild mit dem ihr eigenen Schmus-und Kitschjargon zu poetisieren. Von „metallenen Phalli“ würde ich abraten, zu patriarchal-martialisch, da kommt kein Wellness-Feeling auf. Aber vielleicht die „süße Zahnspange“, die unsere Panoramastraße säumt? Das“ silberne Geschmeide, das sich zärtlich um die Weinberge legt“? Alles eine Frage der Perspektive.
Die Hagelschutznetze und die…
Die Hagelschutznetze und die Apfelplantagen stören die Marlinger:innen bzw. die Interessenverbände nicht?