Gesellschaft | Öffentlicher Raum

Bozens Gated Community

Anwohner des Bozner Stadtviertels Gries versuchen sich vom Rest der Stadt abzuschotten und merkwürdigerweise lässt sie die Stadtverwaltung gewähren.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Yorick Gasser

Wer an diesen Frühlingstagen nach Feierabend den Radweg vom Bozner Spital in Richtung Drususstraße nimmt, wird Zeuge eines eigenartigen Schauspiels. An jenem Abschnitt der neben dem Spitalsparkplatz vorbeiführt, versperrt eine Schranke die Weiterfahrt in den angrenzenden Weingartenweg. Der Alu-Sperrbalken und der danebenstehende Pfeiler sind gespickt mit Verbots- und Hinweisschildern. Neben zwei allgemeinen Durchfahrtsverbotsschildern, schmückt die Schranke noch ein Durchfahrtsverbotsschild für Fahrräder, ein "Privatbesitz"-, ein "Betreten auf eigene Gefahr"-, sowie ein "frei für Anrainer"-Schild. Schließlich schmückt das Szenario noch eine Hinweistafel mit der durchgestrichenen Abbildung eines Hundes, der gerade seine große Notdurft verrichtet, mit darunter stehenden Text: "Konsorzialweg". Um die Aussage dieser unfreiwillig komischen Schildercollage zusammenzufassen: “Wenn man schon unbedingt in diese private Straße will, dann ohne Fahrrad oder defäkierenden Haustieren.” Die Zufahrt mit Autos oder Motorrad sind ohnehin nur Anrainern gestattet. Der üppigen Beschilderung zum Trotz, passieren die Stelle Radfahrer, Spaziergänger und Jogger fast im Sekundentakt. Zwischen der Schranke und den angrenzenden Zäunen ist kein Platz um die Absperrung ohne Bücken zu überwinden. Radfahrer müssen ihr Rad umständlich schräg unter dem Sperrbalken durchschieben. Einige der vorbeikommenden Fahrradfahrer machen das sehr geschickt, was offensichtlich von täglicher Übung zeugt. Andere haben schon eher ihre Mühen. Eine Mutter mit Kindersitz auf ihrem Fahrrad scheint sichtlich erleichtert zu sein, als ein zufällig vorbeikommender Autofahrer die Schranke per Fernbedienung öffnet. Zwei Schweizer Fahrradtouristen stehen, eine Landkarte in der Hand, teils ratlos, teils sichtlich belustigt, vor der Szenerie und sind nicht sicher, ob sie es auch wagen sollen hier durchzufahren. Das gibt wohl den Eidgenossen eine erzählenswerte Anekdote, wenn sie wieder von ihrem Italienurlaub zurück sind.

Ein Blick auf die Karte Bozens offenbart, wieso sich so viele Menschen dem Verbot hinwegsetzen. Es ist nicht so, dass man sich hier in eine kurze Sackgasse, die ins nirgendwo führt, verlaufen würde. Nein, der Weg durch den “Grieser Grünkeil” erspart nicht nur Zeit, sondern ist zudem viel angenehmer als über die vielbefahrene Drususstraße, welche für Radfahrer nicht ungefährlich ist. Der Grieser Grünkeil ist jene große Fläche von Weinparzellen, alten Höfen und neuen Villen, die sich unweit des Grieser Platzes in Richtung Westen ausdehnt. Er wird oft als die grüne Lunge Bozens bezeichnet. Als solche wird die Fläche gegen Verbauung immer wieder von Anrainern als schützenswerte Grünzone verteidigt. Die Argumentation weist auf ein zu wahrendes öffentliches Interesse hin, das mit dem Erhalt des Status quo verbunden ist. In Wahrheit sind die Schildbürger wohl nicht so sehr an einer guten Luft für Ihre Bozner Mitbürger interessiert, sondern möchten einfach Ihre Ruhe haben und lästige Eindringlinge fernhalten. Man muss dazusagen, dass die Zufahrt in den Grieser Grünkeil nicht gänzlich mit Schranken versperrt ist. An der Alten Mendelstraße und der Vittorio-Venetostraße gelangt man zwar barrierefrei in die verbotene Zone, mehrere strategisch platzierte Schranken innerhalb des Grünkeils verhindern aber das Queren dieses Stadtgebiets. So ist prinzipiell jede Stelle mit dem Auto erreichbar und Postboten oder Lieferanten können die Höfe und Villen erreichen. Man möchte sich schließlich nicht die Pizzalieferung oder das Paket von Amazon vor dem Krankenhaus abholen.

Es stellt sich unweigerlich die Frage, wieso man einer Nachbarschaft, die einen beträchtlichen Teil der Fläche Bozens besiedelt, erlaubt sich vom Rest der Stadt abzuschotten? Solcherlei Grenzziehungen kennt man von sogenannten 'gated communities' in Ländern die von extremer ökonomischer Ungleichheit und schwacher Zivilgesellschaft geprägt sind, wo sich eine kleine Oberschicht von Rest der Bevölkerung abkapselt - aber in Südtirol? Man fragt sich, ob es nicht schon Privileg genug ist, in einer für den motorisierten Verkehr gesperrten Zone zu wohnen. Sogar die Krankenwagen des angrenzenden Krankenhauses müssen einen Umweg fahren, wobei sich die Transportzeit um oft lebenswichtige Minuten verlängert. Warum wird der Grieser Grünkeil sogar für Fahrradfahrer und Fußgänger gesperrt? Wenn auch schamlos, so ist es zumindest nachvollziehbar, dass sich die Anrainer abschotten. Für den Preis der Wartungskosten des privaten Straßennetzes, bekommen die Anrainer ein exklusiven Wohnraum. Das hebt nicht nur die das Wohlbefinden (einiger weniger), sondern auch die Grundstückspreise. Jedoch ist es merkwürdig, wieso die Gemeine Bozen dies zulässt und das Straßennetz nicht schon längst enteignet hat - im Interesse der Mehrheit der Bozner Bevölkerung.

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Bernd Zagler Di., 16.05.2017 - 20:33

Enteigung von Privatbesitz ist doch eine zu extreme bzw. kommunistische Forderung, eine Benutzungsmöglichkeit der Privatstraße durch Radfahrer und Fussgänger würde eigentlich ausreichen (ist ja anderswo auch möglich, z.B. Wandern und Mountainbiken auf privaten Alpenwegen, auch der Etschtaler Radweg darf streckenweise von Traktoren benützt werden, oder sind diese Beispiele nicht vergleichbar? Versicherungsrechtliche Aspekte müssen natürlich geklärt werden, aber wo der Wille, da ein Weg!)...nichtsdestoweniger halte ich doch die Situation des Grieser Grünkeils für schizofren: auf der einen Seiten handelt es sich um Privateigentum, auf der anderen Seiten bestehen die Vorzüge öffentlicher Dienstleistung, welche Vorort aktiv sind (Müll, Post, Licht, Abwasserkanäle)...wer bezahlt diese? Die Privateigentümer oder der allgemeine Steuerzahler? Außerdem kann nicht mehr geleugnet werden, dass der landwirtschaftliche Charakter des Grünkeils durch neu gebaute Wohneinheiten verändert wurde...

Di., 16.05.2017 - 20:33 Permalink
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Ein Leser Mi., 17.05.2017 - 07:49

Antwort auf von Bernd Zagler

Guten Morgen Herr Zagler,

ich stimme Ihnen zu, dass eine Nutzung der Privatwege für Wandern, Radfahren u.ä. In Südtirol eigentlich recht gut funktioniert, auch weil bisher im Großen und Ganzen die Nutzer der Wege gewisse Benimmregeln haben (Keine Schäden anrichten, nicht Müll wegwerfen, auf den Wegen bleiben u.ä.).
In der idealen Situation respektiert die Allgemeinheit das Privateigentum und der Private lässt eine gewisse Nutzung durch die Allgmeinheit zu.

Als kleine Ergänzung oder Zusatzinfo zu Ihrem Kommentar: Der Etschtaler "Radweg" gehiört zu den sogenannten übergemeindlichen Radrouten auf denen per Gesetz eine Mischnutzung (also landw. Fahrzeuge (nur Berechtigte) PKW (nur Berechtigte) Räder und Fußgänger) vorgesehen ist. Auch weil die größten Teile dieser Radrouten auf Gütererschließungswegen errichtet worden sind und nur eine Dienstbarkeit für den Fahrradweg besteht.

Mi., 17.05.2017 - 07:49 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Di., 16.05.2017 - 21:21

Enteignung! Enteignung! Damit sich der Bozner ja nicht unter eine Schranke bücken muss. Dann noch der Vergleich mit Gated Communities: herrlich! Die rotroten Kleinstadtintellektuellen sind immer wieder ein Lacher wert!

Di., 16.05.2017 - 21:21 Permalink
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Daniele Menestrina Di., 16.05.2017 - 21:49

Ist das nun Privatgrund oder nicht? Als vor einigen Jahren die Kanalisation dort zu erneuern war ging das auf Kosten der Bozner Allgemeinheit. Soviel man sagt einige Millionen. Als ich dagegen in einem anderen Stadtviertel ein Rohr zu meinem Haus verlegen musste habe ich die 100 Meter auf der Privatstrasse selbst zahlen müssen.
Wär das nicht was für den Rechnungshof gewesen ?

Di., 16.05.2017 - 21:49 Permalink
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Profil für Benutzer Schorsch Peter
Schorsch Peter Mi., 17.05.2017 - 19:08

Es mag bestimmt noch andere Regionen geben, aber ich kenne keine, wo es so viele landwirtschaftlichen Wege mit Schranken gibt wie in Bozen und Umgebung.
Und es mag mir nicht einleuchten, wieso man diese nicht für Fussgänger und Radfahrer freigeben kann.
Da gäbe es für Radfahrer einen (fast) autoverkehrsfreien Weg vom Grieser Platz zum Krankenhaus, und stattdessen muss man den Radweg an der äußerst vielbefahrenen Straße verwenden, bzw. ein kleines Wegstück muss auch auf der Straße zurückgelegt, und diese dann überquert werden, um auf den Radweg zu kommen. Nebenbei, der Radweg hätte aus meiner Sicht so gar nicht gebaut werden müssen, hätte man die Privatstraße für den Radverkehr aufgemacht.
Ich verstehe ja, dass man auf den betroffenen Privatstraßen keine Autos und keine motorisierten Zweiräder haben will, aber welchen Schaden richten dort Radfahrer an?
Vielleicht kann mir ja jemand erklären, wieso die Schranken und das Radfahrverbot notwendig sind?
Oder gibt es vielleicht keine echten Gründe, und es sind einfach nur einflussreiche Personen, die laut "meins, meins, meins" schreien, und Angst haben, sie könnten irgendetwas verlieren? Nur, was können sie verlieren?
Wenn diese Angst der Grund ist, würde ich mich freuen, wenn mir die Betroffenen erklären könnten, weshalb sie sich von Radfahrern bedroht fühlen. Denn leider reicht da meine Vorstellungskraft und oder Intelligenz nicht aus.
Danke, wenn mir jemand diese Frage, dir mir schon seit Jahren immer wieder durch den Kopf geht, endlich beantworten könnte - gerne auch Anwohner dieser Straßen - ich lerne gerne dazu!

Und wieso es der Stadt Bozen wohl nicht möglich ist, eine Durchfahrt für Radler durchzusetzen? Das wäre auch noch so eine Frage...

Mi., 17.05.2017 - 19:08 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 17.05.2017 - 20:39

Antwort auf von Schorsch Peter

"Und wieso es der Stadt Bozen wohl nicht möglich ist, eine Durchfahrt für Radler durchzusetzen? Das wäre auch noch so eine Frage..."
Ganz einfach: weil es eine privater Konsorzialweg ist! Es handelt sich auch nicht um eine Notwendigkeit sondern um eine Entscheidung die in der Freiheit der Besitzer und Anreiner liegt. Es wird den Radfahrern die Durchfahrt auch nicht verwehrt, sie müssen sich einfach nur bücken... Ich hab so den Eindruck als würde man wieder mal aus einer Mücke einen Elefanten machen, die Stadt Bozen hat auf jeden Fall weit aus größere Probleme.

Mi., 17.05.2017 - 20:39 Permalink
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Schorsch Peter Mi., 17.05.2017 - 21:50

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Und bei privaten Konsorzialwegen kann man nicht auch Lösungen finden? Wo ein Wille ist, ist auch ein (Fahrrad-)Weg! Aber es fehlt wohl an dem Willen der Anrainer und Besitzer, was auch immer ihr Problem mit den Radfahrern ist.
Die Radfahrer müssen sich übrigens nicht nur bücken, sondern auch das Verbotsschild ignorieren...
Was passiert eigentlich, wenn ich das Schild ignoriere? Von der Stadt Bozen kann ich ja dann eigentlich keine multa bekommen, oder?
Wie gesagt, ich kenne keinen einzigen Ort, wo es diese Schranken-Mentalität gibt - landwirtschaftliche Wege gibt es auch woanders, nur besteht dort nicht das Bedürfnis, diese abzusperren!
Dass die Stadt Bozen weitaus größere Probleme hat, bestreite ich nicht, aber das ist nicht Thema dieses Artikels.

Mi., 17.05.2017 - 21:50 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 17.05.2017 - 22:20

Antwort auf von Schorsch Peter

Sie sagen es! Es ist eine Frage des Willens. Wenn jemand nicht will, dann will er nicht: so einfach ist das und ja Strafen dürfen auch auf öffentlich genutzten Privatwegen ausgestellt werden. Somit können sich die Radfahrer bücken und ihre Räder schieben, aber wie es scheint drücken die netten Anreiner bei den meisten doch ein Auge zu und rufen nicht die Polizei. Schranken und Durchfahrts wie Durchgangsverbote gibt es auch auf Gartenwegen und Durchgängen von Kondominien wenn sie von einer Straße in die andre führen und auf unzähligen Privat und Konsorzialwegen in der Stadt und auf dem Land.

Mi., 17.05.2017 - 22:20 Permalink
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Schorsch Peter Mi., 17.05.2017 - 22:45

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Es wird wohl an meiner mangelnden Intelligenz liegen - aber ich kann autobreite Konsorzialwege und Gartenwege bzw. Durchgänge von Kondominien nur sehr begrenzt als Gleichzusetzendes erkennen, und verstehe auch nicht, weshalb die Anrainer, wenn sie so nett und freundlich sind, doch die Schranke rad- und Fussgänger(!)-dicht zumachen müssen - es gibt auch Schranken, die Autofahrern das Durchfahren versperren, aber einen Durchgang für Radfahrer und Fussgänger offen lassen, so ist das z.B. bei Forstwegen meist der Fall.
Und ja, es mag sein, dass Strafen, auf öffentlich genutzten Privatwegen ausgestellt werden dürfen (dazu kann ich nichts sagen), aber in diesem Fall darf die Straße doch gar nicht öffentlich genutzt werden, oder habe ich die Schilder falsch verstanden?

Mi., 17.05.2017 - 22:45 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 17.05.2017 - 23:03

Antwort auf von Schorsch Peter

"Und ja, es mag sein, dass Strafen, auf öffentlich genutzten Privatwegen ausgestellt werden dürfen (dazu kann ich nichts sagen), aber in diesem Fall darf die Straße doch gar nicht öffentlich genutzt werden"
Sie haben den Nagel auf dem Kopf getroffen! Hab nach kurzer Recherche raus gefunden, dass ich falsch lag! Bei einer Schranke kann auf der privaten Straße nicht gestraft werden, somit müssen die Anreiner machtlos zusehen wenn Radfahrer ihren Weg benutzen: die armen!

Mi., 17.05.2017 - 23:03 Permalink