Politik | Schülertransport

„Eine surreale Situation“

Anna Scarafoni (FdI) legt auf einer Pressekonferenz ein Dossier vor, das deutlich macht, dass die Situation beim Transport von Schülern mit Beeinträchtigung unhaltbar ist.
Scarafoni
Foto: Seehauserfoto
  • Ich werde mich mit dem zuständigen Landesrat Philipp Achammer darüber unterhalten müssen“, sagt Anna Scarafoni irgendwann an diesem Vormittag auf der Pressekonferenz im Südtiroler Landtag, „denn diese Situation ist nicht mehr tragbar
    Man merkt es der Fraktionsvorsitzenden von Fratelli d’Italia an. So ganz ist die Bozner Politikerin noch nicht in ihrer Rolle als Mitglied der Regierungsmehrheit angekommen. Scarafoni hat ihr ganzes, politisches Leben in der Opposition verbracht – ähnlich wie ihrer freiheitliche Kollegin Ulli Mair – und die Mittel und Instrumente dieser Oppositionsarbeit verinnerlicht. Das sind Anfragen, Nachforschungen und Pressekonferenzen, um auf Missstände hinzuweisen.
    Genau das tut Anna Scarfaoni auch an diesem Donnerstagvormittag. 
    Es geht dabei um ein Thema, das seit Monaten Südtirols Öffentlichkeit bewegt: Die Neuvergabe des Dienstes für den Transport von Schülern mit Beeinträchtigung. Schon in der Einleitung stellt die FdI-Politikerin eines klar: „Über 290 Familien sind mit ihren betroffenen Kindern in ganz Südtirol auf diesen Dienst angewiesen, aber seit Neuvergabe funktioniert das Ganze nicht mehr“.
    Man merkt, dass das Thema die FdI-Politiker wirklich bewegt. Denn Anna Scarafoni weiß, wovon sie redet. Sie und ihre Familie gehören zu den 290 betroffenen Familien. „Es geht auch darum, ob das Land die Bedürfnisse der Bürger erfüllt“, sagt sie mit Nachdruck, „oder ob es umgekehrt sein muss.

  • Die Übernahme

    Die Vorgeschichte ist bekannt. Die vom Land finanzierten Fahrdienste für Kinder, Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen war in den vergangenen Jahren vom “Adlatus – Verein für Menschen mit Beeinträchtigungen EO und Easy mobil GmbH” durchgeführt wurden. „Der Verein hat eine exzellente Dienstleistung angeboten“, sagt Anna Scarafoni, „und es bestand ein direkter Kontakt zwischen den Eltern und den Fahrern“. Das habe es auch ermöglicht unterschiedlichste Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen.
    Eine fällige Neuausschreibung hat 2024 aber ein anderes Südtiroler Unternehmen gewonnen; Die Alpin Bus Service SRL des Unterlander Bus-Unternehmers Karl Dibiasi, der seit Jahrzehnten auch im öffentlichen Nahverkehr mitmischt.

  • Schülertransport für Schüler mit Beeinträchtigungen: Adlatus soll den Auftrag zurückbekommen.
  • Bei der Übernahme des Dienste mit 1. Mai 2024 kam es zu Ausfällen, Pannen und Unzulänglichkeiten, die die Wogen hochgehen ließen. Trotz Nachbesserungen von Seiten des Unternehmens scheint sich die Situation bisher aber nicht entscheidend geändert zu haben. Anna Scarafoni hat sich bereits vor Wochen dieses Themas im Südtiroler Landtag angenommen. Sie habe daraufhin – wie sie sagt – „Nachforschungen“ aufgenommen. Mit einem erschütternden Ergebnis „Ich habe innerhalb von sechs Tagen 68 konkrete Beanstandungen, schriftliche Schilderungen und Hinweise erhalten“, sagt Scarafoni auf der Pressekonferenz.

  • Pizzaiolo und Rippenbruch

    Aus diesen Hinweisen stellt Anna Scarafoni an diesem Vormittag einige Episoden vor. Etwa das Schicksal einer Begleitperson aus dem Eisacktal. Die Frau hatte sich, wie vorgeschrieben, im Bus angeschnallt. Doch während der Fahrt wurde ihr Sitz in einer Kurve aus der Verankerung gerissen und stürzte um. Die Folgen: Der Bruch zweier Rippen. „Die Frau, die uns um Anonymität ersucht, hat uns ihren Bericht samt ärztlichem Befund der Ersten Hilfe des Krankenhauses Brixen zur Verfügung gestellt“, erklärt Anna Scarafoni. Auf der Pressekonferenz wurde die ärztliche Diagnose auch vorgelegt: Die Heilungsdauer15 Tage.

  • Anonymisiertes Krankenattest: In der Kurve der Sitz gebrochen. Foto: Seehauserfoto
  • Ebenso schildert die FdI-Politikerin eine andere Episode, die zwischen Heiter und Grotesk liegt. Einer dieser überprüften Hinweise beschreibt eine Begebenheit mit einem Fahrer, der offensichtlich nicht mit Fahrzeugen einer bestimmten Größenordnung vertraut war. „Kein Wunder, denn im Hauptberuf ist dieser Fahrer Pizzabäcker“ berichtet  Scarafoni. Dieser Fahrer habe den Eltern und Begleitpersonen offen erklärt, dass er die Schüler am Nachmittag nicht mehr abholen und nach Hause bringen könne, weil er zu diesem Zeitpunkt seiner Arbeit in der Pizzeria nachgehen müsse.

  • Ein klarer Vertragsbruch?

    Diese Vorfälle seien – laut Scarafoni – aber nur die Spitze des Eisbergs. Sehr häufig wird das Fehlen von Begleitpersonen aufgeführt, ebenso das komplette Ausfallen vorgesehener Fahrten oder der Transport mit Fahrzeugen, die nicht geeignet sind. 
    Die Situation ist inzwischen surreal geworden“, sagt die Landtagsabgeordnete, „es ist augenscheinlich, dass jede Empathie und Sensibilität im Management dieses Dienstes fehlen.“
    Die FdI-Politiker wirft auf der Pressekonferenz aber auch eine Frage auf, die vertragsrechtlich für das Unterlandler Busunternehmen durchaus brisant sein könnte.
    Es geht um einen Fernsehbericht der regionalen RAI, der am 29. April 2024 in den Nachrichten ausgestrahlt wurde. Dieser Bericht enthält auch ein Interview mit dem Mietwagenunternehmer Claudio De Chiara, der erzählt, dass er am Abend vorher um 21 Uhr vom Zuschlagsempfänger des Schülertransportes kontaktiert worden sei, um am nächsten Morgen einen Schülertransport zu übernehmen. 

  • Pressekonferenz im Landtag: „Was immer es kostet“. Foto: Seehauserfoto
  • Ich wollte wissen, ob die Firma Alpinbus, die die Ausschreibung gewonnen hat, diesen Dienst laut Wettbewerb so weitervergeben darf“, sagt jetzt Anna Scarafoni und liefert auch gleich die Antwort mit. Die FdI-Fraktionssprecherin: „Es stellte sich heraus, dass laut den zuständigen Landesämtern bis zum Zeitpunkt des Interviews weder Genehmigungen angefragt noch genehmigt wurden“.
    Genau das ist aber ein augenscheinlicher Verstoß gegen die Ausschreibungsbedingungen.
    Anna Scarafoni will jetzt die fast 70 Hinweise in Form eines gesammelten Berichtes bei den zuständigen Landesämter hinterlegen. „Dieses Dossier ist noch lange nicht abgeschlossen“, sagt sie. 
     „Glücklicherweise beginnen nun die Sommerferien, sodass der Schülertransport ebenfalls in die Sommerpause geht“ meint die Politikerin, „ich werde die Zeit aber nutzen, um das Problem zu lösen, was immer es kostet“.
    Anna Scarafoni legt dabei auf der Pressekonferenz auch eine klare Forderung und Lösung vor. „Wir werden verlangen, dass der Dienst dem früheren Betreiber Adlatus zurückgegeben wird.

Bild
Profil für Benutzer Martin Sitzmann
Martin Sitzmann Do., 13.06.2024 - 12:46

Es scheint offensichtlich, dass der Wettbewerbsgewinner die Dienstleistung nicht in der nötigen Qualität erbringt, auch nach der anfänglichen Umstellungsphase nicht.
Worauf will man noch warten, um wie bei Tundo zu reagieren?

Do., 13.06.2024 - 12:46 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Klemens Riegler
Klemens Riegler Do., 13.06.2024 - 23:45

Abgesehen vom Rest ... (Ich mag die Scarafoni sonst eigentlich nicht, aber in dieser Sache muss ich ihr Respekt zollen) ... erstaunt mich auch die ärztliche Diagnose für zweifachen Rippenbruch: Heilungsdauer 15 Tage ?!? Also in der Regel dauert so eine Heilung allemal 6 Wochen, wenn nicht zwei Monate. Zudem war es ja eigentlich ein Arbeitsunfall = Inail-Zuständigkeit ... und da müssten es mindestens 6 Wochen sein. ODER dieses Krankenhaus-Attest stimmt SOO nicht ganz!?!
P.s. Rippenbruch kann ziemlich schmerzhaft sein > weit über 15 Tage hinaus.

Do., 13.06.2024 - 23:45 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Josef Ruffa
Josef Ruffa Fr., 14.06.2024 - 07:38

Der LH sollte ein Machtwort sprechen, aber wenn‘s brenzlig wird schweigt er. Nur im Schein der nationalen und internationalen Lichter glänzt er.

Er gleicht mit jedem Tag mehr, im Verhalten, einem deutschen in Ungnade gefallenen Kanzler, OLAV SCHOLZ.

Probleme muss man angehen und anpacken, nicht aussitzen.

Fr., 14.06.2024 - 07:38 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Elisabeth Garber
Elisabeth Garber Fr., 14.06.2024 - 07:40

Seit 20 Jahren spart man bei den Lehrern (welche bzgl. Solidarität ,beeinträchtigt' sind), nunmehr spart man beim Behinderten-Transport.
Eine wahrlich surreale Situation für alle Betroffenen.

Fr., 14.06.2024 - 07:40 Permalink