Politik | Irre Bündnisse

Explosiver Mix aus Religion und Ideologie

Der Siegeszug der ISIS-Milizen hat absurde Koalitionen geschaffen. Dabei ist die Türkei kein Einzelfall.

In den letzten 48 Stunden habe ich in Istanbul auf verschiedenen Wochenend-Partys die diplomatischen Vertreter von drei EU-Staaten, eines NATO-Staates, den Vertreter der Weltbank in der Türkei, einen Top-Manager einer türkischen Grossbank und mehrere Wirtschaftsbosse kennenengelernt . Alle waren sich darin einig, dass die Lage in der Türkei und in den angrenzenden Staaten angespannt sei, wie nie zuvor. 

Doch bei der Diskussion über die Vorgangsweise, um den ISIS-Terror zu stoppen,  wurde mir klar, dass es keine linearen Lösungen geben kann. Zuviel Geschichte, Religion und Ideologie lasten auf dem "fruchtbaren Halbmond", in dem das Alphabet, das erste Gedicht, also die Zivilisation entstanden ist. Und zuviele Fehler hat das " Abendland " dort begangen, als dass es einfache Lösungen geben könnte. Denn das machtpolitische Vakuum, das die westliche Allianz im Irak hinterlassen hat, machte den derzeitigen Siegeszug  von ISIS erst möglich. 

Die Türkei in der Person des sunnitischen Staatsoberhauptes Erdogan hat sich für eine Politik entschieden, die den Siegeszug von ISIS erst dann stoppt, wenn die Kurden in die Knie gezwungen sind. Seitdem sich der IRAK und SYRIEN in Auflösung befinden, haben sich dort in den kurdischstämmigen Gebieten autonome Regierungen gebildet. Die türkischen Kurden haben diese Entwicklung unterstützt, in der Hoffnung auf die Bildung eines eigenen Staates, der alle Landsleute , auch jene des Iran, vereint. 

Vor einem unabhängigen Kurdistan fürchtet sich deshalb nicht nur die Türkei, sondern auch der Iran.  Die schiitischen Machthaber in Teheran greifen in den Krieg gegen ISIS derzeit nur indirekt ein: durch die Unterstützung der schiitischen Regierung in Bagdad ,  die den sunnitischen ISIS-Milizen bisher nichts entgegensetzen konnte.  Militärberater und Waffen aus Teheran sollen die demotivierten irakischen Truppen erfolgreicher machen. Der Iran  hilft aber auch dem geächteten syrischen Diktator Assad , ebenfalls aus religiösen Gründen.    

Unterstützung erfährt Assad auch durch  Russland, was wiederum die NATO stark irritiert. Der Konfliktherd Ukraine ist gar nicht so weit entfernt. Er liegt direkt am schwarzen Meer, wie auch - auf der gegenüberliegenden Seite - die Türkei. 

Die seltsamsten Akteure im Kampf gegen den ISIS-Terrorstaat sind aber die arabischen Staaten. Katar unterstützt offiziell die amerikanischen Luftangriffe gegen ISIS. Gleichzeitig aber finanziert der extrem islamische Staat Katar die ISIS-Milizen, die ja einen Gottesstaat errichten wollen.

Saudi Arabien hat nach anfänglichem Zögern die amerikanischen Angriffe auch logistisch unterstützt.  Die wahabitischen Machthaber gehören in der US-Aussenpolitik weiterhin zu den Untastbaren . Die US-Rüstungsindustrie würde ohne die Waffenbestellungen aus Riad in eine schwere Krise stürzen. Auch unterhalten die USA wichtige Militärstützpunkte in Saudi Arabien, die sich bis jetzt, im Kampf gegen ISIS , als unentbehrlich erwiesen haben. 

Deshalb werden im heuchlerischen Westen beide Augen zugedrückt, wenn in Saudi Arabien weiterhin öffentliche Hinrichtungen per Säbel stattfinden, wenn Hände abgehackt und Frauen gesteinigt werden. Für westliche Standards doch recht ungewöhnlich -  aber die US-Politikerfamilie Bush hatte sich nie daran gestossen, war sie ja im Geschäft mit dem saudischen Unternehmer Laden, dem Vater des Al Qaida Führers Osama Bin Laden.

Wenn also über skandalöse Bündnisse debattiert wird, dann steht die Türkei durchaus nicht alleine da. Die ISIS-Mörder unterscheiden sich von den saudischen Henkern vor allem darin, dass sie die Enthauptungen zu Propagandazwecken benutzen , während die saudiarabische Regierung diese " unfeinen " Methoden unter den Teppich zu kehren versucht .