Sepp ex machina
-
„Blind Husbands“, zu deutsch als „Blinde Ehemänner“ dem Publikum angeboten, ist der Debütfilm von Erich von Stroheim und im „Mekka for American Tourists, Cortina d’Ampezzo“ angesiedelt, wo sich Beziehungsdramen vor „alpiner“ Kulisse abspielen. Abgedreht wurde die Geschichte aus von Stroheims Feder und mit ihm in der Rolle des österreichischen Generals Erich von Steuben, freilich in Kalifornien. In Anbetracht des Jahrhunderts, das zwischen damals und heute liegt, ist es oft amüsant oder erschreckend, wie viele der Klischees und Allgemeinplätze in dem Sepp Innerkofler gewidmeten Spielfilmdrama sich hartnäckig und fast unverändert gehalten haben. Dieser Blick von außen im ungewöhnlichen Format ist am zweiten von Vincenzo Bugno kuratierten Bolzano Film Festival Bozen - Ausgabe 37 - ein mutiger Schritt aber keinesfalls einer, den man allein tut. Unterstützung kam für das Projekt Live-Vertonung vom Südtirol Jazzfestival.
-
Kalle Kalima am Schlagzeug und -werk, Tatu Rönkkö an der Stromgitarre und Delphine Joussein an der Querflöte als Stimm- und Effektkünstlerin der Runde stellten sich der Herausforderung des 100 Minuten langen Films. Verglichen mit den vorangegangenen 40-minütigen Worten zur Eröffnung von den Organisatoren und - recht knapp - auch der Politik, verging die Zeit wie im Fluge. Erfreulich war zu erfahren, dass man im Jahr 2023 im Filmclub einen Besucherzuwachs von 50 Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor verzeichnen konnte und es wurde auch noch einmal auf den kürzlich erfolgten Ankauf des Capitol-Kinos und die Unterzeichnung des Mietvertrags hingewiesen.
Es herrschte Aufbruchsstimmung. Im Zusammenspiel mit dem Film konzentrierten sich die drei Sound-Beauftragten eingangs auf sorgsam zurückhaltende Hintergrundklänge, die sich zu Stimmungsbildern oder Momenten mit großem Pathos-Bedarf aufbrausten und komplexere Strukturen spielten. Gerade die Filmfassung des selten gewordenen Dokuments, eine vom Österreichischen Filmmuseum 2021 restaurierte Kopie, machte das Erlebnis noch einmal stimmungsvoller. Zum einen durch die sorgsam sanften Tönungen, etwa in Sepia bei warmem Licht, in Blau im Mondschein und in Rosa im Dolomitenglühen. Diese Färbung wurde dem Originalskript von Stroheims gemäß (in den Archiven von Universal Studios wiedergefunden), vorgenommen. Zum anderen steigert die Stimmung des Kinoerlebnisses die viele liebevolle Kleinarbeit an Requisiten und Kulissen, die irgendwo schmeichelnde Liebe für den alpinen Kitsch, der von „Af da Olm gibts koa Sünd“, über allerlei Hintergrundnippes bis zur Figur des „Sepp“, dem ur-tiroler Klischee eines Bergführers reicht. Stoisch und schweigsam, pfeifenrauchend, recht verwildert, mit dem Herz ganz dem Berg gehörend und einer in den Textkarten vage ausgedrückten Spiritualität ist Sepp relativ zweidimensional und ein nützliches Werkzeug für die Handlung. Am Ende darf er dann die Aufgabe übernehmen, die der Rettungshubschrauber in heutigen Alpen-TV-Dramanzen hätte.
Sicher waren Berge vor hundert Jahren - auch wenn sie hier mehr durch Perspektiv-Tricks oder im Detail einer Felswand, eines Gipfels oder Grates entstehen - noch einmal heiliger in den Augen der Menschen als heute aber dennoch wirkt diese amerikanische Perspektive mit Wendungen wie „Thus, the Mountain had spoken“ überhöhend. In ihr werden besonders der Südtiroler Sepp und etwas auch die italienischen Figuren zu einer exotischen Projektionsfläche. Ohnehin sollten unsere Identifikationsfiguren als Zuseher historisch wohl eher die beiden amerikanischen Touristen, die Armstrongs, ein Ehepaar, sein.
Robert, ein amerikanischer Chirurg, der zum puritanischen Moralkodex der Zeit passt und seine in unerfüllter Liebe sich verzehrend dahinschmachtende Frau, Margaret, die als Figur wesentlich spannender ist als er. Zu Fuße der Dolomiten treffen die Urlauber auf den Provinzcasanova, den von Stroheim spielt, den Österreichischen Leutnant. Schnell entsteht überraschend nuancierte Spannung zwischen den beiden Männern, die von Stroheim ambivalent aufgreift und uns in der restaurierten Fassung mit Männern konfrontiert, die wesentlich schlechter wegkommen als unsere Protagonistin Margaret. Diese erscheint uns zwar nicht gleichgestellt mit den Männern, doch es ist klar, dass ihr die Sympathie der Kamera ganz gehört. Schön ist, dass der Film das aus heutiger Sicht als toxisch einzustufende Verhalten der beiden „Husbands“, auch wenn diese ungeschoren davonkommen, zumindest nicht gutheißt.
Nach einem Ende, das wenig überzeugend und glatt ist, weil es noch einmal den moralischen Sollzustand der Zeit erreichen muss - Sepp ex machina sei dank, er löst alle Probleme - bleibt ein Abend der musikalisch spannend und technisch einwandfrei umgesetzt wurde. Die Musiker waren konzentriert bei der Arbeit und nahmen sich dabei auch für den einen oder anderen akustischen Gag Zeit um auch zu unterhalten und Spannung wo angemessen wieder zu lösen. Es bleiben große Bilder und Emotionen in Erinnerung, die trotz Debüt-Status des Werkes einen sehr charakteristischen Regieschriftzug aufweisen. Nachdenklich stimmt, wie viel man nach 1919 vom Gezeigten noch kennt.
So, aber auch nur wirklich so, lässt man sich eine Nabelschau - die eigentlich geographisch keine ist - gefallen: Aus einer neuen, in diesem Fall alten Perspektive.
Noch bis kommenden Sonntag, 21. April bietet das Bolzano FIlmfestival Bozen sein Programm online, oder vor Ort in Papierform an. Rund 100 Titel sind heuer bei 80 Aufführungsterminen zu sehen.