Kultur | Blick ins Land

Verborgener Kulturschatz

Die deutschen Sprachinseln in Italien: kleine, abgeschiedene Gemeinschaften, in denen man bis heute eine „Joagsack“, einen „Rukzakh“ oder einen „Plucklsòk“ packt.

„Wanderer, du stehst am ‚teitschn Stoan’, einem der südlichsten Punkte im geschlossenem deutschen Sprachraum. Er gestattet dir einen Blick weit hinein ins Welschland“, ist auf einer Bronzetafel an einem Felsvorsprung auf dem Fennberg im Unterland zu lesen. Die Inschrift weist den aufmerksamen Spaziergänger auf die Lage Südtirols an der Grenze zwischen deutschem und italienischem Sprachraum hin. Zwischen den Zeilen deutet der Text an, dass es auch südlich der Salurner Klause noch deutsche Sprach- und Kulturgemeinschaften gibt: deutsche Sprachinseln.

Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen

„bou ist..?“, fragen die Bewohner des Fersentales/Bersntols im Trentino nach einer Ortsangabe. „Die Sprachinseln liegen abgeschieden auf Hochebenen, am Fuße von Gletschern, an der Quelle von Flüssen... kurzum: dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen“, erklärt der Aldeiner Luis Thomas Prader, der aufgrund seines leidenschaftlichen Engagements mitunter als „Sprachinselpapst“ bezeichnet wird. Die kleinen Sprach- und Siedlungsgemeinschaften befinden sich inselartig inmitten eines anderssprachigen Gebietes. Lusern und Fersental im nahen Trentino sind vielen Südtirolern noch ein Begriff, dass es aber darüber hinaus eine außerordentliche sprachliche und kulturelle Vielfalt gibt, wissen nur die wenigsten: Walser in Aosta und im Piemont, Zimbern in den Dreizehn und Sieben Gemeinden sowie in Kansilien, die Gemeinschaften von Plodn, der Zahre und von Tischlbong sowie das Kanaltal am Dreiländereck Italien-Österreich- Slowenien.

Die deutschen Sprachgemeinschaften in Oberitalien liegen abgelegen und inselartig inmitten eines anderssprachigen Gebietes (Quelle: Archiv Prader)

Für die deutschen Sprachinseln gibt es keinen Pariser Vertrag

Jede der Sprachinseln hat ihre eigene Geschichte und demzufolge ihre besonderen Eigenarten: Die deutschsprachigen Siedler des Mittelalters und der frühen Neuzeit brachten ihre Sprache und ihre Kultur in eine neue Heimat mit. In einer über Jahrhunderte andauernden Abgeschiedenheit bewahrten diese archaischen Sprachen, die auf alemannische, bairische und tirolerisch-kärtnerische Wurzeln zurückgehen, bis heute ihre ursprüngliche Form. Während die Fersentaler und die Zimbern im Trentino in ihrem Fortbestehen und ihrer Anerkennung von der geografischen Nähe zum deutschen Sprach- und Kulturraum sowie vom Sonderstatut der Region Trentino-Südtirol profitieren, sind andere Sprachinseln auf sich allein gestellt und fast in Vergessenheit geraten. Südtirol und das Kanaltal in der Provinz Udine verbindet hingegen eine gemeinsame Geschichte: Beide Gebiete gehörten bis 1919 zum Habsburgerreich, wurden mit dem Friedensvertrag von St. Germain von Italien annektiert und litten als sprachliche Minderheit unter dem Faschismus. Im Zuge der Option wanderten im Kanaltal 70 Prozent der Bevölkerung ab – und kehrten nicht mehr zurück. Wenn Südtirol in diesem Jahr anlässlich „70 Jahre Paket“ an das Abkommen zwischen dem österreichischen Außenminister Karl Gruber und dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi 1946 erinnert - die Grundlage der Autonomie - so wird eines bewusst: „Für die deutschen Sprachinseln gibt es keinen Pariser Vertrag“, erklärt Prader. Wohl auch deshalb appellierte der Historiker und Journalist Bernhard Wurzer in seinem Buch „Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien“ bereits im Jahr 1969, dass das Schicksal dieser Gebiete die besondere Aufmerksamkeit der Südtiroler verdiene.

Sprachinseln in ihrer Vielfalt erhalten

Die Sprachinseln zeugen von einer großen Vielfalt verschiedener Sprachformen, wie etwa die beiden Walsergemeinschaften von Gressoney und Issime aufzeigen. Nur etwa zehn Kilometer voneinander entfernt liegen die beiden Dörfer zwar im selben Tal, haben sich im Laufe der Jahrhunderte jedoch unterschiedlich entwickelt: Wem in Gressoney „ébél“ isch, der geht zum „dokter“; in Issime ist einem aber „übbil“ oder „nöit wol“, sodass man einen „oarzat“ aufsucht. Diese großen Unterschiede auf kleinem Raum, aber auch die überschaubare Zahl aktiver Sprecher machen die Bewahrung der Sprachen zu einer wahren Herausforderung. „Dazu kommt, dass die Sprachinselmenschen mit ihrer sehr ortsgebundenen Sprache außerhalb des Dorfes wenig oder nichts anfangen können“, erklärt Prader. Ob eine Ortsprache weitergeben wird und überleben kann, hänge daher wesentlich vom Elternhaus ab. Lange Zeit als minderwertige Sprachen betrachtet, gelte es daher, vor allem jungen Menschen deren kulturellen Wert zu vermitteln: Ein Anliegen, das die Sprachinseln verbindet, die sich in einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen haben, damit die historischen Sprachinseln auch in Zukunft „lebendige“ Sprachinseln bleiben. Und damit sich eine Reise zu den abgelegenen Sprach- und Kulturgemeinschaften auch zukünftig lohnt, denn „es gibt so unendlich viel Unbekanntes zu sehen und zu hören“, schwärmt Luis Thomas Prader und lädt zu einem Besuch der Sprachinseln ein.

 

Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Die Weinstraße erschienen.

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Benno Kusstatscher Di., 21.06.2016 - 23:47

Hmm, wenn der Schutz sprachlicher Minderheiten Aufgabe der Autonomie ist, was ist dann der Auftrag an die anstehende Autonomiereform?

Di., 21.06.2016 - 23:47 Permalink