Umwelt | Heimatpflege

Voran mit Blick zurück

Nach Corona darf nicht vor Corona sein, mahnen Südtirols Heimatpfleger. “Wir müssen uns alle hinterfragen”, sagt Obfrau Claudia Plaikner.
Schindeldach im Ultental
Foto: Othmar Seehauser

Kritisch zurück und visionär nach vorne. Die Coronakrise hat den Blick der Heimatpfleger nicht getrübt. Im Gegenteil. “Wir haben uns in unserer Arbeit und unserem Wunsch nach mehr Zurückhaltung, Rückbesinnung auf das Wesentliche, das Beständige und Wertvolle oft bestätigt gefühlt”, sagt Claudia Plaikner. Und jetzt, da Corona und die Krise in den Hintergrund zu treten scheine, “darf man diese Haltung nicht über Bord werfen: Jeder von uns wird seinen Umgang mit Natur- und menschlichen Ressourcen hinterfragen müssen, wenn wir den Bestand unserer kleinen und großen Heimat auch für die Zukunft sichern wollen”.

Mit diesen mahnenden Worten wandte sich Plaikner als Obfrau des Heimatpflegeverbandes Südtirol an diesem Wochenende an die versammelten Mitglieder. Seit 1949 hat sich der Verband dem Naturschutz, dem Denkmal- und der Baupflege sowie der Bewahrung von Kulturgütern verschrieben. Heute bündelt der Verband 37 Vereine mit 4.850 Mitgliedern. Auf der 71. Vollversammlung, die am Samstag (12. Juni) in St. Ulrich stattfand, erinnerte Obfrau Plaikner an den Auftrag der Heimatpfleger – und ehrte den langjährigen Geschäftsführer Josef Oberhofer. Er verabschiedet sich nach 30 Jahren Ende des Monats in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird Florian Trojer.

 

“Uns ist bewusst, dass die Zeit nicht angehalten werden kann, und das ist auch nicht unser Bestreben”, erklärt Oberhofer auf der Webseite des Heimatpflegeverbandes. “Was jedoch heute an Veränderung geschieht, ist in der Geschichte ohne Beispiel, sodass wir es als unsere Aufgabe erachten, die an echten kulturellen Werten ärmer gewordene Gesellschaft zu sensibilisieren.” Den Zeigefinger erheben und mahnen, wenn die Heimat in Gefahr ist – das sehen die Heimatpfleger auch sieben Jahrzehnte nach der Gründung des Verbandes als ihre oberste Aufgabe. Oberhofer will dabei mit einem Fehlglauben aufräumen: “Allzu oft wird heute noch ‘Heimat’ und auch ‘Heimatpflege’ mit sentimentalem Glanz und verklärtem Gestern verwechselt: Heimat als heile Welt. Rückwärtsgewandte Schwärmer, unverbesserliche Nostalgiker sind nur einige Bezeichnungen, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden. Dies ist ein grobes Missverständnis: Die heimatpflegerische Praxis ist sehr vielschichtig und vorausschauend. Ihre Tätigkeit ist in die Zukunft gerichtet. Dafür ist zwar manchmal auch der Blick zurück notwendig, denn aus den Fehlern der Vergangenheit können wir lernen und die heutige Situation besser erfassen. Es geht in der Heimatpflege aber nie um die Erhaltung des Alten, weil es alt ist, sondern weil es gut ist.

Nicht gegen die Wirtschaft richte sich der Einsatz der Heimatpfleger, aber gegen eine ausufernde Gier und für eine gesunde Umwelt und unversehrte Naturlandschaft. Großprojekte wie der Flughafen und die “problematische Inszenierung der alpinen Landschaft” sind ein Dorn im Auge. “Halten wir die Berge frei von künstlich geschaffenen Beigaben”, bringt es Claudia Plaikner auf den Punkt. Sie verweist auf die Aussichtsplattform auf der Grawand im hinteren Schnalstal – um den “Iceman Ötzi Peak” hat sich der Heimatpflegeverband vergangenen Sommer einen heftigen Schlagabtausch mit den Schnalstaler Gletscherbahnen AG geliefert –, die Eröffnung eines so genannten Fun-Klettersteigs im Naturpark Texelgruppe und die geplante Neuauflage des Glasturms am Rosengarten. Der 2019 aufgetauchte Plan für das Besucherzentrum “TTD – Touch the Dolomites” wurde mittlerweile überarbeitet. “Und das Schreckgespenst kehrt nun noch auffälliger, in der Lage noch exponierter und vor allem größer als zuvor zurück”, haben Heimatpfleger, Natur- und Umweltschützer sowie Alpenvereine jüngst mit Entsetzen festgestellt. Die erst kürzlich sanierte Kölner Hütte würde abgerissen, ein siebenstöckiges Glaskonstrukt mehr als 20 Meter aus dem alpinen Gelände ragen, finanziert als PPP-Projekt zwischen Land und Latemar Karersee GmbH. “Für uns ist klar, dass dieser Neubau dazu dient, eine neue Attraktion für das Skigebiet Karersee/Carezza zu schaffen und dadurch die neue Kabinenbahn auszulasten”, halten die Kritiker fest.

 

In ihrer Rede ging Plaikner auch auf die Klimakrise ein. Diese werde alle für die Alternative “entweder umstellen oder untergehen” stellen. “Dennoch gibt es in Südtirol Unternehmer, die dieser Herausforderung zum Trotz auf Flugverkehr und dabei sogar kürzere Strecken wie Bozen-Parma setzen.”

 

2021 widmet der Südtiroler Heimatpflegeverband dem Thema “Baukultur”– als Reaktion auf einige Gebäudeabrisse im Vorjahr, mit denen “wertvolle historische Bausubstanz” verloren gegangen sei, so Plaikner. “Mehrere denkmal- bzw. ensemblegeschützte Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht oder sind stark bedroht.” Neben einem Weckruf an Politik, Gemeinden, Bauherren und Gesellschaft – “wenn die einzigartige Baukultur der Südtiroler Täler und Landschaften verschwindet, verschwinden auch die Authentizität und ein wesentlicher Teil der Attraktivität Südtirols” – lancieren die Heimatpfleger gemeinsam mit der Architekturstiftung die Veranstaltungsreihe “Baukultur für alle!?”.