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Gefährliche Verlängerung

Der Sanitätsbetrieb will das Urteil des Verfassungsgerichts zu den Primar-Ernennungen umgehen. Jetzt gibt es im Sanitätsbezirk Brixen einen prominenten Versuchsballon.
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Foto: Othmar Seehauser
Der Beschluss Nr. 1187 des Südtiroler Sanitätsbetriebes ist ein juridischer Hochseilakt. Florian Zerzer, Pierpaolo Bertoli, Enrico Wegher und Marianne Siller begeben sich damit auf ein gefährliches Minenfeld.
Zu augenscheinlich ist der Versuch ein Urteil des Verfassungsgerichtes auszuhebeln und auf Zeit zu spielen, dort wo es weder nötig noch angebracht ist.
Der Ausgangspunkt ist ein „Erdbeben in Südtirols Spitälern“. Auf der Grundlage von Urteilen des Verfassungsgerichtes und des Oberlandesgerichtes Trient müssen 52 Primare, deren Ernennung oder Verlängerung nicht rechtmäßig erfolgt ist, um ihre Stelle bangen.  Es ist die Folge eines hausgemachten Südtiroler „Pasticcio“.
 

Der Sonderweg

 
Staatsweit gibt es bei der Ernennung der Primare eine klare Regelung. Nach Ausschreibung der Wettbewerbe prüft eine Kommission die Kandidatinnen und Kandidaten. Die Mitglieder dieser Kommission stammen zum Teil aus dem betreffenden Sanitätsbetrieb, und zum Teil sind es externe Fachleute. Wobei die Mehrheit der Kommissionsmitglieder von außerhalb kommen muss.
 
Sanitätsbetrieb, Direktion.jpg
Generaldirektion des Sanitätsbetriebes: Brixner Versuchsballon?
 
 
 
Diese Kommission erstellt dann eine Rangliste der Kandidatinnen und Kandidaten, und der Generaldirektor kann jemand aus den drei Erstgereihten zum Primar ernennen. Überspringt er dabei den oder die Erstgereihte/n muss er diese Ernennung zudem begründen.
Beide Bestimmungen zielen darauf ab, die Inzucht und die politischen Mauscheleien bei den Ernennungen in den Krankenhäusern zumindest einzudämmen.
In Südtirol hingegen hat man sich für den völlig entgegengesetzten Weg entschieden. Nach dem Landesgesetz Nr. 4 aus dem Jahr 2017 ist die Prüfungskommission ausschließlich mit Fachleuten aus dem Sanitätsbetrieb zusammengesetzt. Zudem erstellt die Kommission am Ende nicht eine Rangordnung, sondern nur eine Liste der Geeigneten.
Aus dieser Liste kann der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes dann die Primaria oder den Primar auswählen, ohne die Wahl begründen zu müssen. Zudem steht dem zuständigen Bezirksdirektor ein Vorschlagsrecht zu.
In der Realität heißt das: In Südtirol wird nur Primar, wer der Sanitätsführung genehm ist.
 

Das Urteil

 
Dieser Südtiroler Sonderweg führte aber in eine Sackgasse. Ein Bozner Kardiologe klagte vor dem Arbeitsgericht gegen seine Nichternennung zum Primar. Das Oberlandesgericht Trient gibt dem Kläger recht und spricht ihm 37.950 Euro an Schadenersatz sowie - bis zur Neuausschreibung der Stelle - monatlich 3450 Euro zu.
In diesem Verfahren kommen aber auch die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen zur Sprache und das Arbeitsgericht ruft das Verfassungsgericht an. Dieses Höchstgericht kommt am 7. Juni 2022 zum Schluss, dass das Südtiroler Verfahren in diesen Punkten verfassungswidrig ist.
 
corte costituzionale
Verfassungsgericht: Südtiroler Sonderweg in die Sackgasse.
 
 
 
Weil dieses Urteil sich bereits abgezeichnet hat, reagierte die Politik schon vorher. Bereits am 13. September 2021 wird per Dekret des Landeshauptmannes der Ernennungsmodus und die Zusammensetzung der Auswahlkommission abgeändert und den staatlichen Grundsätzen angepasst. Damit schien das Problem gelöst.
Die große Frage aber: Was passiert mit den falsch ernannten Primaren? Die klare Antwort: Sie werden zwischenzeitlich zum „geschäftsführenden Primar“ zurückgestuft. Gleichzeitig muss das Auswahlverfahren so schnell wie möglich, nach den geltenden Bestimmungen wiederholt werden.
 

Das Gutachten

 
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts hat der Südtiroler Sanitätsbetrieb bei der Staatsadvokatur in Trient ein Gutachten eingeholt, um zu klären, wie es weitergehen soll.
Im Gutachten heißt es unmissverständlich:
 
Infolge der im Urteil des Verfassungsgerichtshofes Nr. 139/2022 ..[…].. wird eine Verlängerung der nunmehr abgelaufenen aber aufgrund der als verfassungswidrig eingestuften Bestimmungen erfolgten Beauftragungen als rechtswidrig oder zumindest als höchst unratsam angesehen“.
 
Zudem heißt es an einer anderen Stelle:
 
„Wie bereits im Vorfeld ausgeführt, wenn einerseits ein einseitiger Eingriff in die bestehenden Führungsverhältnisse (Primar) aus arbeitsrechtlicher Sicht zwar problematisch und schwer zu rechtfertigen erscheint, muss eine Verlängerung oder Erneuerung dieser Beauftragungen nach deren Ablauffrist als rechtlich unhaltbar angesehen werden“
 
Klare Worte: Möchte man meinen.
 

Der Notausgang

 
Dass diese Gangart den Primaren bitter aufstößt, dürfte verständlich sein. Deshalb sucht die Führung des Sanitätsbetrieb nach einem Notausgang. Dieser scheint jetzt gefunden. Mit dem Beschluss Nr. 1187 wurde diese Woche ein Präzedenzfall geschaffen. Es geht um die Verlängerung des Vertrages des Primars Roger Pycha.
 
Muss eine Verlängerung oder Erneuerung dieser Beauftragungen nach deren Ablauffrist als rechtlich unhaltbar angesehen werden“
 
Gutachten der Staatsadvokatur Trient
 
Pycha leitet seit Jahren den „Psychiatrischen Dienst“ im Gesundheitsbezirk Brixen. Seine Ernennung erfolgte im September 2018 unter den Voraussetzungen, die jetzt vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurden. Demnach müsste auch dieses Auswahlverfahren nach den neuen Spielregeln wiederholt werden.
Der Vertrag Pychas als Primar ist am 31. August 2023 verfallen. Deshalb will man den Vertrag als Primar um weitere zwei Jahre verlängern, so wie es im ursprünglichen Landesgesetz vorgesehen war. Doch das geht jetzt nach den deutlichen Gerichtsurteilen nicht mehr.
 
Pycha, Roger
Primar Roger Pycha: Als Primar jetzt einfach ad interim verlängert.
 
 
 
Deshalb hat man sich jetzt an der Spitze des Sanitätsbetriebes eine neue Masche erfunden. Dazu benützt man das Rechtsgutachten, das in Wirklichkeit genau das Gegenteil sagt.
Denn im Gutachten der Staatsadvokatur wird am Rande auch über die Notwendigkeit gesprochen, dass der öffentliche Dienst gewährleistet sein muss. Dazu heißt es im Rechtsgutachten, dass „eine solche (unvermeidliche) Übergangssituation – d.h. ein geordneter Übergang zur rechtmäßigen Ordnung bei der Übertragung von Primariaten – nicht über die unbedingt erforderliche Zeit hinaus dauern kann.“
Und genau das ist der Notnagel, an den sich die Sanitätsführung jetzt festklammert.
Mit dem diese Woche gefassten Beschluss wird der Vertrag Roger Pychas „mit Wirkung ab dem 01.09.2023 für den als notwendig erachteten Zeitraum bis zur Abwicklung des neuen Auswahlverfahrens und der Ernennung des/der Gewinners/in ad interim zu verlängern".
Wie der Sanitätsbetrieb aber erklären will, warum er nicht ein neues Auswahlverfahren rechtzeitig einleiten kann, wird schwierig werden.
Aber man zählt, wie so oft, auf eine alte Binsenweisheit: Wo kein Kläger, da kein Richter.
In der Hoffnung, dass man sich nicht schon wieder täuscht.
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Hans Unterholzner Do., 14.09.2023 - 15:08

Was soll man dazu sagen, man kann sich nur mehr wundern! Es wäre eigentlich die Kompetenz unseres L.H. dafür zu sorgen dass endlich klare gesetzeskonforme Entscheidungen in der Sanitätseinheit getroffen werden. Die professionelle Beratung scheint auch hier wie in anderen Bereichen zu fehlen, schade.

Do., 14.09.2023 - 15:08 Permalink