Kultur | Salto Afternoon
(Außer)irdische Brunnen?
Foto: ©ar/ge kunst
Foto Luca Guadagnini
2023
Foto Luca Guadagnini
2023
Eine Warnung vorab: Das Herzstück der Ausstellung ist eine als Videodokumentation aufgezeichnete Expert:innen-Konferenz, die letzte Woche in englischer Sprache stattfand. Untertitel in derselben Sprache helfen beim besseren Verständnis, aber eine Übersetzung ins Deutsche oder Italienische fehlt. Hier wurden Aspekte der Ausstellung „And remember that holes can move“ vertieft und ein erweiternder, globaler Blick auf mit „The Fountains of Za’atari“ artverwandten Projekten und Fragestellungen geworfen, sowohl aus philosophischer, als auch aus juristischer und künstlerischer Perspektive.
Diese liefern Margherita Moscardini (Künstlerin), Prof. Stacy Douglas (Künstlerin; Rechtstheoretikerin; Professorin für Rechtswissenschaften an der Carleton University in Ottawa, Kanada), Prof. Isabel Feichtner (Professorin für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Würzburg), Prof. Lawrence Liang (Dekan der School of Law, Government and Citizenship an der Ambedkar University Delhi, Indien), Prof. Francesco Palermo (Leiter des Instituts für Vergleichende Föderalismusforschung, Eurac Research, Bozen), Prof. Nora Sternfeld (Kunstvermittlerin und Kuratorin; Professorin an der HFBK Hamburg; Co-Leiterin des Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien) und Dr.in Alexandra Tomaselli (Senior Researcher am Institut für Minderheitenrecht, Eurac Research, Bozen). Das etwas mehr als halbstündige Video auf den Spuren von Kunst ohne Staatszugehörigkeit ist spannend anzusehen und schaut sich dabei wie der Auftakt einer größeren Diskussion, welche hier aber allerhöchstens zu einem offenen Ende findet.
Ebenso beinhaltet die Bozner Ausstellung „And remember that holes can move“ (kuratiert von Zasha Colah und Francesca Verga) ein weiteres Video, das aber auf ähnlicher Distanz zur Lagerrealität bleibt: Dronenflüge von 2015 über das Lager, welches 2012 gegründet wurde und bis zu 150.000 Bewohner hatte. Heute sind es noch 80.000 (letzte offizielle Zahlen stammen von 2022). Somit zählt Zaatari - nahe der Syrischen Grenze im Norden Jordaniens gelegen - nach wie vor zu den größten Flüchtlingslagern der Welt, erfüllt aber gleichzeitig einige Kriterien einer Stadt: Viele der Einwohner arbeiten in den umliegenden Feldern, es sind Souks, Restaurants, Geschäfte, Friseurläden, Bäckereien und Metzgereien, Supermärkte und vieles mehr entstanden, das dem eigentlich temporären Charakter eines Lagers widerspricht. Das alles sehen wir aus der Vogelperspektive, in Reihen von gleichförmigen Siedlungsblöcken, welche die Vielfalt des Lagerlebens nur erahnen und menschliche Schicksale nur als Andeutung aufscheinen lassen.
Eines der Elemente einer de-facto städtischen Entwicklung, die als solche aber aus juristischer Sicht untersagt ist, sind die Brunnen. Durch den fehlenden Stadtstatus dürfen auch keine dauerhaften Baumaterialien, wie Zement, der etwa in Brunnen verbaut ist, eingeführt werden. Die Brunnen wissen von ihrer Illegalität nichts und sprudeln einfach trotzdem. In der Ar/Ge Kunst ist einer dieser Brunnen als auf den Kopf gestelltes, im Maßstab 1:10 nachgebautes Model vorzufinden (siehe Titelbild). Der Nachbau stammt aus der Projektreihe „The Fountains of Za’atari“, welche 2017 von Margherita Moscardini ins Leben gerufen und 2018 in der Fodazione Pastificio Cerere vorgestellt wurde. Mit Hilfe von durch zwei Jurist:innen ausformulierten Vorschlägen sollen die Brunnen im Lager und die sie umgebenden halböffentlichen Innenhöfe zu extraterritorialen Räumen werden, was sie aus den vom Nationalstaat auferlegten Beschränkungen entbinden würde. Eine reizvolle Utopie (Wortursprung vom altgriechischen von οὐ - ou „nicht“ und τόπος tópos „Ort, Stelle“), die gerade dann spannender wird, wenn man sich vor Augen ruft, dass spekulative Gesetzestexte - so Lawrence Liang - zu den großartigsten Werken der Science Fiction zählen würden.
Wie Science Fiction liest sich auch das schlanke, dreisprachige Büchlein, das es für kleines Geld in der Galerie zu kaufen gibt, jeweils an einer anderen Stelle gelocht, was eine Textstelle pro Seite dem Territorium des Buches enthebt. Enthalten ist ein unterhaltsamer, augenzwinkernder Bericht an den „Direktor des Amts für gutartige Belastungen“ des „Ministeriums für irdische Angelegenheiten“, der vor dem Verschwinden von Kunstwerken, welche sich scheinbar in Luft aufgelöst haben, warnt. Die Kunst in dieser Fiktion hat es geschafft, sich Nationalstaaten zu entheben.
Noch sind die Brunnen ohne Staat also Zukunftsmusik, ein schönes Gedankenspiel, zu dem die Ar/Ge Kunst auch die Provinz eingeladen hat, bei welcher der Vorschlag deponiert wurde, einen autorisierten Nachbau eines Lagerbrunnens im Maßstab 1:1 zu realisieren und in den öffentlichen Raum zu stellen. Es wäre ein weiterer Fingerzeig in die richtige Richtung, für welche Stacy Douglas das vielleicht radikalste Plädoyer der Konferenz setzt, gegen den Mythos der Souveränität von Staaten. Niemand sei unabhängig oder souverän: „We are born of another. Our death is experienced by others.“ Da durch uns alle dieselbe Luft und dasselbe Wasser zirkulieren würden, wäre es nur wichtig und richtig vom Mythos eines Nationalstaates fortzukommen.
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