Gesellschaft | Musiklehrer

Warten auf Godot

Der Ausbildungsaufwand für angehende Musiklehrer des Bozner Konservatoriums ist immens. Dabei sind sie gegenüber in Österreich Studierenden klar im Nachteil.
Musiker
Foto: (c) Pricilla Du Preez, unsplash.

“Ma chi me lo fa fare, di studiare al Conservatorio di Bolzano, se, studiando in Austria, in solo quattro anni riesco a ottenere una formazione abilitante per l’insegnamento e, in più, mi regalano 15 punti per la graduatoria provinciale?”, fragt sich der Direktor des “Claudio Monteverdi” Konservatoriums in Bozen, Giacomo Fornari. Während in Österreich studierende MusikerInnen nach vierjähriger Ausbildung auch in Südtirol die Unterrichtsbefähigung erlangen, stehen die Südtiroler StudentInnen nach drei Jahren Bachelor- und weiteren zwei Jahren Masterstudium am Konservatorium noch immer vor der Hürde, die nötige Lehrbefähigung für den Musikunterricht zu erlangen. Nun versuchen sich Betroffene einen eigenen Weg zu bahnen. Die uneinheitlichen Regelungen für Schultypen und Sprachgruppen sorgen jedoch für Verunsicherung und Chaos.

 

Musikschule anders als Mittel- und Oberschule

 

Das Erlangen der Lehrbefähigung ist eine nicht unbedeutende Hürde. Für die Musikschulen – oder genauer, um den Zugang zu den Landesranglisten für den Unterricht an den Musikschulen zu erlangen, müssen die Kandidaten eine in Italien gültige Lehrbefähigung vorweisen. In Italien wird diese über den “concorso nazionale a cattedra” erlangt; ein Wettbewerb, der alle drei Jahre ausgetragen werden sollte, konkret aber 2016 das letzte Mal stattfand und auch weiterhin aufgeschoben wird. Ohne diese Lehrbefähigung müssen die Kandidaten auf die Supplenzstellen der Schulranglisten hoffen. Was den Unterricht an den Landesmusikschulen betrifft, gelten für alle drei Sprachgruppen dieselben Voraussetzungen.

 

Für die Aufnahme in die Landesrangliste für den Stammrollenunterricht an den Südtiroler Mittel- und Oberschulen gibt es hingegen gravierende Unterschiede zwischen den drei Sprachgruppen: Während die italienische Sprachgruppe – sich an die staatlichen Vorgaben anlehnend – auch hier vergebens auf die Austragung der Wettbewerbsverfahren hofft, hat sich die Landesregierung zusammen mit der Bildungsdirektion für die deutsche und ladinische Sprachgruppe einen 2-jähriger Lehrgang zur Erlangung der Lehrbefähigung an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen ausgedacht. (Anmerkung: Auch von italienischer Seite bemühe man sich für die Zukunft einen ähnlichen Lehrgang auszuarbeiten; konkret wurden aber noch keine Schritte gesetzt, so Giacomo Fornari).

 

Kritik auch am Lehrgang

 

Prinzipiell ist ein praxisorientierter Lehrgang zum Erlangen der Lehrbefähigung eine interessante Alternative zu den rein prüfungsorientierten nationalen Wettbewerben. Konkret wirft die Ausarbeitung des Lehrgangs jedoch einige Fragen auf: Es gibt bis heute noch keine genauen Richtlinien, was Inhalt und Struktur des im akademischen Jahr 2022/23 startenden und im Drei-Jahresrhythmus auszutragenden Lehrgangs betrifft. Verständlich, wenn bedacht wird, dass sich der Lehrgang noch in Ausarbeitung befindet. Unverständlich für jene, die – nach oftmals langjähriger Praxiserfahrung und mit einem Bachelor- und Masterabschluss in der Hand – für weitere Jahre in ihren Berufs- und Planungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. 

Dazu kommt: Um überhaupt für den Lehrgang in Frage zu kommen, muss nebst dem abgeschlossenen Bachelor- und Masterstudium ein Lehrauftrag von 6 Wochenstunden, der von Unterrichtsbeginn bis mindestens 30. April andauert, vorgewiesen werden. Studenten haben also kaum eine Chance, direkt nach dem Studium in den Lehrgang einzusteigen. Sei es, weil dieser nur alle drei Jahre ausgetragen wird, sei es, weil sie keinen Lehrauftrag ergattern konnten.

Unverständlich für jene, die – nach oftmals langjähriger Praxiserfahrung und mit einem Bachelor- und Masterabschluss in der Hand – für weitere Jahre in ihren Berufs- und Planungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. 

Das Konservatorium, also die Experten im Bereich Musikunterricht, wurde zudem kaum in die Ausarbeitung des Curriculums einbezogen. Wie Direktor Giacomo Fornari betont, sei dem Konservatorium, wie von Rechtswegen vorgeschrieben, zwar ein Plan vorgelegt worden, von gemeinsamer Ausarbeitung und Zusammenarbeit könne jedoch keine Rede sein. Er habe mehrfach versucht, sich selbst mit der Bildungsdirektion in Verbindung zu setzten, aber keine Antworten auf seine Anfragen erhalten, berichtet Fornari. So sei nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch das vorläufige Ergebnis enttäuschend ausgefallen, so Fornari.

 

Schwierigkeiten nicht nur auf dem Papier

 

Den ungefähren und langwierigen Plänen der Bildungsdirektion stehen konkrete Schicksale gegenüber. Evi Mair, aktive Sängerin mit langjähriger Erfahrung im Musikunterricht – 25 Jahre Stammrolle als Grundschullehrerin für Musik nach entsprechender Ausbildung –, befindet sich nach einem dreijährigen Bachelorstudium in Jazzgesang am Konservatorium Trient nun im zweiten und letzten Jahr ihres Masterstudiums in Musikdidaktik am Bozner Konservatorium. Mairs Berufsziel: Musikunterricht an Mittel- und Oberschulen des Landes.

Während in Österreich Studierende nach vier Jahren Studium direkt auf den Landesranglisten für den Musikunterricht an Mittel- und Oberschulen begrüßt werden, liegt für Mair dasselbe Berufsziel in weiter Ferne: Mair, die jahrelange Erfahrung im Musikunterricht aufweisen kann und die Beherrschung ihres Instruments Stimme im Laufe ihres Studiums durch zahlreiche Prüfungen unter Beweis stellen konnte, muss mindestens ein weiteres Wartejahr und zwei berufsbegleitende Jahre für den Erwerb der Lehrbefähigung in Kauf nehmen. Ob sie überhaupt zum neuen Lehrgang zugelassen wird, ist dabei noch fraglich.

Mairs Schicksal ist aber kein Einzelfall. Laut Mair befinden sich mindestens 40 weitere Studenten und ehemalige Studenten des Bozner Konservatoriums in einer ähnlichen Situation. Tendenz steigend, wie Giacomo Fornari einwirft, da die Unsicherheit im Musikbereich viele in Richtung der lehrenden Tätigkeit dränge. Einige der Betroffenen haben sich in einem gemeinsamen Schreiben an den Bildungslandesrat für die deutsche Schule, Philipp Achammer, gewandt, dessen Antwort ernüchternd ausfiel. Auf Rückfrage seien keine weiteren Auskünfte erteilt worden.

 

Aufgrund der prekären Situation, in der sich viele Musikstudenten und ehemalige Musikstudenten befinden, wurde vor Kurzem eine studentische Initiative ins Leben gerufen. Wie Andrea Ranieri, ehemaliger Violinstudent des Konservatoriums “Claudio Monteverdi” und Anwärter für den Musikunterricht an den Landesmusikschulen erklärt, habe man gemeinsam mit den Studenten der verschiedenen Sprachgruppen einen Vorschlag ausgearbeitet. Dieser wird nun an alle Betroffenen zur Unterzeichnung weitergeleitet und soll schon in Kürze den verschiedenen Bildungsdirektionen vorgelegt werden. “Man hat in Südtirol durch die Autonomie die einzigartige Möglichkeit der hoffnungslosen Situation, was die Lehrbefähigung für Musiklehrer im restlichen Italien betrifft, durch einen eigenen Weg entgegenzuwirken. Diese Möglichkeit muss genutzt werden, um faire und nachvollziehbare Bedingungen für die Studenten aller Sprachgruppen sowie die in Italien und Österreich Studierenden zu schaffen”, so Ranieri, der im Namen der studentischen Initiativgruppe des Konservatoriums spricht.

 

Grenzgebiete und Autonomie

 

Wie sieht aber die diesbezügliche Rechtslage aus? Zuerst zur Anerkennung der in Österreich erlangten Lehrbefähigung: Landesrat Achammer verweist diesbezüglich auf die EU-Bestimmungen zur Anerkennung der Berufsqualifikationen: “[diese] sehen vor, dass eine Person ihre Berufsqualifikation, die sie in einem Mitgliedstaat der EU erworben hat, in einem anderen Mitgliedstaat anerkennen lassen kann. Ausgangspunkt ist dabei die Qualifikation, welche die Person im Herkunftsland besitzt: Wenn in Österreich der IGP-Abschluss zum Unterricht musikalischer Unterrichtsgegenstände an mittleren und höheren Schulen (5. bis 13. Schulstufe) berechtigt, kann die Anerkennung diese Berufsqualifikation in einem anderen Mitgliedstaat der EU nicht verwehrt werden.”
Prinzipiell entspricht diese Aussage den europäischen Richtlinien. Worauf Fornari und Mair jedoch verweisen und wie auch von der österreichischen Universität “Mozarteum” bestätigt wird, befähigt das IGP-Studium zum Unterricht an privaten Musikschulen in Österreich; nicht aber zum Unterricht an mittleren und höheren Schulen. Somit würde in Südtirol ein Abschluss als für lehrbefähigend anerkannt, der im Ursprungsland für öffentliche Schulen nicht als solcher gewertet wird.

Dennoch müssen die in Österreich erlangten Berufsqualifikationen im europäischen Umland anerkannt werden. Vor allem in Grenzregionen wie Südtirol kann diese Situation zu faktischen Diskriminierungen führen. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, verfügt Südtirol über die Landeskompetenz 30 Prozent Lehrerausbildung in Südtirol unabhängig vom Staat zu gestalten. Diese Möglichkeit wurde auch – wie im oben genannten Fall der Lehrausbildung für deutsche und ladinische Schule – genutzt. Effektiv wurde sie jedoch nicht dazu genutzt, eine Gleichstellung zwischen den verschiedenen Studentengruppen zu schaffen, sondern den Weg der in Südtirol Studierenden mit zusätzlichen Hürden zu spicken.