Gesellschaft | Altersheime

Schwarze große Müllsäcke

Die Corona-Situation in den meisten Südtiroler Altersheimen ist dramatisch. Führungskräfte, Mitarbeiter aber auch Angehörige schildern Salto.bz, was sie erleben.
Alte frau
Foto: upi
Die Zahlen sagen viel.
Bis zum 16. April sind 87 Menschen in den Südtiroler Altersheimen an Corona oder mit Corona verstorben. Derzeit gibt es in den Altersheimen 297 positiv oder unklar getestete Bewohner und Bewohnerinnen. 34 davon sind  in verschiedenen Krankenhäusern aufgenommen.
432 Altersheimbewohner befinden sich in Isolation. 71 Mitarbeiter sind derzeit in Quarantäne. 213 Bedienstete der Altersheime sind positiv getestet. Weiter 105 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben die Krankheit überstanden und gelten als geheilt.
In Südtirol gibt es 77 Altersheime. Nur in 28 davon gibt es weder positiv getestete noch isolierte Personen.
In vielen Südtiroler Altersheimen ist die Situation seit Wochen weit dramatischer als man in der Öffentlichkeit mitbekommt. So verwies Soziallandesrätin Waltraud Deeg bereits vor 12 Tagen in einem Schreiben an die Covid-19-Taskforce darauf, dass „die Situation in den Altersheimen von X* und Y* eskaliert“. In einem Heim sind zu diesem Zeitpunkt 38 Bewohner und 37 Mitarbeiter positiv getestet. Heute hat dieses Heim insgesamt über 100 Infizierte. Im zweiten Heim sind von den 36 Bewohnern, 21 positiv getestet. Von den 37 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nur mehr 13 einsatzfähig.
Konkret: Weil so viele Mitarbeiter positiv sind, geht in den Altersheimen das Personal aus. Landesrätin Deeg forderte deshalb die Verlegungen positiver Senioren in die Sanitätsstrukturen. Nur so kann man den Kollaps des Systems abwenden.
 
 
Der Sanitätsbetrieb überlegt kurzeitig Krankenpfleger aus Abteilungen, die in der Corona-Krise „zurückgefahren wurden“  in diese Altersheime zu entsenden. Doch dazu kommt es nicht.
Den Führungskräften eines dieser beiden Altersheime platzt der Kragen, als der Bürgermeister des Dorfes in einem Artikel im Tagblatt der Südtiroler die Situation bewusst herunterspielt. „Die Wirklichkeit ist viel schlimmer als man sich vorstellen kann“, sagt ein Insider.
Deutlich wird das auch an konkreten Schilderungen von Menschen, die in Südtiroler Altersheimen arbeiten
 

Warten auf den Test

 
Von Anfang an gibt es ein strukturelles Problem in den Heimen. Die Mitarbeiter und die Mitarbeiterinnen werden zwar getestet, sie müssen aber bis zu acht Tagen auf das Ergebnis warten. Inzwischen müssen sie aber weiter arbeiten, so als sei nichts passiert.
 
Eine Bedienstete* erzählt:
 
„Ich bin getestet worden. Das Testergebnis bekommt man aber erst nach acht Tagen. Ich bin Pflegerin im Altenheim und durfte/musste weiterarbeiten bis das Testergebnis mitgeteilt wurde. Ich bin dann positiv getestet worden. Ich hatte natürlich in diesen 8 Tagen Kontakt mit einigen Personen gehabt (Freund, Familie) und mache mir nun Sorgen und Vorwürfe, sollte ich die Krankheit weitergetragen haben.“

Die Führungskraft* eines anderen Altersheimes bestätigt Salto.bz diese Zustände:
 
„Unser größtes Problem war, dass wir 14 Tage auf die Tests warten mussten...so konnten keine zielgerichteten Maßnahmen gesetzt werden. Wir sind sozusagen im Dunklen herumgetappt. Ausbaden dürfen es jetzt unsere Bewohner und unsere Mitarbeiter.“
 
 
Wir sind sozusagen im Dunklen herumgetappt. Ausbaden dürfen es jetzt unsere Bewohner und unsere Mitarbeiter.“
 
Schaut man sich die Gruppe der Positiven an, so fällt auf, dass auffällig viele Partner oder Familienmitglieder von Angestellten in Altersheimen darunter sind. Das hat einen einfachen Grund: Man hat die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Altersheimen zu lange im Unklaren über ihren Gesundheitszustand gelassen.
Dazu kommt, dass die Tests in vielen Altersheimen vor allem bei den Mitarbeitern bewusst spärlich eingesetzt werden. In der Verwaltung weiß man: Positive Mitarbeiter kann man nicht mehr einsetzen.
Ein Mitarbeiter* eines Altersheimes in einem Südtiroler Tal berichtet:
 
„In unserem Seniorenheim muss trotz positiv getesteter Bewohner und Mitarbeiten um jeden weiteren Test gestritten werden. Keiner weiß genau wer eventuell stiller Träger des Virus ist und die Mitarbeiter, die ohnehin schon am Limit arbeiten, sind dadurch größtem Risiko ausgesetzt. Viele geraten in Panik. Geschweige denn all die älteren bedürftigen Menschen, die zur Hochrisikogruppe zählen. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen und anstatt Hilfe zu bekommen, wird man vom Hygienedienst auch noch drangsaliert.“
 
Auch der Covid-19-Taskforce sind diese Zustände bekannt und bewusst
Am Donnerstag ist eine Lieferung von 1500 Schnelltests in Südtirol eingetroffen. „In diesen Tagen wird mit den Tests gestartet, voraussichtlich in einigen Altersheimen“, kündigen Generaldirektor Florian Zerzer und Sanitätsdirektor Pierpaolo Bertoli jetzt an.
 

Problem Schutzausrüstung

 
Riesige Probleme gibt es in den Südtiroler Altersheimen aber auch mit der persönlichen Schutzausrüstung.
Ein Pflegeleiter* schildert:
 
„Ich habe gemeinsam mit meinem Direktor schon sehr früh begonnen Schutzausrüstung und entsprechende Maßnahmen anzuwenden alles auf eigene Kosten des Betriebes. Hätten wir auf den Sanitätsbetrieb gewartet wären die Auswirkungen wahrscheinlich noch viel schlimmer. Denn trotz fachgerechter Anwendung der Schutzausrüstung vom Sanitätsbetrieb häuften sich plötzlich die Neuansteckungen.“
 
 
Es war tatsächlich zu beobachten dass mit Einsatz der chinesischen Schutzmasken die Neuansteckungen sowohl der Mitarbeiter wie auch der Bewohner sprunghaft angestiegen sind...
 
Eine Mitarbeiterin* eines Heimes aus der westlichen Landeshälfte beschreibt diese Situation mit klaren Worten:
 
„Ich bin mittlerweile selbst betroffen...wurde positiv getestet. Trotz korrekter Anwendung der Schutzausrüstung. Es war tatsächlich zu beobachten dass mit Einsatz der chinesischen Schutzmasken die Neuansteckungen sowohl der Mitarbeiter wie auch der Bewohner sprunghaft angestiegen sind...damit einhergehend haben wir nun kaum noch beherrschbare Personalprobleme. Mir geht es nicht um mich...sondern um unsere Bewohner, die sich nicht wehren können. Sie haben bereits Schaden genommen haben und werden noch mehr nehmen.“
 

Tote in Müllsäcken

 
Es gibt aber auch noch eine andere Perspektive, die man bisher bewusst ausgeklammert hat.
Die Sicht der Angehörigen.
Eine Südtiroler Ärztin* beschreibt für Salto.bz ihre persönliche Geschichte.
Es ist eine erschütternde Schilderung.
 
In der Nacht von 4. auf 5. März wurden in den Altersheimen ( meine Mutter lebt in einem) die Schotten dicht gemacht....es war nicht mehr möglich, noch schnell zu erklären, zu umarmen, vorübergehend (oder vielleicht für immer....) Abschied zu nehmen......  Kein Besuch mehr (auch ich als Ärztin nicht ) ...OK. Ich bringe in Erfahrung, dass nur die Pflegerinnen Schutzmasken tragen und informiere über diesen Missstand sofort den ärztlichen Leiter, der zumindest diesbezüglich sofort Abhilfe verschafft...

Aber dann sagt er (und er meint, er sage es zu mir als Kollegin - als Insiderin): es wurde intern beschlossen, die alten Leute, welche an Covid 19 erkranken, gar nicht mehr ins Krankenhaus zu bringen, „ die lassen wir in den Heimen sterben - es würde die Kapazitäten der Krankenhäuser übersteigen“!! Ich habe einen dicken Kloß im Hals, kann nicht mehr sprechen... ich weiß nicht: warum muss ich an die Wannsee Konferenz von 1942 denken...?? Es gab in der damaligen Zeit auch einen Begriff, den ich so gern aus meiner Erinnerung verbannen möchte: " unwertes Lebensmaterial"......

 
 
Es gab in der damaligen Zeit auch einen Begriff, den ich so gern aus meiner Erinnerung verbannen möchte: " unwertes Lebensmaterial"......

Nur wenige Informationen dringen nach außen (nur unter der Hand, denn das Personal hüllt sich in Schweigen...nur keine Panik unter den Angehörigen), dass immer wieder Personen positiv getestet werden. Ich richte daraufhin Mitte März einen dringenden Appell an die Primarin des Hygieneamtes und versuche sie von der Wichtigkeit zu überzeugen, in allen Seniorenheimen fächendeckende Tests durchzuführen... handele es sich doch um die Hochrisikogruppe, die noch dazu in einer Struktur leben, wo sich die Abstandsregeln nicht einhalten lassen und von einem Personal betreut wird, das die Krankheit einschleppen kann und selbst gefährdet ist.
Infolge der Tests ließe sich noch rechtzeitig bewerkstelligen, dass "asymptomatisch positive" entsprechend isoliert werden, und so vielleicht das Schlimmste verhindert werden könne. Ich sage ihr: es ist gerade so, wie wenn sie Insassen und Bedienstete ins offene Messer laufen lasse. Obschon im Grunde einer Meinung mit mir, scheint es jetzt aber so, dass dies erst nach Ostern erfolgen wird!!  Viel zu spät...bis dahin sind wahrscheinlich eh fast alle tot...
 
Meine Mutter ist 90 Jahre alt und Passagier auf einem dieser sinkenden Schiffe.

Meine Mutter ist 90 Jahre alt und Passagier auf einem dieser sinkenden Schiffe. Und ich weiß nicht, wie sie es macht: rund um sie häufen sich Personen, die positiv getestet wurden, aber wie durch ein Wunder prallen alle Krankheitskeime an ihr ab...bis jetzt... Sie hat alle ihre immunologischen Ressourcen mobilisiert, glaubt unerschütterlich an die magische Kraft der Löffelchen Honig, die sie täglich zu sich nimmt. Auch ihre Demenz hat sich gebessert, sie macht sich stark für uns.....und in den Telefonaten mit ihre tröstet SIE uns: „du wirst schon sehen, wir werden uns wiedersehen, wir müssen nur noch etwas Geduld haben.“
 

Aber ich selbst weiß oft nicht wohin mit meiner Angst um sie! Ich werde die Bilder nicht los, welche mir eine befreundete Pflegerin (unter Tränen) aus einem anderen Altersheim schildert: bei Auftreten von deutlichen Atembeschwerden wird gar nicht mehr auf Covid 19 getestet...es wird einfach in großen Mengen Morphin verabreicht. ....ein tröstendes Wort?...die Hand halten?...begleiten?....schwierig....es mag sich keiner anstecken (lange stand auch nicht entsprechende Schutzbekleidung zur Verfügung)....alle haben Familie zuhause...
Die Leichname werden von den Pflegerinnen (das macht jetzt gar nicht mehr der Bestatter) in schwarze große Müllsäcke gegeben (mit Desinfektionsmitteln präpariert) und in den Sarg gegeben. Die Angehörigen werden erst am nächsten Tag informiert.
Die Leichname werden von den Pflegerinnen (das macht jetzt gar nicht mehr der Bestatter) in schwarze große Müllsäcke gegeben (mit Desinfektionsmitteln präpariert) und in den Sarg gegeben. Die Angehörigen werden erst am nächsten Tag informiert....sie sollen das alles nicht mitbekommen....

Auch das ist Südtirol im April 2020.
 
* allen Namen sind Salto.bz bekannt, werden aber aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht genannt.