Wirtschaft | Nahverkehr

Showdown im Hochsommer

Die Landesverwaltung bereitet den Ausschluss der SAD AG bei den Schülertransporten wegen „unwürdigen Verhaltens“ vor. Ein Schneeball, der zur Lawine wird?
Palais Widmann
Foto: Hannes Prousch
Es ist ein Nebenschauplatz in einem kaum mehr überschaubaren Langzeitstreit.
Die Prozesse und Verfahren rund um den Südtiroler Nahverkehr würden eine eigene Sektion eines Gerichtshofes ganzjährig auslasten. Allein zwischen der SAD AG und dem Land gab und gibt es gut 40 Verfahren vor den verschiedensten Instanzen in der Verwaltungs-, Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. In dieser Klagewelle von Ingemar Gatterer & Co scheint das, was in den nächsten Wochen passieren könnte, nur mehr ein weiterer Mosaikstein in einem von Anwälten seit Jahren geführten Krieg.
Doch auf diesem Nebenschauplatz könnte es für Gatterer & Co jetzt eine Niederlage setzen, die für die SAD AG nachhaltige Folgen haben könnte. Es ist ein Schneeball, der schnell zur Lawine werden könnte, die ein über Jahrzehnte aufgebautes Imperium im Südtiroler Nahverkehr unter sich begräbt.
 

Der Ausschluss

 
Es geht dabei um die Ausschreibung des Schülertransportes, die in diesen Tagen in die Endphase geht. Was bisher top-secret und nur den beteiligten Unternehmen bekannt ist: Das Land bereitet den Ausschluss der SAD AG bei der Zuschlagsvergabe vor. Die Verwaltung will dazu den Artikel 80 des italienischen Vergabekodex in Anwendung bringen. Der Artikel sieht eine Reihe von Gründen vor, nach denen einem Wettbewerbsteilnehmer wegen „unwürdigen Verhaltens“ die Grundvoraussetzungen für die Vergabe entzogen werden können (siehe eigenen Kasten).
 
 
 
Im Fall der SAD AG soll genau diese Bestimmung im Artikel 80 jetzt Anwendung finden. Dazu hat das Land eine ganze Reihe von Begründungen angeführt, die vom Gerichtsstreit um die Rittner Bahn über das Verhalten des SAD CEO Ingemar Gatterer gegenüber Landesbeamten bis zu einer von der staatlichen Kartellbehörde nachgewiesenen Wettbewerbsverzerrung reichen.
Nach Informationen von Salto.bz hat die zuständige Landesverwaltung bereits vor einiger Zeit die Vorhaltungen der SAD offiziell übermittelt, damit diese nach den geltenden Bestimmungen Gegenäußerungen vorbringen kann. Auch das soll bereits erfolgt sein.
Im Mobilitätsassessorat geht man aber davon aus, dass noch innerhalb August der Ausschluss der SAD von der laufenden Ausschreibung des Schülertransportes offiziell verfügt wird.
 

Die Trümpfe

 
Die Landesverwaltung hat für diese eklatante Vorgangsweise gleich mehrere Trümpfe in der Hand. Vor allem die Ermittlung und das Urteil der staatlichen Kartellbehörde (AGCM).
Im Sommer und Herbst 2017 ersucht das Land die SAD AG, den zuständigen Ämtern verschiedene Dokumente und Informationen zur Verfügung zu stellen, die das Land für die Vorbereitung der für 2018 geplanten Europäischen Ausschreibung der Südtiroler Nahverkehrsdienste braucht. Trotz mehrmaliger Aufforderung und Nachfrage weigert sich die SAD aber die Dokumente und Informationen zu liefern. „Es handelt sich um Betriebsgeheimnisse“, erklärt die Unternehmensführung dem Land lapidar.
 
 
Die Landesverwaltung erstattet daraufhin am 14. November 2017 Anzeige bei der AGCM wegen „Behinderung und mutwilliger Verschleppung einer öffentlichen Ausschreibung“. Weil die Vorhaltungen des Landes nicht unbegründet erscheinen, eröffnet die Antitrust-Behörde am 17. Jänner 2018 ein Verfahren gegen die SAD. Das Verfahren endet im Frühjahr 2019 mit einer Verurteilung der SAD. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Rechtfertigungen der SAD für dieses Verhalten absolut fadenscheinig und unhaltbar sind. Die Behörde geht von einer „bewussten Ver- und Behinderungsstrategie“ der SAD gegenüber der Landesverwaltung aus; keine der Handlungen sei entschuldbar, und die SAD AG habe in mehreren Punkten ein eindeutig wettbewerbsverzerrendes Verhalten („condotta anticoncorrenziale“) an den Tag gelegt.
Die staatlichen Wettbewerbshüter verhängen deshalb eine Geldstrafe von 1.147.275 Euro gegen die SAD AG. Ingemar Gatterer & Co legen gegen diese Millionenstrafe Rekurs beim Verwaltungsgericht Latium ein. Das römische Verwaltungsgericht weist am 28. April 2021 den Rekurs aber ab und bestätigt die Strafe der Antitrust-Behörde vollinhaltlich.
Jetzt liegt der Fall vor dem Staatsrat.
 

Das Gutachten

 
Weil die Strafe gegen die SAD AG in jene Ausschlussgründe fällt, die im staatlichen Vergabekodex im Artikel 80 angeführt sind, wird bereits damals innerhalb der Landesverwaltung ernsthaft ein Ausschluss des Gatterer-Unternehmens bei den neuen Ausschreibungen überlegt. Doch die SAD droht mit möglichen Schadenersatzklagen in Millionenhöhe und mit dem Argument, dass die Strafe noch nicht rechtskräftig sei. Deshalb zögert man.
Im Frühjahr 2020 fordert die Landesverwaltung aber ein Gutachten zu dieser Frage bei der staatlichen Antikorruptionsbehörde ANAC an. Mit Beschluss 725 vom 9. September 2020 kommt die ANAC zu einem klaren Schluss. In dem Gutachten heißt es:
 
„L’Autorità ha evidenziato la doverosa rilevanza della sanzione irrogata dall’AGCM nei confronti della stessa SAD (provvedimento n. 27635, pubblicato sul bollettino dell’AGCM n. 17 del 29 aprile 2019), rientrante nel genus dell’illecito concorrenziale, ai fini della valutazione del possesso dei requisiti di ordine generale (più precisamente di cui all’art. 80, comma 5, lett. c), e cbis) del D. Lgs. n. 50 del 2016, consistenti in gravi illeciti professionali, tali da rendere dubbia l’integrità o affidabilità dell’operatore, rispettivamente, omissione di informazioni dovute ai fini del corretto svolgimento della procedura di selezione.“
 
 
 
Laut ANAC würde auch der behängende Rekurs beim Staatsrat an diesem Ausschlussgrund nichts ändern. Die römische Antikorruptionsbehörde sagt aber auch: Einen möglichen Ausschluss müsse aber diejenige Behörde begründen und beschließen, die die Konzessionen vergibt. Also die Südtiroler Landesverwaltung.
Doch dann passiert etwas Überraschendes. Für die Ausschreibungen im Nahverkehr zuständig ist die Vergabeagentur des Landes. Der Direktor der einheitlichen Vergabestelle entscheidet aber, dass die SAD AG trotz dieses eindeutigen Gutachtens weiterhin zu den Ausschreibungen zugelassen und kein Verfahren zum Ausschluss eingeleitet wird.
 

Das Urteil

 
Inzwischen ist aber klar, dass diese Entscheidung formal nicht rechtens ist. Das geht aus einem Urteil der Bozner Verwaltungsgerichts hervor.
Die Landesregierung hat Ende Dezember 2020 die bestehenden Konzessionen im Südtiroler Personen-Nahverkehr für ein weiteres Jahr bis 11. Dezember 2021 verlängert. Dagegen legte das Konsortium der Südtiroler Mietwagenunternehmer (KSM) beim Verwaltungsgericht Rekurs gegen das Land Südtirol und die SAD AG ein. Die Anwälte der Kläger Luca Guffanti und Jakob Baldur Brugger gehen in ihrem Rekurs dabei auch auf das ANAC-Gutachten ein und fordern den Ausschluss der SAD aufgrund des Artikels 80 des staatlichen Vergabegesetzes.
Am 12. Februar 2021 nimmt das Bozner Verwaltungsgericht mit Urteil 43/2021 den Rekurs nicht nur an, sondern im Urteil wird auch eindeutig anerkannt, dass nach dem ANAC-Gutachten der Ausschluss der SAD wegen „unwürdigen Verhaltens der öffentlichen Verwaltung gegenüber“ durchaus möglich sei.
 
 
Der weiteren Zulassung der SAD AG liege ein formaler Fehler zugrunde. Denn über einen möglichen Ausschluss und dessen Begründung kann nicht die Vergabestelle des Landes entscheiden, sondern das muss jene Behörde machen, die den Auftrag vergibt. Sprich: die Mobilitätsagentur des Landes.
Genau das hat man dann in den vergangenen Wochen umgesetzt.
Kommt es wirklich zum Ausschluss der SAD bei der Vergabe des Schülertransportes, könnte das für Ingemar Gatterer & Co verheerende Folgen haben. Denn dann gilt dasselbe Prinzip auch für die laufende Ausschreibung zum gesamten Südtiroler Personennahverkehr. Es ist der große Kuchen, um den es im Streit SAD-Land eigentlich geht. Nach diesem Präzedenzfall wird man sich auch dort auf den Artikel 80 berufen müssen.
Das aber würde das Ende der SAD bedeuten.

 

 

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Salto User
Sepp.Bacher Di., 17.08.2021 - 17:34

Auch im Ausland ist der Öffentliche Nahverkehr in der Regel in der Öffentlichen Hand. Beispiele: Innsbruck, München, Zürich.

Di., 17.08.2021 - 17:34 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Mi., 18.08.2021 - 11:39

Ach Freud: Im Artikel geht es um den Südtiroler Nahverkehr, der z.T öffentlich (SASA) ist, wie anderswo, und z.T. in privater Hand, wie sie betonen. Ich habe in meinem Kommentar keine Wertung über die Güte abgegeben. Deshalb verstehe ich nicht, worauf sie ihre Gegenargumentation aufhängen. Was den Inhalt betrifft, gebe ich Ihnen gerne Recht.

Mi., 18.08.2021 - 11:39 Permalink