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Knives Out

Wer ist der Mörder? Ein klassisches Genre kehrt zurück ins Kino und lässt die Herzen von Agatha-Christie-Fans höherschlagen.
Knives Out
Foto: Universum

Der US-amerikanische Filmemacher Rian Johnson ist in erster Linie Independentregisseur. Sicher, erst vor einiger Zeit realisierte er die achte Episode der altehrwürdigen Krieg der Sterne – Saga, begab sich dafür also in den Mainstream, doch im Grunde schlägt sein Herz für kleine, eigenwillige, vom Auteur getriebene Werke. Das merkte man seinem Star Wars Film auch an, wofür er von einigen Seiten deutliche Kritik erntete. Doch das ist ein ganz anderes, unüberschaubar großes Kapitel, das hier nicht thematisiert werden soll. Viel mehr geht es um Rian Johnsons neuestes Werk, das er selbst als „Whodunit“ bezeichnet. Ein „Whodunit“ ist eine Geschichte, egal ob in Literatur, Film oder Hörspiel, in der ein Krimi erzählt wird, es eine begrenzte Zahl an Verdächtigen auf ebenso begrenztem Raum gibt und ihnen sowie dem Zuschauer am Ende die vollständige Lösung des Falls präsentiert wird. Eben das, wofür die populären Geschichten rund um Hercule Poirot oder Miss Marple so bekannt ist. Das Genre verlor in den letzten Jahrzehnten seinen Reiz und verschwand fast gänzlich, wohl auch, da der aufmerksame Rezipient so langsam alle Varianten einer Kriminalgeschichte gesehen hatte. Der frische Wind blieb aus. Rian Johnson, selbsterklärter Fan des Genres wollte es nicht länger ruhen lassen und schickt, ähnlich wie in so manchen Christie-Verfilmungen, eine ganze Armada an hochkarätigen Schauspielern auf die Reise. Gemordet und gerätselt wird in einem alten Anwesen, umgeben von düsteren Wäldern. Die Nebel ziehen bereits in der ersten Einstellung des Films um das Gebäude und zwei Hunde stürmen wild über die Parkanlage, wobei herbstliche Blätter aufgewirbelt werden. Der Bewohner des Hauses ist gestorben. Man fand ihn in seinem Arbeitszimmer im letzten Stock, mit einem Dolch in den Händen und aufgeschlitzter Kehle. Ein typischer Selbstmord, so die Ermittler von der Polizei und die Familie. Nur einer zweifelt daran, und dieser Herr, verkörpert von Daniel Craig, trägt den klangvollen Namen Benoit Blanc. Er ist Privatdetektiv und lediglich aus „persönlichem“ Interesse an den Untersuchungen beteiligt. Seine Anwesenheit passt der Familie gar nicht. Die ist außerdem recht groß, neben den zwei Kindern des Verstorbenen sind da noch deren Ehepartner, Kinder und die junge Pflegerin, die sich bis zu seinem Tod sorgsam um den Alten kümmerte. Jede der anwesenden Personen wird ausführlich von der Polizei befragt, anfangs bloß um restliche Fragen zu klären. Benoit Blanc vermutet schnell ein dichtes Gestrüpp an Lügen und ist damit auf der richtigen Spur. Von Selbstmord scheint keine Rede mehr zu sein, nein, es sieht nach kaltblütigen, ausgeklügelten Mord aus. Doch wer war es?

 

Knives Out (2019 Movie) Official Trailer

 

„Knives Out“ ist ein geschickt geschriebener Film, der es versteht, den Zuschauer an der Nase herumzuführen. Wer glaubt, einer Figur, von denen sich übrigens so gut wie alle irgendwie verdächtig verhalten oder einen Grund hätten, den Alten um die Ecke zu bringen, auf die Schliche zu kommen, der wird nicht selten positiv enttäuscht und muss sich nach anderen Lösungswegen umsehen. Jedes weitere Wort wäre an dieser Stelle zuviel, man sollte möglichst ohne großes Vorwissen zur Geschichte in diesen Film gehen. Nur so viel sei gesagt: Am Ende präsentiert Rian Johnson seine Lösung der Geschichte, doch eine, die seltsam schal und mit einem Beigeschmack der Gleichgültigkeit daherkommt. Man ist nach dem guten Aufbau und der spannenden Entwicklung des Falls beinahe etwas enttäuscht. Das ist schade, gibt sich doch vor allem die Besetzungsriege große Mühe, ihren Charakteren Leben einzuhauchen und bis zum Ende ambivalent zu halten. Trotzdem kommen manche Figuren zu kurz. Angeführt wird das Ensemble neben Craig etwa von Ana de Armas, die die südamerikanische Pflegerin spielt und von den intimsten Geheimnissen des Verstorbenen, verkörpert von Christopher Plummer, weiß. Oder dessen Kinder, gespielt von Jamie Lee Curtis und Michael Shannon, deren Männer und Frauen, also Don Johnson, Toni Colette, und ihre Kinder, etwa Katherine Langford oder Chris Evans. Zu den toxisch gespielten und allesamt verachtenswerten, weil auf das großzügige Erbe gierende Figuren gesellt sich ein weiterer Protagonist, der genauso wie Daniel Craig als Detektiv wunderbar stilvoll und mit großer Ruhe spielt: Das Anwesen selbst. Ein neuenglischer Ansitz, verwinkelt und mit vielen Zimmern, Korridoren und Treppen. Auch Geheimtüren gibt es, und was weiß noch für Geheimnisse. Auch die Inszenierung des Regisseurs fügt sich gut in das Gebilde ein. Die Kamera agiert zumeist fließend und dynamisch, nur selten starr oder, gegensätzlich dazu, allzu schwankend. Die Bilder sind klar und bewegen sich wie auf einem Fließband hintereinander. Entsprechend dem Aufbau der Geschichte montiert Johnson sie logisch und mit Geschick für Rückblenden und Zeitsprünge, die zu keinem Zeitpunkt verwirren oder Unklarheiten schaffen. Auch politische Untertöne, besonders die amerikanische Gesellschaft betreffend, finden ihren Platz. „Knives Out“ fühlt sich bis zum Ende wie aus einem Guss an, wäre da nicht der angesprochene, etwas gehetzt wirkende Schluss, der unnötige Dramatik erzeugt und nicht so recht weiß, wie er die Zuschauer aus dem Kino entlassen soll. Keine Sorge, eine Lösung des Falls wird dennoch präsentiert. Trotzdem wirkt „Knives Out“ weniger wie ein eigenständiger Film, sondern mehr die überlange Folge einer Serie. Einer, von der man durchaus mehrere Folgen vertragen könnte, nicht zuletzt, da die interessanteste Figur des Films, Daniel Craigs Benoit Blanc kaum beleuchtet wird und mehr als Stichwortgeber und Erklärbär herhalten muss. Und als hätte er diese Zeilen bereits im Voraus gelesen, kündigte Rian Johnson bereits an, an einer Fortsetzung zu arbeiten, wobei er sich vorstellen könne, gleich eine ganze Reihe an „Whodunits“ zu produzieren. Herje, ob das auch in qualitativer Hinsicht gut geht? Aber man darf gespannt sein. Das Genre scheint zumindest an der Kinokasse gut anzukommen und zeigt, dass das vollständige Aussterben fürs Erste ausbleibt. Die Menschen rätseln weiterhin gerne und geben auch einem auf inhaltlicher Ebene eigensinnigeren Film die Chance, finanziell erfolgreich zu werden. Das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht suchen wir alle aber auch nur nach dem Mörder, um den Sündenbock zu finden.