Kultur | Salto Afternoon
Choreographie und Spannung
Foto: Tiberio Sorvillo
Den Anfang machte die Weltpremiere des für das Beethoven-Jahr 2020 geschriebenen Auftragswerkes „Nexus“ der britischen Komponistin Hannah Kendall. Die Arbeit mit Klangzitaten aus Beethovens 1808 vollendeten und 5. Symphonie - welche ohne das von der Popkultur in Beschlag genommene Anfangsmotiv auskommen - wird zum mit Anfang des selben Jahres in den Vereinigten Staaten in Kraft getretenen „Act Prohibiting Importation of Slaves“ in Beziehung gesetzt. Eine fragile Verbindung, ein Nexus der Ideen der mit delikaten Mitteln in das Stück transplantiert wird: Kendall - die neben europäischer auch afrokaribischer Abstammung ist - transkribierte zu diesem Zweck traditionelle Lieder der afrikanischen Diaspora für Spieluhr. Hier zeigte sich eine der großen Stärken des Stückes und der Darbietung des European Union Youth Orchestra (EUYO), das es verstand trotz bedrohlich-cineastischen Klangs von „Nexus“ auch den stillen Tönen einen reduzierten Rahmen zu schaffen in dem Details wie eine Triangel oder ein gutes halbes Dutzend Spieluhren klar und deutlich auszumachen waren. Das Detail der Spieluhren blieb allerdings ein kleines, der Klang der sehr europäisiert durch das neue Medium, was blieb war eine kurze, an Spannung und Unbehagen interessierte Komposition, die wenig bis keine Auflösung für eben jene Emotionen bot.
Doch das Orchester hatte sich gerade erst warm gespielt und setzte, durch Jae Hong Park am Flügel unterstützt zu einem neuen Spannungsbogen an - Sergej Rachmaninovs „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“. Der letztjährige Busonipreisträger präsentierte sein Spiel anfangs vor einem klanglich klar untergeordnetem Orchester, in welches er dann, als die Komposition von seinen Mit-Musikern auf der Bühne stärkeren Nachdruck verlangte, auch einzutauchen und sich aufzulösen verstand. Das der Abend mit einem hochkonzentrierten, aber auch spielfreudigem EUYO nicht nur klanglich, sondern auch choreographisch eine Freude war, zeigte sich im Stück besonders an zwei Szenen: Zum einen in einer Solo-Passage Parks, welche Gianandrea Noseda mit dem Rücken zum Musiker dirigierte, obwohl dieser samt Pianisten-Buckel vollkommen in die Tasten vertieft war. Beide bewegten sich, ohne Blick für den anderen synchron und mit absolutem Fokus. Zum anderen in der wellenförmigen Bewegung, die Noseda von den Streichern einforderte und die gerade die Violinist:innen an den Rande ihrer Stühle trug und die beiden Harfen im Hintergrund vor und zurück wippen lies. In dieser Bewegung und dem energischen Spiel hatte man das Gefühl, hier ein Jugendorchester zu sehen. Star der Darbietung blieb aber ohne Zweifel Park, der es verstand, die Sprache des Orchesters zu spiegeln und zu ergänzen. Rhythmischen Pizzicati bot er weiches, perlendes Spiel als Gegenpol und den emotionaleren, sehnsüchtigen Streichern setzte er militärisch-präzise marschierendes Spiel entgegen, wodurch der Spannungsbogen stets aufrecht blieb, bis Park seine Darbietung mit lässig-ungeduldiger Geste beendete, aufstand bevor das restliche Orchester ausgeklungen hatte.
Als Zugabe zu einer dynamischen Performance gab es von Jae Hong Park ein kurzes, romantisches Klavierstück von Johann Sebastian Bach, gefühlvoll vorgetragen mit romantisch-verträumtem Klang und ein reizvoller Kontrast zum spannungsreichen Abend der nach der Pause fortgesetzt wurde.
Le sacre du printemps
„Die Frühlingsweihe“ Igor Strawinskys forderte in besonderem Maße auch die Bläser des EUYO heraus. Eine Herausforderung, der man sich selbstbewusst stellte. Was sich im Ton von Kendall auf Rachmaninov von Bedrohung zu Spannung verschoben hatte, kehrte wieder zu einer bedrohlichen Grundstimmung zurück: In dieser war es Aufgabe der zart gesetzten, mit gefühlvoller Geste eingeforderten Bläser den Kontrapunkt zu schaffen zu den radikalen Dissonanzen für welche Noseda athletisch Richtung Boden ging. Mit präzisem, fast überwältigendem Paukenspiel wird die Spannung gehoben und leiteten über zum finalen stampfenden Abschnitt. Man machte sich, mit den dramatisch schneidenden Geigen auf zu einer Übersteigerung, für welche die einzig logische kompositorische Folge der Kollaps ist. Das forderte ein ebenso abruptes wie präzises Unterbrechen des Spiels der Orchestermusiker und sah sie, mit wechselnden Bläsern das Muster wiederholen, bis zum absoluten, endgültigen Einstürzen, welches das Publikum mit angehaltenem Atem zurück ließ.
Der große, wohlverdiente Schluss-Applaus brachte noch einmal die schwierige Notwendigkeit eines Bis auf den Plan, auf den russischen Komponisten sollte mit Walentyn Sylwestrow ein ukrainischer folgen: Die allein von den Streichern getragene „Abendserenade“ wäre ein würdiger Abschluss und Kontrapunkt für den Abend gewesen, doch das EUYO ließ es sich nicht nehmen, auch ohne Dirigenten ein schmissiges, auf den Beine gespieltes Medley zu spielen, welches vor allem den Zweck hatte, Bewegung in Musik zu übersetzen und Musik in Bewegung, auszubrechen aus dem was statisch ist an der Klassik und, vielleicht auch das noch, denn es sah ganz so aus: Spaß zu haben.
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