Gesellschaft | Bozen

Keine Peripherie, eine Gemeinschaft!

Ein Spaziergang durch die innovativsten Jugendprojekte in den Bozner Stadtvierteln Don Bosco und Europa-Neustift.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Bolzanism

Jedes Stadtviertel, auch jene der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen, ist geprägt durch seine jeweiligen geschichtlichen Ereignisse, welche sich meist bis heute an der Architektur der jeweiligen Orte ablesen lassen. So kann man jene historische Prägung auch in den dicht besiedelten ehemaligen Arbeitersiedlungen Don Bosco und Europa-Neustift erkennen, die nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, aber dennoch das Selbstverständnis von Peripherien hegen. Durch die soziale und kulturelle Vernachlässigung der Stadtviertel zugunsten des Bozner Stadtzentrums sowie durch das Sterben der Handelsvielfalt, etwa durch den Erbau des Twenty, schien die Einöde in den Bozner Westen zurückzukehren. Jedoch wurde die triste Realität dieser dicht besiedelten Stadtviertel in den vergangenen Jahren durch verschiedene Kulturinitiativen wieder mit Leben gefüllt.

 

Ein Nachmittag voller Begegnungen mit lokalen kreativen Köpfen

 

Im Spaziergang durch die Straßen Don Boscos und Europa-Neustifts führte uns Claudio Andolfo, Direktor des Amtes für Jugendarbeit (Ufficio Politiche Giovanili), zu den innovativsten Projekten der westlichen Bozner Stadtviertel. Ein Nachmittag voller Begegnungen mit lokalen kreativen Köpfen, die eine Welle der Wiederbelebung und Aufwertung dieser Stadtviertel initiierten: COOLtour, Breathe! Project, Bolzanism Museum, Ricordi domani? und Spazio Young.

 

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COOLtour steht für die Stärkung des partizipativen Journalismus und des kulturellen Austausches im urbanen Kontext, von Carolin Gamper.

 

Claudio Andolfo empfing uns bereits mit Vorfreude auf unser erstes Ziel: COOLtour. Er erklärte uns auf dem Weg dorthin, dass dieses eines jener Beispiele sei, die mithilfe des Projekts „Botteghe di Cultura“ im Jahr 2017 ins Leben gerufen wurden. Dabei war die Idee dieses Projekts, geschlossene und leerstehende Geschäfte als Räume für Kulturschaffende bereitzustellen.

Roberta Catania, die seit vielen Jahren als Erzieherin im sozialen Bereich tätig ist, bat uns freundlich in den ehemaligen Geisterladen der Sassaristraße Nr. 13/B herein, welcher seit 2017 von COOLtour, einer partizipativen Jugendredaktion, belebt wird. Das Anliegen von COOLtour ist es, so Catania: „den Menschen vor Ort neue Perspektiven zur Beschäftigung im kulturellen und kreativen Bereich zu eröffnen, als kultureller Knotenpunkt von Jung und Alt zu fungieren und den sozialen Zusammenhalt im Viertel zu stärken“. In diesem Sinne möchte COOLtour als Jugend-Kommunikationsplattform das gemeinschaftliche Engagement für innovative Ideen unterstützen, indem sich junge Menschen als VideoproduzentInnen, JournalistInnen, FotografInnen und KarikaturistInnen ausprobieren können sowie mit lokalen Bildungseinrichtungen, Zeitungen und Medien in Kontakt gebracht werden. Catania schildert uns, dass COOLtour ihren BesucherInnen nicht nur die Chance zur beruflichen Orientierung und kreativen Weiterbildung bietet, sondern auch die Verwirklichung von kulturellen Angeboten, wie Buchpräsentationen, Veranstaltungen, Bookcrossing, Kunstausstellungen usw., im Stadtviertel Don Bosco ermöglicht, die für alle Interessierten ohne Altersbeschränkung zugänglich sind. COOLtour dient als Raum der Selbstverwirklichung, der Partizipation und der Begegnung, dem es gelingt, generationsübergreifende Verbindungen im Don Bosco Viertel zu knüpfen.

 

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Breathe! Project schafft in Zeiten der Pandemie einen Dialog zwischen urbaner Kunst und den BürgerInnen vor Ort, von Outbox.

 

Nach dieser ersten Begegnung spazierten wir die Sassaristraße entlang, bis wir von Francesca Viola, Projektmanagerin der regionalen Sozialgenossenschaft Young Inside, herbeigewunken wurden. Sie präsentierte uns das imposante Wandbildprojekt „Ciredz, Trasparenza, Bozen“, welches sich über die ganze Fassade des WOBI-Gebäudes am Don Bosco Platz erstreckt. Die junge Trienterin erzählt uns, dass das Kunstwerk eines von sechs Wandgemälden ist, die in verschiedenen peripheren Stadtgebieten Südtirols im Rahmen des „Breathe! Project“ verwirklicht wurden. „Als im Jahr 2020 die Coronapandemie uns den Atem raubte, sollte Breathe! die umliegende Nachbarschaft rund um die Fassadenmalereien wieder aufatmen lassen“, erklärte uns Viola. Mit Breathe! Project wollten die Bozner Kunst- und Kulturvereinigung OUTBOX sowie Young Inside dem damaligen Atemstillstand der Kultur mit einem Dialog zwischen Kunst und öffentlichem Raum entgegenwirken. So wurden im Zuge des Kunstprojekts Werkstätten, Interviews und Meetings organisiert, welche junge Menschen und die Ortsgemeinschaft in den kreativen Prozess miteinbezogen und sie zu einem Teil der Kunstwerke werden ließen. Somit wurde auch den KünstlerInnen aus aller Welt die Möglichkeit gegeben, sich mit den Orten und Leuten der betroffenen Gemeinden auseinanderzusetzen, um mit dem nötigen Feingefühl und Ideenreichtum Kulturmotive zu kreieren, die einen bunten Kontrast in farblose Ortskerne bringen sollten. Die Umsetzung des Projekts erfolge in enger Abstimmung mit den BewohnerInnen, aber auch mit Jugendvereinigungen und dem Wohnbauinstitut WOBI - IPES, um die Barrieren zwischen der Bevölkerung und der Welt der Kunst abzubauen sowie ein kulturelles Lebenszeichen im Zuge der Pandemie zu vermitteln.

 

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Bolzanism Museum blickt hinter die Fassaden der urbanen Architektur von Don Bosco und Europa-Neustift, von Carolin Gamper.

 

Wir sind das kleinste und zugleich das größte Museum der Welt“, erklärt uns Margherita Delmonego bei unserem nächsten Stopp im Viertel Don Bosco. Sie ist als PR- und Kommunikationsmanagerin sowie im Bereich Projektplanung für Cooperativa 19 tätig, welche im Jahr 2017 zusammen mit dem Trientner Architekturstudio Campomarzio das Projekt „Bolzanism“ ins Leben rief. Damals war das Ziel des Projekts, im Zuge von interaktiven Viertel-Führungen, die Sozialbau-Architektur der westlichen Bozner Stadtviertel ihren BewohnerInnen kulturell zu vermitteln. 2020 wurde das Projekt, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Jugendarbeit (Ufficio Politiche Giovanili) sowie dem Theater Cristallo, konkretisiert und das Bolzanism Museum gegründet. Ausgehend vom ausgefallenen kleinen Infopoint auf der Piazza Don Bosco haben Interessierte die Möglichkeit an den sogenannten „Bolzanism Walks" und den „Bolzanism Discover"-Rundgängen teilzunehmen und die umliegenden Viertel neu zu entdecken. Während es sich bei Bolzanism Walks um schauspielerisch-inszenierte und interaktive Führungen rund um die Kultur und Geschichte der ‚peripheren‘ Stadtviertel Don Bosco und Europa-Neustift handelt, veranschaulichen ExpertInnen bei Bolzanism Discover die außergewöhnliche urbane Architektur und Kunstgeschichte, die jenen Fassaden innewohnen. Bolzanism will, so Delmonego, „aus Daten, Geschichten und ästhetischen Elementen eine Erzählung schaffen und AnwohnerInnen sowie BesucherInnen von außen eine Plattform bieten, auf der sie sich austauschen und die Identität einer Gemeinschaft wiederentdecken können“.

 

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Das Projekt "Ricordi domani?" schuf eine Synergie zwischen Jung und Alt, um vergangenen Geschichten des Viertels eine neue Farbe zu verleihen, von Young Inside.

 

Unser Spaziergang führt uns raus aus Don Bosco quer durch das Viertel Europa-Neustift. Eher plötzlich hält Daniel Delvai, Mitarbeiter im Management von Young Inside, inne und zeigt uns eine Welt, die nicht einfach mit bloßem Auge erkennbar ist. Das Kunstwerk „I due mondi – Die zwei Welten“ wird erst durch die Betrachtung durch das Smartphone plötzlich zum Leben erweckt und die abgebildeten Jugendlichen tanzen sich aus ihrem bunten Kindheits-Dschungel auf das Fließband zum Erwachsenenleben. So führt uns Delvai in das Projekt "Ricordi domani?" ein, welches im Frühjahr 2021 in Zusammenarbeit mit dem Amt für Jugendarbeit (Ufficio Politiche Giovanili), diversen LadenbesitzerInnen in Europa-Neustift, dem Verein Four You, dem Wohnbauinstitut WOBI - IPES und Bepart realisiert wurde. Ziel des Projekts war es, das Viertel, durch die künstlerische Inszenierung der Verbundenheit seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart, kreativ aufzuwerten. Dazu wurden die BewohnerInnen des Viertels aufgerufen, Erinnerungen, Anekdoten und alte Fotografien zu teilen, die von lokalen Jugendlichen und SchülerInnen des Pascoli-Gymnasiums und der Wirtschaftsfachoberschule H. Kunter kreativ aufgearbeitet wurden. So entstanden 14 Augmented-Reality-Poster, die an Schaufenstern leerstehender Geschäfte und an öffentlichen Orten im Viertel angebracht wurden und mit der App „Bepart" gescannt werden können.

 

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Francesca Viola und Daniel Delvai zeigen uns Spazio Young, eine der bedeutendsten Ideenwerkstätten des Viertels Europa-Neustift, von Carolin Gamper.

 

Erfüllt von Eindrücken, wie die Menschen hier in den buntesten Projekten zusammenfinden und gemeinsam ihre Zukunft gestalten, kamen wir an den farbenfrohen Schaufenstern des Spazio Young an, dem Zuhause von Young Inside und unsere letzte Station des Spaziergangs. Francesca Viola holt die Schlüssel hervor und öffnet uns ein ehemaliges Bozner Kleingeschäft, welches nun seit sieben Jahren als Kreativwerkstätte, Organisationszentrale und Think Tank den Stadtviertel-BewohnerInnen von Europa-Neustift zur Verfügung gestellt wird. Dieser offene Raum für Veranstaltungen, Projekte und Treffen gehört demnach den AnwohnerInnen, um an ihren Wünschen und Ideen für eine lebendigere und gemeinschaftlichere Zukunft im Viertel arbeiten zu können. So erklärt uns Viola, dass sie „neben der Projekt- und Eventplanung, beispielsweise älteren Menschen mit digitaler Unterstützung helfen, Sprachtreffs und Workshops anbieten oder auch einen Raum für Kondominiumssitzungen oder ähnliches bereitstellen“.

So endet die Reise durch die Bozner Viertel Don Bosco und Europa-Neustift. Der Nachmittag veranschaulichte uns die Welle eines gemeinsamen Interesses, in Synergie an der Stärkung des sozialen Zusammenhaltes und der kulturellen Wiederbelebung zu arbeiten. Mit den Orten der Begegnung, der Kunst und Kultur, der Jugend und der älteren Generationen, der Visionen und Ideen, lernten wir eine andere Realität kennen als jene, die die meisten lediglich als Vorort zur Bozner Stadtmitte im Kopf haben. Hier blüht der Tatendrang, der Innovationsgeist und das Bestreben jung und alt in eine gemeinsame Kultur und Identität miteinzubeziehen, gegenseitige Bedürfnisse zu achten sowie die Viertel als Lebensraum zu schätzen und aufzuwerten.

Ein Beitrag von Carolin Gamper.