Psychopharmaka: Scientology im Krieg gegen Meraner Jugendpsychiatrie

Der Glaubenskrieg um den Einsatz von Psychopharmaka bei Kindern geht in die nächste Runde: mit einer provozierenden Plakataktion in Meran. Urheber? Ein Komitee mit direktem Draht zu Scientology.

„Gli psicofarmaci somministrati ai bambini possono uccidere“: Was auf Zigarettenpackungen kaum mehr eine Wirkung entfaltet, schockt in Meran seit dieser Woche auf Plakaten mit dem Bild einer aufgehängten Puppe. Urheber der provokanten Aktion? Das  „Comitato dei Cittadini per i Diritti Umani“ (CCDU), eine Non-Profit-Organisation mit Sitz in Mailand, die sich dem Kampf gegen „psychiatrische Verletzung der Menschenrechte“ auf die Fahnen geschrieben hat. Interessantes Detail: Die internationale Dachorganisation des Komitees ist laut seiner Homepage die CCHR International – die 1969 von Scientology und einem Professor für Psychiatrie gegründet worden war.

In seinem generellen Feldzug gegen Psychopharmaka hat der Scientology-Ableger Meran mit seinem heuer eröffneten landesweiten Dienst für die Kinder- und Jugendpsychiatrie offenbar zu einer seinem seiner Schlachtfelder auserkoren. Zuletzt wurde die heikle Frage im Juli auch auf sein Betreiben hin über die lokalen Medien ausgetragen; die PDL-Kammerabgeordnete Gabriella Giammanco bezeichnete die Kurstadt in einer parlamentarischen Anfrage als „la città con più bambini psichiatrizzati d'Italia".

Nun legt das CCDU in der Polemik einen Scheit nach. Ziel der Kampagne sei es die Bevölkerung von Meran über die Gefahren der Verabreichung von Psychopharmaka und vor allem den „exponentiellen Anstieg bei deren  Konsum“ informieren, heißt es in der Vorstellung der Kampagne auf der Homepage des Vereins. Als klarer Urheber des Trends wird dabei die Meraner Kinder- und Jugendpsychiatrie bezeichnet. Untermauert wird diese Behauptung mit Daten von Gesundheitslandesrat Richard Theiner, die erst kürzlich auf Anfrage der Freiheitlichen veröffentlicht wurden.  Demnach sei die Anzahl der Minderjährigen, die Psychopharmaka verabreicht bekommen, zwischen 2010 und 2012 von 162 auf 182 gestiegen. „Auch wenn der Gesundheitslandesrat unterstreicht, dass darin auch Kinder und Jugendliche aus der Umgebung enthalten sind, wurden im Bezirk Meran 2012 im Verhältnis acht Mal so viele Kinder mit gefährlichen Substanzen behandelt wie im Bezirk Bozen“, unterstreicht die Organisation.

Conca: Südtirol unter Schnitt von Nachbarländern

Anschuldigungen, auf die der Sanitätsbetrieb heute umgehend reagierte. Primar Andreas Conca lies sich allerdings nicht auf die Unterschiede zwischen einzelnen Städten ein. Vielmehr stellte er klar, dass sich Südtirol sowohl bei psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen als auch bei deren Behandlung mit Psychopharmaka im internationalen Schnitt bewege. Gerade im Vergleich mit dem deutschsprachigen Ausland würden die Zahlen sogar deutlich geringer ausfallen. Denn während in Südtirol 1,84 Kinder und Jugendliche auf 1000 mit Psychopharmaka behandelt würden, seien es in Deutschland, Österreich oder der Schweiz mindestens 16 auf 1000.

Statt Überdiagnostizierung und Übermedikalisierung würde in Südtirol und speziell in Meran eine hochwertige,  patientengerechte und gemeindennahe Versorgung  stattfinden, so der Primar. Psychopharmaka kämen dabei bei zehn Prozent der psychisch erkrankten Kinder und Jugendlichen zum Einsatz – und zwar immer nach wissenschaftlich fundierten Kriterien und unter Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie ausschließlich mit Zustimmung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Eine Linie, die Conca bereits in einem Interview mit salto.bz ausführlich begründete.

Unter solchen Voraussetzungen wird die Verabreichung von Psychopharmaka auch beim Verband Angehöriger und Freunde psychisch Kranker prinzipiell gutgeheißen. „Psychopharmaka sind unter unsere Mitgliedern immer wieder ein Thema“, sagt Vorsitzende Siglinde Jaitner. Die Linie, nach denen verunsicherten Angehörigen beigestanden wird? „Die Medikamente sollten auf keinen Fall für sich allein stehen, sondern von einer entsprechenden Therapie begleitet werden“, sagt Jaitner. Darüber hinaus sei für die Angehörigen vor allem eine umfangreiche und sachliche Information wichtig. Die wird allerdings derzeit zumindest auf Merans Plakatflächen nicht geboten.