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Umwelt | Unsere Verantwortung

Die Banalität des Bösen

Von Speicherbecken, Torfgruben, Bobbahnen und weiteren Ver-bauungen
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Il cantiere della pista da bob a Cortina
Foto: Voci di Cortina
  • Ein Bild genügte, um mir alle Worte zu rauben: Die Arbeiten an der Bobbahn von Cortina, ein Paradebeispiel der Nachhaltigkeit der olympischen Spiele, für die sich auch Südtirol verantwortlich zeichnet. Schon hier benötige ich Erklärungsansätze, schon zu diesem Zeitpunkt ringe ich verzweifelt nach Worten, die diese blinde Zerstörungswut in Worte zu fassen vermögen. Da drängt sich mir Oppenheimer auf, der bei Beobachtung der Explosion der Atombombe in New Mexiko die Bhagavad Gita zitierte:

     „Jetzt bin ich zum Tod geworden, zum Zerstörer der Welten.“ 

    Nach uns ist das Antlitz der Erde völlig anders. Dieses Zitat mag, bezogen auf Cortina, heillos übertrieben klingen, doch der Reihe nach:

    Ich bin jung und der Unverschämtheit der Politik bereits überdrüssig. Dabei spreche ich nicht einmal von dunklen Machenschaften, geheimen Abkommen oder derlei Dingen, sondern von den täglich sichtbaren Freveln an unserer und unser Kinder Welt – sowohl auf nationaler als auch auf Landes- und Gemeindeebene. 

    Begonnen hat es mit einem Flughafen, den viele Einheimische nicht wollten, der mittlerweile in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist. Der Schutzstatus der Wechselkröte zählte da nichts (wäre es Bärengebiet gewesen, dann wäre er vielleicht nicht erweitert worden). Der Nachhaltigkeitslandeshauptmann ließ gewähren.

    Es folgte – man entschuldige die Zeitsprünge, den Schmerz einer untergehenden Menschenwelt interessieren wenige Monate oder Jahre aber nicht – ein Landesklimaplan, der einem gerichtlichen Verfahren nicht standhielt. Deshalb werden in Leifers nun in einer weiteren Torfgrube zusätzliche 22.342 Kubikmeter Torf abgebaut werden. Um die Bedeutung davon nachvollziehen zu können: "Eine rund 15cm dicke Torfschicht nimmt ungefähr so viel Kohlenstoff auf wie ein hundert Jahre alter Wald gleicher Fläche.", wie mehrere online-Zeitungen berichten. Wird diese Schicht abgebaut, führt der neuerliche Kontakt mit Sauerstoff zu Kohlenstoff- und Lachgasfreisetzung. Das bedeutet: 22.342m3 Torf entsprechen 148946,67 Quadratmetern an 15cm dicker Torfschicht, gleich 14 Hektar hundertjährigen Waldes. Die Schweiz und Großbritannien haben den Torfabbau verboten, das Klimaland Südtirol nur als Alibi. Kompatschers Klimaplan scheiterte somit sang- und klanglos, doch schnell war dies vergessen, ja kaum überhaupt eine Meldung wert. 

    Ein Beschluss wurde zudem im Jahr 2022 von der Landesregierung erlassen, der Besserung in der Lichtverschmutzung nach sich ziehen sollte – zumal diese tödlich für Insekten ist, die vom künstlichen Licht in ihrem Tag-Nacht-Rhythmus sowie in ihren Fress- und Vermehrungsverhalten gestört werden, neben den Auswirkungen auf die Menschen, die nicht nur finanzieller Natur (Energieverschwendung) sein können. Wir haben die Nacht zum Tag gemacht, Millionen von Jahren Evolution können sich jedoch nicht so schnell anpassen, auch wir sind auf den Tag-Nacht-Rhythmus angewiesen und, seien wir ehrlich, wer sähe nicht auch gerne einmal die Milchstraße, ohne dafür auf entfernten, hohen Bergen übernachten zu müssen?  Dieser Beschluss, durchaus lobenswert, ist aber der Willkür der Gemeinden ausgesetzt. So ist jede Gemeinde selbst für Kontrollen und eventuelle Strafen zuständig, es ist für sie nicht verbindlich, Kontrollen durchzuführen oder sich überhaupt selbst daran zu halten, wie in diesem Artikel erwähnt. Gäbe es nicht Personen wie u.a. David Gruber, Direktor des Naturmuseum Südtirol, die ihre Freizeit für bürgernahe Sensibilisierung nutzen, würde dieses Thema wohl schon längst unter den Teppich gekehrt worden sein. Leider scheint es Wissenschaftlern in den letzten Jahrzehnten in jeder Hinsicht so zu gehen: Seien es Klima, Umwelt oder Tiere (schließlich befinden wir uns Zurzeit im 6. großen Massenaussterben der Geschichte, nebenbei) – Ihre Warnungen werden runtergespielt, von finanziellen Interessen unterdrückt oder überhaupt nicht wahrgenommen, da dies der Bevölkerung eher zumutbar. 

    Dann, vielleicht auch zeitgleich, folgten, aus meiner kleinbürgerlichen Perspektive, wahnwitzige Projekte: In Leifers wird ein zu 100% versiegelter Gemeindeplatz gebaut; in Bruneck musste der Tschurtschenthaler-Park dem Tschurtschenthaler-Platz weichen, wie ich heuer (von einigen sehr kritischen Stimmen dort Ansässiger) mitbekommen habe; in Antholz wird allem Anschein nach wertloser Wald einem Speicherbecken zum Opfer fallen und in Kaltern sollen 6,1 Hektar Wald Speicherbecken weichen, mit Steuergeldern finanziert und im Sinne aller Südtiroler Bevölkerungsgruppen – der beste Schutz vor dem Klimawandel bzw. die beste Anpassung an ihn ist ja bekanntlich die Rodung des Waldes und am besten erholt man sich, ebenso weitläufig bekannt, nicht in abgestandenen Wäldern, sondern bei Spaziergängen rund um Speicherbecken, einen Apfel genießend.

    Man entschuldige meinen Zynismus, doch anders weiß ich nicht damit fertigzuwerden. Zum Glück gibt es Menschen, die diese Verhaltensweisen der Menschen schon lange vor unserer Zeit in Worte zu fassen verstanden. Deshalb will ich nun Dostojewski bemühen, wodurch mir eine Erklärung gegeben zu sein scheint:

    Man spricht von der »tierischen« Grausamkeit des Menschen. Aber das ist sehr ungerecht und für die Tiere wirklich beleidigend: Ein Tier kann niemals so grausam sein wie der Mensch, so ausgeklügelt, so kunstvoll grausam.

    Nicht zu vergessen ist das seit etwas längerer Zeit leidige Thema des Brixner Auwaldes, der, dem Auwald in Pfatten gleich, asphaltiert werden soll. Eines wird Pfatten Brixen aber voraushaben: Dort wird im Safety Park schon seit Jahren, zynisch wie wir Menschen sind, der Co2-Senke Wald mit täglicher Erdölverbrennung gedacht, sei es für die Straßensicherheit oder für bloßen Spaß daran. 

    Die schmerzvolle Auflistung findet hier, wohl allein dank meiner Unwissenheit, ein Ende, vielleicht aber auch eher wegen eines Gefühls der Ohnmacht. Der politische Diskurs in der heutigen Zeit ist so schwierig, in den letzten Tagen erreichten uns zudem die Bilder der Fluten in Österreich wie mahnende Vorboten, während die hiesigen Politiker, wie allerorts, lieber gegen Mitglieder der Grünen wettern oder gegen Aktivisten ob ihrer Privatentscheidungen, anstatt der Wahrheit ins Auge zu sehen. 

    Wie, drängt sich mir die Frage auf, kann diese tierische Grausamkeit von uns zugelassen werden? Es wäre den Tieren, etwa Insekten, gegenüber um ein Vielfaches erbarmungsvoller, sie direkt auszurotten als langsam vergehen zu lassen. Ich kann mir die Divergenz zwischen dem heutigen Wissensstand, dem Anspruch auf Moral und unseren Handlungen nicht erklären. Deshalb will ich ein letztes Erklärungsmodell heranziehen – im Wissen all seiner Implikationen. Geschichtswissen geht nämlich mit einer bestimmten Verantwortung für die Zukunft einher: 

    Hannah Arendt verfolgte den Prozess gegen Adolf Eichmann, der für die Organisation der massenhaften Deportationen von Juden verantwortlich war. Im Mittelpunkt von Arendt steht dabei Eichmanns Mittelmäßigkeit und Gedankenlosigkeit und sie verteidigte ihn – ohne ihn zu entschuldigen – zumal er ihrer Ansicht nach nicht wusste, was er tat oder einfach nicht darüber nachdachte, sodass er ihr zufolge nicht die Personifikation des Bösen darstellte, wie es viele gerne gesehen hätten. Ich will nicht über Eichmann reden, inwiefern Arendts Analyse seiner Person zutrifft vermag ich nicht zu beurteilen, man sehe mir Dilettantismus in dieser Hinsicht überhaupt nach, doch geht es mir um den Gedanken, den ich darin finde, und seine Relevanz für unsere heutige Situation in Südtirol und der Welt: Umweltverbände wie Alpenverein, Heimatpflegeverband, Dachverband für Natur- und Umweltschutz und viele mehr sind auf sich allein gestellt; Teile der Bevölkerung, mich eingeschlossen, würden sie unterstützen, lassen aber, dem Landeshauptmann folgend, gewähren. Das Böse kommt nicht in großem Aufzug und mit lautem Getöse, sondern schleichend und im Schafspelz. Die Boshaftigkeit unserer Zeit liegt in unserer Gleichgültigkeit, Bedenkenlosigkeit und Untätigkeit. Auf welcher Seite der Geschichte wollen wir stehen?