Ein römisches Leben
Sie ist eine unübersehbare Erscheinung. Glamourös gekleidet, langes, blondes Haar, das ihr glatt über die Schultern fällt, das Gesicht von zahlreichen Schönheitsoperationen verschlimmbessert. Sie wandert durch Rom, stets auf den ausgetretenen Pfaden ihres berühmten Vaters, Giuliano Gemma. Der war Schauspieler vieler Italo-Western, geliebt, nicht nur, aber auch, wegen seiner Schönheit. Der nachzueifern versuchte auch seine Tochter Vera, was zu besagten Operationen führte. Schönheit zählte, sie war alles. Das erzählt Vera einer Barangestellten, gleich zu Anfang von Tizza Covis und Rainer Frimmels neuem Film. Er ist das Porträt einer Frau, die vom Schatten ihres Vaters verfolgt wird, ihn nicht loswird, und irgendwie müde ist, es überhaupt zu versuchen. Ihr Leben verläuft in einem Trott, pendelt irgendwo zwischen Castings, One Night Stands und verblichenem Luxus. Als sie im Laufe der filmischen Erzählung bei einem Autounfall, ausgelöst von ihrem Fahrer Walter (Walter Saabel), einen neunjährigen Jungen (Sebastian Dascalu) und dessen mittellosen Vater (Daniel de Palma) kennenlernt, ändert sich einiges.
Begegnet man der Protagonistin zu Anfang möglicherweise mit einigen Vorbehalten, und sieht in ihr das wandelnde Klischee der abgestürzten Diva, so verblasst nach und nach dieses Bild, und der Mensch dahinter tritt hervor.
Vera entwickelt Sympathie, wohl auch so etwas wie Muttergefühle für den Kleinen, sie, die selbst keine Kinder hat, fühlt sich plötzlich verantwortlich für das Wohlergehen des Jungen. Was sich in 100 Minuten daraus entspinnt, ist berührend und erschreckend zugleich, offenbart soziale Realitäten, die unterschiedlicher nicht sein können, zeigt jedoch innerhalb dieser Realitäten Löcher auf, durch die poetisch die Fiktion durchscheint. Denn was hier wahr und was erfunden ist, kann schwer bestimmt werden. Vera Gemma gibt es wirklich, genauso ihren berühmten Vater, genauso die Nebenfiguren, bloß werden sie und ihre persönlichen Lebensgeschichten in neue Kontexte gesetzt. Das ist sozusagen Kern der Arbeitsweise des Regie-Duos. Aus dem wahren Leben wahrer Leute Einzelnes zu nehmen, und neu zusammenzusetzen. Die privaten Gedanken, Anekdoten und Traumata aufzuarbeiten, gemeinsam mit den Schauspieler*innen, von denen die allermeisten auch in „Vera“ den Beruf nicht professionell ausüben.
Begegnet man der Protagonistin zu Anfang möglicherweise mit einigen Vorbehalten, und sieht in ihr das wandelnde Klischee der abgestürzten Diva, so verblasst nach und nach dieses Bild, und der Mensch dahinter tritt hervor. Vera Gemma stolpert mal selbstbewusst, mal verletzlich durch die Welt, die sie überholt hat. Wenige nennt sie ihre Vertraute, ihren Fahrer Walter etwa, oder ihre Freundin Asia (Asia Argento), die selbst unter dem drückenden Erbe ihres berühmten Vaters Dario Argento leidet. Das Bewusstsein, dass man es hier mit einer sanften Fiktionalisierung realer Leben, und vor allem jenem von Vera zu tun hat, schafft einen Realismus, der dokumentarisch scheint, und ganz und gar bodenständig im Hier und Jetzt verankert ist. Das auf 16mm gefilmte Material ist jedoch keineswegs kühl oder allzu nüchtern, sondern zeigt in schönen Bilder die Poesie des Alltäglichen.
Tizza Covi und Rainer Frimmel konnten im Herbst bei den Filmfestspielen von Venedig den Preis für die Beste Regie in der Kategorie „Orizzonti“ gewinnen, Vera Gemma jenen für die Beste Schauspielerin. Aktuell wird der Film in Wien gezeigt, parallel dazu läuft eine Fotoausstellung, genannt „Über die Ränder“, des Regie-Duos, im Wiener Künsterlhaus (noch bis zum 22. Jänner). Ursprünglich aus dem Bereich Fotografie kommend, zeigen die beiden neue Blickwinkel jener gesellschaftlichen Ränder, zeigen Menschen und Orte in ihrem alltäglichen Kontext, im Unterschied zu den Filmen, unbewegt, doch gleichermaßen analog.
Im April wird der Film schließlich das Festival in Bozen eröffnen. „Vera“ ist ein weiteres Kapitel im Werk von Tizza Covi und Rainer Frimmel, die, so scheint es, weiter auf der Suche nach interessanten, und vor allem, ungehörten, unerzählten Geschichten sind, Geschichten so wahrhaftig, wie das Leben sie schreibt.