Wiener Zirkuspoesie
Der Zirkus und die Künstler – eine Liebesbeziehung, die immer wieder zu originellen, kreativen Ergüssen führt. Der Zirkus als unwirklicher Ort, als Platz für Verrückte, Andersartige, für die Außenseiter, und nicht selten für die Ausgestoßenen. Die Protagonisten dieser Parallelwelt sind die Clowns, die Artisten, die Magier, die wilden Tiere (worauf glücklicherweise immer häufiger verzichtet wird), und die Melancholie. Denn die Menschen, die beim Zirkus arbeiten, sind entwurzelt, sie reisen unentwegt durch die Welt und endet erstmal die Vorstellung voller Gelächter und Applaus, bleibt wie so oft nur eine stille Traurigkeit zurück. Häufig schon war diese Sujet deshalb Thema in allerlei verschiedenen Kunstformen. Man denke etwa an Filme wie 8 ½ von Federico Fellini, oder den Zirkus in Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“, dessen Trapezkünstlerin sogar dafür sorgt, dass sich der Engel Damiel für ein irdisches Leben entscheidet. Aber auch in der Literatur taucht das Biotop Zirkus auf. In „Das Lächeln am Fuße der Leiter“, von Henry Miller zum Beispiel, in dem ein Clown sich nicht damit zufrieden geben möchte, bloß ein Lächeln zu schenken, vielmehr will er den Menschen die Glückseligkeit mitgeben. Leichter gesagt als getan.
Nun taucht der Zirkus als titelgebendes Motiv im neuen Album der österreichischen Musiker Ernst Molden und Nino aus Wien auf. Entstanden ist die Platte, im Übrigen die zweite Zusammenarbeit der beiden nach ihrem Cover-Album „Unser Österreich“ (2015), als Soundtrack für den Dokumentarfilm „Ein Clown, ein Leben“ von Harald Aue über Bernhard Paul. Zwölf neue Lieder beinhaltet das Album, und orientiert sich an der eingangs angesprochenen Melancholie, die der Zirkuswelt innewohnt. Schon im ersten Lied „Warat i a Clown“ zweifelt das lyrische Ich an der Vertrauenswürdigkeit der realen Welt, aus der Sicht eines Clowns versteht sich. Die Lieder sind Gespräche, Erinnerungen an vergangene Tage, einfach arrangiert, mit zwei Gitarren und hier und da einem Akkordeon, und natürlich den Stimmen der beiden Musiker, die unterschiedlicher kaum sein könnten, und doch sehr gut harmonieren. Molden mit seiner sehr bedachten Intonation und Aussprache, Nino mit seiner typisch verschlafenen Art, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass jedes Wort auf die Waagschale gelegt wird. „Host du gwusst, dass dir mein Herz gehört?“, wird im Duett angestimmt, und man fühlt sich tatsächlich an Bruno Ganz im kargen Niemandsland von Westberlin erinnert.
„Paris in deinem Herzen/Moskau in deinem Blut/Das Leben wird es wert sein/Die Reise reist sich rund/Für immer bunt/Für immer laut/Für immer jung“, heißt es im Lied „Für immer“, und es unterstreicht die Zeitlosigkeit, die im Zirkus herrscht. Während sich die ganze Welt immer weiter dreht, sich stets entwickelt, ist doch das Leben eines Clowns oder Artisten eines, das zwar stets in Bewegung ist, aber außerhalb der Zeit, außerhalb des geregelten, am Boden verhafteten Lebens. Später führt ein Lied in das Café der Artisten und hin zum Optimismus, hin zum Verzeihen, was gestern war, hin zum Morgen, wo es vielleicht sogar besser und einfacher wird. Auch der Nino-Klassiker „Es geht immer ums Vollenden“ findet sich in einer neuen Duo-Aufnahme auf der Platte.
Das Album wird zu keinem Zeitpunkt ausschweifend, nicht so, wie man es angesichts des Themas vielleicht erwarten würde. Vielmehr sind es die kleinen Zwischentöne, die den beiden Musikern am Herzen liegen, und die erfrischend anders auf die faszinierende Welt des Zirkus blicken. Hier und da verstummen sogar die Worte und machen Platz für rein instrumentale Stücke, die sich jedoch gut zwischen die ansonsten von Wortspielen nur so strotzenden Lieder einfügen. Eine Empfehlung für glitzernd bunte Nächte.