Wirtschaft | Maskenaffäre

Rettung Zivilschutz

Die Hintergründe der 25-Millionen-Bestellung beim Unternehmen Oberalp und der Plan, wie der Sanitätsbetrieb und die Politik aus diesem Schlamassel herauskommen wollen.
Zivilschutz
Foto: Hannes Prousch
Wie schnell doch fünf Millionen Euro verschwinden.
Nachdem Salto.bz vergangene Woche die bisher verschwiegene zweite Bestellung von Schutzausrüstung aus China durch den Südtiroler Sanitätsbetrieb enthüllte, übernahmen etwas zeitverzögert alle Südtiroler Medien die Nachricht. Dabei änderte sich kurzerhand die Größenordnung der Affäre. Plötzlich ist überall von 20 Millionen Euro die Rede. Auch die Verantwortlichen der Sanitätseinheit sprechen plötzlich von dieser Summe.
Dabei weiß man nur zu gut, dass es um mehr geht. In den Dokumenten und Schreiben, die im Ermittlungsfaszikel der Bozner Staatsanwaltschaft liegen, steht schwarz auf weiß der Betrag: 25.085.000 Euro. Es ist der offizielle Preis jener Lieferung, die der Südtiroler Sanitätsbetrieb Ende März beim Unternehmen „Oberalp Group“ bestellt hat und jetzt anscheinend nicht mehr bezahlen kann.
Dabei scheint man dieser Tage nicht nur mit den Millionen zu jonglieren, sondern auch mit den Fakten. Hatte es Ende vergangener Woche laut Generaldirektor Florian Zerzer diese zweite Bestellung nicht gegeben, ist nach der Bestätigung der Nachricht durch Oberalp-Chef Heiner Oberrauch inzwischen von einer „Interessensbekundung“ (Landesrat Thomas Widmann) oder „Anfrage“ die Rede.
Das Problem dabei: Die Dokumente, die die Beamten der Carabinierisondereinheit NAS in der Sanitätsdirektion, in den zuständigen Ämtern und in der Oberalp-Zentrale sichergestellt haben, sprechen eine andere Sprache.
 

Die Bestellung

 
Weil es ein Wettlauf gegen die Zeit war und die ganze Welt nach Schutzausrüstung suchte, haben wir diese Bestellung nach demselben Procedere wie bei der ersten gemacht“, erklärte Firmenchef Heiner Oberrauch Anfang dieser Woche gegenüber den Dolomiten.
Oberrauch nennt dann auch Details. Am 24. März 2020 hätten die beiden Ärzte und Mitglieder der Covid-19-Taskforce, Patrick Franzoni und Primar Marc Kaufmann, eine Berechnung für die nächsten zwei, drei Monate erstellt. Oberrauch: „Und davon gibt es per E-Mail eine schriftliche Bestellung.“
Diese E-Mail haben die Ermittler längst sichergestellt. Heiner Oberrauch hat sich nur im Datum geirrt. Marc Kaufmann schickte am 23. März um 23.03 Uhr ein offizielles Schreiben an die Oberalp, in dem es heißt, „das ist die Liste für die nächste Bestellung“. Die Liste in der Mail: 3 Millionen chirurgische Masken, eine Million KN95-Atemschutzmasken, 800.000 Einweganzüge und 400.000 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch. Weil dieselben Preise wie bei der ersten Lieferung berechnet werden, ist auch der Gesamtpreis dieser Bestellung klar: 28.490.000 Euro.
 
 
Die Mail entspricht formal jenem Schreiben mit dem der Sanitätsbetrieb eine Woche vorher die erste Lieferung bestellt hat. Weil sich Land und Sanitätsbetrieb bei der ersten Bestellung an alle Abmachungen gehalten haben, geht auch diesmal der Sportartikelhersteller in Vorkasse. Am 26. März überweist Oberalp über die Raiffeisenlandesbank 29,6 Millionen US-Dollar an den chinesischen Partner Tutwo.
Der Vertrag wurde erst gut eine Woche später gemacht“, bestätigt Heiner Oberrauch den Dolomiten. Und er sagt auch: „Wobei dieser Vertrag nicht unterschrieben worden ist“.
 

Die Nullen

 
Dass dieser Vertrag nicht unmittelbar nach der Bestellung unterschrieben wurde, hat auch einen konkreten Grund.
Es ist ein Vorfall, der unzweifelhaft der Hektik, der absoluten Arbeitsüberlastung und dem Druck geschuldet ist, dem die Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes Mitte März am Zenit des Corona-Notstandes ausgesetzt ist. Gleichzeitig macht diese Episode aber auch deutlich, mit welchem Dilettantismus man zuweilen im Südtiroler Sanitätsbetrieb weitreichende Entscheidungen fällt.
Nach der erfolgten Geldüberweisung und Bestellung der zweiten Lieferung in China gibt es mehr als nur eine kollektive Schrecksekunde.
Denn in die Bestellliste der Sanitätseinheit hat sich ein folgenschwerer Fehler eingeschlichen. Der zuständige Prima Marc Kaufmann wollte 40.000 aseptische Schutzanzüge bestellen, hat in der Mail aber eine Null zu viel geschrieben: 400.000.
Weil dieser Fehler ausgerechnet beim teuersten Produkt (Stückpreis 27,90 Euro) passiert, hat diese Null einschneidende finanzielle Folgen. Der Unterschied beträgt mehr als 10 Millionen Euro.
So jedenfalls hat der CEO der Oberalp Group, Christoph Engl in seiner Aussage vor den Ermittlern die Geschichte nachgezeichnet. Engls Aussage wird dabei durch weitere Dokumente und Fakten untermauert.
 

Das Treffen

 
Vor allem vor diesem Hintergrund kommt es am 31. März zu einem Treffen zwischen der Sanitätsspitze und den Vertretern der Oberrauch Group. Dabei ersucht der Sanitätsbetrieb das Unternehmen im Nachhinein die Bestellung noch einmal zu korrigieren.
Man einigt sich bei diesem Treffen schließlich auf einen Kompromiss. Die Anzahl der aseptischen Schutzanzüge wird auf 100.000 Stück reduziert, während die chirurgischen Masken auf 4,5 Millionen, die KN95-Atemschutzmasken auf 1,5 Millionen und die Einweganzüge auf eine Million Stück aufgestockt werden. Damit reduziert sich der Gesamtpreis der Bestellung auf 25.085.000 Euro.
 
 
Es gibt von diesem Treffen nicht nur eine Präsentation der Oberalp-Gruppe, sondern auch ein Protokoll. Noch am selben Tag dürfte jener Vertrag aufgesetzt worden sein, von dem Heiner Oberrauch jetzt spricht.
Am 2. April bestätigt Verwaltungsdirektor Enrico Wegher in einem Schreiben an Oberalp noch einmal die Bestellung.
Genau einen Tag später, am 3. April, kommt dann das erste negative Gutachten der INAIL zu den Schutzanzügen. Der Sanitätsbetrieb hatte am 26. März beim Arbeitsversicherungsinstitut erstmals um die Zertifizierung der Ware angesucht.
Das ist dann auch der Grund, warum der zweite Vertrag mit Oberalp nicht mehr unterzeichnet werden konnte.
 

Die Lösung

 
Sowohl im Sanitätsbetrieb wie auch im Sanitätsassessorat weiß man aber, dass man gegenüber Heiner Oberrauch nicht nur eine moralische Verpflichtung hat, sondern im Falle eines Rechtsstreits der Unternehmer beste Karten in der Hand hat. „Der Schriftverkehr spricht eindeutig für das Unternehmen“, sagt einer, der die Akten kennt.
Deshalb sucht man seit Wochen fieberhaft nach einem Ausweg aus diesem Schlamassel. Und man hat ihn auch gefunden.
 
 
 
Laut den geltenden Bestimmungen gibt es einen legalen Weg, um die INAIL-Zertifizierung zu umgehen. Wenn der Zivilschutz des Material verteilt, kann er sich selbst die Zertifizierung ausstellen. Es gibt dazu ein technisches Fachkomitee. Der Hintergrund: Der Zivilschutz darf nur in Notsituationen tätig werden; dann aber ist das INAIL außen vor.
Was auf nationaler Ebene möglich ist, gilt im Rahmen der Autonomie auch für den Südtiroler Zivilschutz.
Der Plan ist deshalb einfach: Die Südtiroler „Agentur für den Bevölkerungsschutz“ (so wurde der Zivilschutz inzwischen umbenannt) kauft die gesamte Oberalp-Ladung an und gibt sie dann an den Sanitätsbetrieb weiter.
 

Das Gesetz

 
Wie weit dieser Plan bereits gediehen ist, zeigt ein Blick auf das Landesgesetz zum Neustart. Im Gesetz „Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus SARS-COV-2 in der Phase der Wiederaufnahme der Tätigkeiten“, das am 8. Mai vom Landtag genehmigt wurde, findet sich ein Passus, der diese Operation ermöglichen soll.
In Artikel 3 des Gesetzes heißt es:
 
„Die Landesregierung wird ermächtigt, mittels der Agentur für Bevölkerungsschutz und soweit als notwendig erachtet, den Arbeitskräften, die in Kontakt mit der Öffentlichkeit stehen, und der Bevölkerung einen Schutz der Atemwege zur Verfügung zu stellen.“
 
Der Landtag hat auf Vorschlag der Landesregierung zur Deckung dieser Ausgaben 71 Millionen Euro für das laufende Jahr genehmigt.
Aus diesem Topf könnten jetzt auch alle noch offenen Rechnungen der Oberalp AG bezahlt werden.
 
 
Damit alles seinen korrekten Gang hat, müssen das Land und der Sanitätsbetrieb vorab aber eine genaue Berechnung des Bedarfs an persönlicher Schutzausrüstung erstellen. Genau das hat man vergangene Woche auch getan.
Florian Zerzer erklärte am vergangenen Samstag, der Sanitätsbetrieb hätte eine Berechnung gemacht, was man alles brauche. „Diese Liste haben wir dem Landeszivilschutz geschickt“, so der Generaldirektor in den Dolomiten.
Salto.bz liegt diese Liste vor. Sie dürfen dreimal raten, was darauf steht:
 
  • 4,5 Millionen chirurgische Masken;
  • 1,5 Millionen FFP2 oder gleichwertige Masken;
  • 1 Million Schutzanzüge;
  • 100.000 aseptische Schutzanzüge;
 
Es ist genau das, was man bei Oberalp am 31. März bestellt hat.