Vorsätzliche Wählertäuschung oder fulminante Entwicklung der SVP

Nachdem die SVP gerade erst im Juni 2013 ihr Gesetz zur "Bürgerbeteiligung" im Landtag verabschiedete und es selbst als Zwei-Stufen-Regelung bezeichnet, das sich am Bayerischen Modell orientiert, identifiziert sie sich jetzt (scheinbar) mit dem Schweizer Modell.
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Die SVP macht zur Zeit eine fulminante Entwicklung durch: Nachdem sie sich gerade im Juni noch ihr Gesetz zur "Bürgerbeteiligung" im Landtag verabschiedet und es selbst als eines beschrieben hat, das sich mit der Zwei-Stufen-Regelung am Bayerischen Modell orientiert, identifiziert sie sich jetzt scheinbar schon mit dem Schweizer Modell (siehe Tabelle am Ende des Mails).
So nachzulesen im Kommentar zu Frage Nr. 25 im Wahllokal-Test des Südtiroler Jugendrings, ob das Land Südtirol mehr direktdemokratische Formen und Mitbestimmung nach dem Schweizer Modell umsetzen will. Der Kommentar ist unter "Details" nach Abschluss des Tests zu finden.

Zur Erläuterung:
Das Bayerischen Modell sieht eine Zwei-Stufen-Regelung vor, das heißt, es müssen zwei Mal Unterschriften gesammelt werden, um eine Volksabstimmung zu erwirken. Aufgrund einer sehr hohen Einstiegshürde sind in Bayern seit 1947 nur ganze 6 Volksabstimmungen zustande gekommen (10% in Bayern, annähernd 9% im SVP-Gesetz). Weiters kennt das sog. Bayerische Modell nur eine Hälfte der Direkten Demokratie, nämlich die Volksinitiative, nicht aber das Referendum, mit dem die Bürgerinnen und Bürger die Beschlüsse der politischen Vertretung kontrollieren können. Genau so will es auch das SVP-Gesetz.

Das sog. Schweizer Modell zeichnet sich vor allem durch die zwei Säulen der Direkten Demokratie aus: Referendum und Initiative, also die Möglichkeit

  • der Volksabstimmung über Beschlüsse der politischen Vertretung, wenn eine festgelegte Zahl von Stimmberechtigten das will, bevor diese Beschlüsse in Kraft treten und
  • von Volksabstimmungen über Vorschläge, die von Promotoren vorgelegt werden und anhand einer Unterschriftensammlung einen Mindestkonsens in der Bevölkerung vorweisen können.

 

Weiters kennt dieses Modell kein Beteiligungsquorum und gut nehmbare Hürden (zwischen 1 und max. 5%). Ist einmal die nötige Unterschriftenzahl gesammelt, dann kommt der Vorschlag auf alle Fälle zur Abstimmung, außer er wird von den Promotoren selbst zurückgezogen. Die politische Vertretung kann einen Gegenvorschlag mit zur Abstimmung bringen. Abgestimmt kann über alles werden, worüber auch die politische Vertretung entscheiden kann.

Im Kommentar der SVP zur Frage kann man lesen (erst nachdem man den Test gemacht hat):
"Das Schweizer Modell kann nicht 1:1 übernommen werden."

Diese Floskel werden wir noch öfters zu hören bekommen, deshalb fragen wir uns, was sie bedeuten soll, denn

  1. das Schweizer Modell ist nicht eine Schweizer Eigentümlichkeit, sondern mittlerweile weltweit gültiger Standard, der auch in anderen Ländern schon Realität ist und von vielen angestrebt wird. Zudem gibt es in der Schweiz nicht eine einzige Regelung der Direkten Demokratie, sondern es hat der Bund, jeder Kanton und jede Gemeinde seine eigene.
  2. Wir fragen uns auch, weshalb der hohe Schweizer Standard nicht auch für Südtirol möglich sein soll. Die Einführung der Volksinitiative haben wir schon erreicht und dass das Referendum grundsätzlich möglich ist, das erleben wir jetzt gerade damit, dass die Stimmberechtigten über das SVP-Gesetz in einer Volksabstimmung entscheiden werden können. Wenn das Referendum bisher auch nur bei Grundgesetzen zur Anwendung kommen kann, so ist nicht einzusehen, weshalb es nicht auch bei einfachen Gesetzen angewandt werden können soll, was viel intelligenter wäre, als etwas, das schon in Kraft ist, nachträglich abschaffen zu müssen. Vom Beteiligungsquorum hat sich die SVP , erschreckt durch den Volkszorn nach der Volksabstimmung 2009, auch schon verabschieden müssen. Bleibt fast nur noch die zugängliche Hürde, also die Frage, ob Mitbestimmung in der Politik relevant sein soll oder nicht, ob viel oder wenig Kontrolle, viel oder wenig Eigeninitiative der Bürger möglich sein soll. Das hat aber mit der Schweiz überhaupt nichts zu tun, sondern einzig mit dem Demokratieverständnis.

 

Also vorerst noch Vorsicht!
Wer sich im Wahllokal-Test Direkte Demokratie nach Schweizer Muster wünscht,
dessen Position deckt sich de facto leider noch nicht mit der der SVP, wie es dieser Test vortäuscht.