EU in der Welt: Vom Küken zum Schwan?
Eine Bestandaufnahme der EU Außenpolitik würde relativ knapp ausfallen: Es gibt sie zwar formal, ihr Name ist GASP (Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik), doch bisher zeigt sie sich hauptsächlich in Form von gemeinsamen rhetorischen Positionen. Und selbst die kommen selten zustande, denn sie müssen einstimmig von allen Mitgliedern bewilligt werden. Folgt die Union dann doch mal gemeinsame Maßnahmen durch, wird schnell klar: Sie ist nicht in der Lage, ihre außenpolitischen Ziele umzusetzen. Jüngstes Beispiel ist der Iran Deal, der gerade zerbröckelt. Man kann es Ländern wie Russland daher nicht übelnehmen, dass sie die Union als Ganzes nicht ernst nehmen, und sich lieber mit Staaten wie Deutschland und Frankreich zusammensetzen, um Lösungen für den Ukraine Konflikt zu finden.
Gegenüber Entwicklungsländern hat die EU zwar einen stärkeren Einfluss, da sie viel in Entwicklungszusammenarbeit investiert. Auch in der Nachbarschaftspolitik konnte die EU durch Anreize wie freien Handel oder Visaerleichterungen Reformprozesse voranbringen. Doch wenn es darum geht, den großen Spielern wie China oder den USA etwas entgegenzusetzen, zum Beispiel, um sie zu mehr Klimaschutz zu verpflichten, halten sich die Möglichkeiten der EU in Grenzen.
Ein Wandel zum Schwan?
Die neue Kommissionspräsidentin will den Küken-Ruf der EU in der Welt ändern. In ihrer Rede vor dem Parlament Ende November erklärte sie, neben Klimamaßnahmen und Digitalisierung sei es ihre Priorität, die Rolle der EU als internationalen Akteur zu stärken: „Die Welt braucht unsere Führung mehr denn je“, sagte Ursula von der Leyen. Ob die Mitgliedsländer mitspielen, wird sich im nächsten Jahr zeigen, wenn es an die Budgetverhandlungen für das Jahr 2021-2027 geht. Die Kommission schlug vor, die finanziellen Mittel für die EU Außenpolitik um 123 Mrd. Euro zu erhöhen. Diesem Vorschlag müssen die Mitgliedsstaaten zustimmen. Laut einer Studie der Denkfabrik ECFR ist die globale Rolle der EU zwar wichtig für die Länder, und das Thema gewinnt gerade mehr an Bedeutung. Wenn es doch um Investitionen geht, ist Außenpolitik für keines der Länder wirklich Priorität.
Für den Wandel zum Schwan muss die EU handlungsfähiger werden. Bereits 2018 gab es einen Vorschlag aus der Kommission Junckers, die Bereiche Menschenrechte, Sanktionen und zivile Missionen auf die Gemeinschaftsebene zu heben. Von der Leyen will hier ansetzen, sodass in Zukunft mehr außenpolitische Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, statt mit Einstimmigkeit entschieden werden können. Doch auch da zögern die Mitgliedsstaaten vor einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, erklärt Thomas Linsenmeier, Experte für Europäische Sicherheitspolitik: „Wenn es zur Außenpolitik kommt, halten die Länder an ihrer Souveränität fest, weil wenig Einigkeit in dem Bereich herrscht. Während zum Beispiel südliche Länder wie Frankreich den Fokus der EU-Außenpolitik in Afrika sehen wollen, liegen die Interessen der zentral-osteuropäischen Mitglieder ganz klar bei Russland und den Osten.“
Bis 2004 galt die EU noch als technokratischer Akteur. Juncker sprach dann von einer ‚politischen Kommission‘. Jetzt spricht von der Leyen schon von einer ‚geopolitischen Kommission‘. Das hätte man vor 15 Jahren noch nicht so gedacht
Eine weitere geographische Spaltung zeige sich bei der Debatte um die geeigneten Mittel, um auf Probleme zu reagieren, erklärt Linsenmeier: „Wieviel Fokus soll auf militärische Lösungen liegen, wieviel hingegen auf Entwicklungszusammenarbeit? Auch hier haben die Länder unterschiedliche strategische Kulturen“. Länder wie Großbritannien und Frankreich, die über breitere militärische Mittel verfügten, neigten zu einer klassischen militärischen Vorgehensweise. Deutschland und Schweden hingegen setzten laut Linsenmeier mehr auf zivile Maßnahmen, wie Entwicklungspolitik.
Von der Idealistin zur Geopolitikerin
Der Trend scheint sich nun aber Richtung klassischer Interessenpolitik zu entwickeln. Während die EU Anfang der 2000er normbasiert handelte, und auf technokratische Anreize setzte, schlagen EU Politiker seit einigen Jahren einen bestimmteren Ton an. „Dass die EU nicht immer wertebasiert handelt, sondern Interessen oftmals eine wichtigere Rolle spielen, hat man in den letzten Jahren besonders in der Migrationspolitik gesehen“, so Linsenmeier, „Der Unterschied liegt aber in der Betonung. Bisher hat die EU immer wertebasiert argumentiert. Diese Rhetorik hat sich gewandelt, man hat anerkennt, dass man keine idealistische Außenpolitik führen kann,“ erklärt der EU Sicherheitsexperte.
Die EU versucht nun eine Mischung zwischen Normativität und Pragmatik in ihrer externen Identität zu finden, und wird in Zukunft wohl interessenbasierter handeln. Für Thomas Linsenmeier markiert dieses neue Selbstverständnis der EU als geopolitischer Akteur einen unerwarteten Wandel im Wesen der EU: „Bis 2004 galt die EU noch als technokratischer Akteur. Juncker sprach dann von einer ‚politischen Kommission‘. Jetzt spricht von der Leyen schon von einer ‚geopolitischen Kommission‘. Das hätte man vor 15 Jahren noch nicht so gedacht,“ so der Experte.
Wie reagiert die Welt darauf?
Es wird interessant zu beobachten, wie sich das transatlantische Verhältnis ändert, wenn sich Europa und die USA plötzlich als geopolitische Konkurrenten wahrnehmen. Denn wenn der Schwan ausgewachsen ist, dann wird er früher oder später auch unabhängig vom Elternhaus. Der französische Präsident Macron wurde bereits aufmüpfig, indem er die NATO als „hirntot“ bezeichnete.
Und auch die Nachbarn im Osten werden auf dieses neue Selbstverständnis der EU reagieren. Linsenmeier führt ein Paradebeispiel dafür auf, was passiert, wenn sich die EU Politik von einem technokratischen zu einem geopolitischen Verständnis wandelt: „Die östliche Nachbarschaft der EU wurde von Russland am Anfang ignoriert, da es die Zusammenarbeit als rein bürokratisch wahrnahm. 2008 nahm Russland die östlichen Partnerschaften plötzlich als geopolitisches Projekt wahr. Wenn man sich anschaut, wie sich das Verhältnis zu Russland seitdem verschlechterte, kann man sagen, dass eine stärker geopolitische Ausrichtung nicht unbedingt zu mehr Sicherheit für die Union führt.“