Modernisierte Schreckensherrschaft
Mehmed II, der 1453 Konstantinopel eroberte und damit die christliche Herrschaft über Byzanz beendete, war für seine Härte und Grausamkeit bekannt. Sie diente ihm, Gegner einzuschüchtern, seine Territorien und seine Macht zu erweitern. Diese Art von Schreckensherrschaft, die zuweilen durchaus Toleranz gegenüber anderen Religionen im Tausch für saftige Steuern zuliess, stellt eine Konstante in der Geschichte der Ottomanen dar.
Und weil der heutige Staatspräsident Reyyip Erdogan diese ottomanische Geschichte fortführen will, scheut er auch nicht vor Mitteln zurück, die in "normalen" europäischen Demokratien nicht gebräuchlich sind.
Die moderne Türkei verfügt über die am besten ausgebildete und ausgerüstete Streitmacht in Europa und Kleinasien. Entsprechend stark ist der türkische Geheimdienst MIT, dessen offene Sympathien für den Islamischen Staat kaum zu verbergen ist. 53 Personen, darunter Minderjährige, wurden am Wochenende in einem Istanbuler Außenberzirk überrascht, während sie zu IS-Kämpfern ausgebildet wurden. Dass dies mit dem Einverständnis des MIT-Geheimdienstes geschah, versteht sich von selbst. Die Personenüberwachung in der Türkei ist allgegenwärtig. Niemand kann von den Sicherheitsbehörden unbeobachtet IS-Kämpfer ausbilden.
Tausende von "foreign fighters", die für den IS kämpfen wollen, passieren weiterhin problemlos die türkisch-syrische Grenze Richtung Raqqa. Wenn sie im Kampf für den Terrorstaat verletzt werden, werden sie in türkischen Krankenhäusern behandelt.
Die offizielle Türkei streitet solche Fakten ab und heuchelt den großen NATO-Partnern vor, sie bekämpfe den Islamischen Staat.
Dabei ist erwiesen, dass der MIT nicht nur Waffenlieferungen an den IS begünstigt, sondern sie auch selbst durchgeführt hat. Die türkischen Journalisten , die das mit Videoaufnahmen festgehalten haben, sitzen im Gefängnis . Richter, die gegen den MIT Anklage erhoben, wurden abgesetzt.
Wenn es Journalisten, wie die Britin Jacky Sutton, auch noch wagen, im Irak die Hintergründe dieses schmutzigen Krieges zu erforschen und sich nicht einschüchtern lassen: Dann wird zur physischen Eliminierung geschritten, wie es am vergangenen Freitag am internationalen Flughafen von Istanbul geschehen ist. Die 50jährige ehemalige BBC-Reporterin wurde erhängt in einer Flughafentoilette gefunden. In der Umgebung des Tatorts positionierte Videokameras waren "zufällig" ausgeschaltet. Die Version der türkischen Ermittler, wonach die Frau Selbstmord begangen habe, erwies sich 24 Stunden später als unhaltbar.
In diesen Kontext platzte am Dienstag eine von der türkischen Nachrichtenagentur Anadolou verbreitete Meldung, wonach sich der Chef des MIT-Geheimdienstes für die Eröffnung eines Konsulats des Islamischen Staates in Istanbul ausspreche. Das hatten vor einem Jahr Spitzenvertreter des Islamischen Staates gefordert. Dieses Konsulat solle die vielen foreign fighters betreuen, die sich auf den Weg in den Islamischen Staat aufmachen, wurde der türkische Geheimdienstchef zitiert.
Die französische Nachrichtenangentur AFP übernahm diese Meldung. Wenig später wurde sie von türkischen Stellen dementiert.
Dementiert werden auch die permanenten Bombendrohungen, die seit Monaten durch die Medien geistern und ein Klima der Angst und Unsicherheit erzeugen. Am Wochenende erhielten die in Istanbul lebenden US-Bürger eine SMS, wonach sie 72 Stunden lang alle wichtigen Verkehrsknotenpunkte meiden sollten. Weder U-Bahnen noch Fähren sollten benutzt werden, weil ein Attentat wie jenes von Ankara mit 126 Toten befürchtet werde.
Passiert ist letztendlich nichts. Doch allein die Drohungen reichen aus, dass viele Menschen zuhause bleiben und Protestveranstaltungen gegen die Regierung meiden.