Best of 2022: Pop: Electronic Variations
Disclaimer: Für diese Übersicht haben wir die Objektivität zugunsten der Subjektivität etwas in den Hintergrund gerückt. Wir werden uns textlich zurückhalten, aber die Releases und Videos verlinken, damit ihr euch selbst auf Entdeckungsreise machen könnt. Die Redaktion von salto.music erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die Übersicht kann gerne in den Kommentaren ergänzt werden. Die Reihung im Text ist keine Wertung, sondern ist dem „flow“ geschuldet.
Die Mini-Serie:
- #1 Best of 2022: Metal / Stoner / Prog
- #2 Best of 2022: Punk / Core / Alternative
- #3 Best of 2022: Rock / Pop
- #4 Best of 2022: HipHop/Rap & Reggae
- #5 Best of 2022: Pop: Electronic Variations
Zur Sache: Das eigentliche musikalische Highlight im abgelaufenen Jahr war zu sehen, wie vielfältig die elektronische Musik im weiten Feld der Popmusik angewandt werden kann und wie spannend und inspirierend die Kombination elektronischer Elemente - seien das nun Beats, Flächen aus dem Synthesizer oder die Möglichkeiten der verschiedenen DAW's, der digitalen Arbeitsumgebungen. Alternative-Rock, Hyper-Pop oder Electronic-Soul ... die MusikerInnen setzen das was sie zur Verfügung haben sehr gekonnt ein und alles klingt so natürlich, als hätte es immer schon so geklungen. In dieser Sparte haben wir uns 2022 definitiv am besten unterhalten.
Elis Noa: „I Was Just About To Leave”
Elis Noa – Elisa Godino aus Brixen und Aaron Hader aus Wien – haben mit ihrem aktuellen Album „I Was Just About To Leave” ein schlüssiges und gewinnendes Stück Musik geschaffen, das sich – als textliches Konzept – mit der Trennung auseinandersetzt. Wir haben bereits drüber geschrieben, möchten aber noch einmal an die wunderbar ausgeglichene Musik von Elis Noa verweisen, die sich ihren Weg zwischen Soul, Pop und elektronischen Tendenzen suchen und ohne Oberflächlichkeiten auskommen.
Zelda Mab: „Facile preda”
Verträumt, leicht angepunkt, mit schönen Gitarren versehen und mit schönen Melodien und gekonntem Arrangements ausgestattet: „Facile preda”, die im Oktober 2022 erschienene Video-Single von Zelda Mab, ist ein Song der hängenbleibt, an dem man sich nicht satt hören kann ... wir zumindest. Es ist elektronisch durchsetzter Pop, ja, aber eigenständig, selbstbewusst und ohne die Vorhersehbarkeit so vieler Pop-Produktionen. Das gilt übrigens auch für die restlichen Songs der EP „Elettricitá”, die mitunter durchaus härter sind.
Beat Noir Deluxe: „Start Over Again“
Ist es die Melodie? Der entspannte Groove? Das SynthWave/Darkwave-Projekt Beat Noir Deluxe hat 2022 mit „Start Over Again” definitiv einen Song in die Welt gesetzt, der hängen bleibt. Und sieht man sich dazu vielleicht noch den Videoclip an, der auf ironische Art und Weise ein ganz bestimmtes Beziehungsdilemma verhandelt, dann wird man sich immer wieder an diesen Song erinnern. Uns fällt er jedenfalls immer wieder ein.
Zu erwähnen ist hier natürlich der betonte Bezug auf die (frühen) Achtziger Jahre, was das Klangbild der Synths betrifft. „Start Over Again” holt diesen Spirit sehr gut in die Gegenwart, ohne retro zu wirken.
{ø_ø} (= Brackethead): „The End (feat. TiNQ)“
Knallig, überdreht, elektronisch-poppig ... damit könnte man das umschreiben, was Hyper-Pop genannt wird, oder aber das relativ neue musikalische Projekt {ø_ø} – sprich: Brackethead – von Simon Öggl, u.a Komponist und Mitglied des Kollektivs Drahthaus (siehe auch weiter unten). Im Oktober erscheint die etwas nervöse aber unterhaltsame und instrumental gehaltene EP „Hi! It's Brackethead”. Zum Jahresende hin erscheint dann die Single „The End”, die gemeinsam mit der Wiener Sängerin TiNQ entstanden ist, ein leicht spaciger, fast schon ruhiger, ernst wirkender Track. Und diese Zusammenarbeit zeigt, wie vielfältig, anpassungsfähig {ø_ø} ist. Da steckt Potential drinnen würden wir meinen.
Calinzy: „Nightride”
Calinzy hat bereits Ende 2020 ihre erste Single „Air&Sea“ veröffentlicht und dann lange nichts mehr von sich hören lassen. Doch gerade als man Carolin Zeller’s neues Projekt als einmalige Sache abhaken wollte, meldete sich die ehemalige Sängerin und Frontfrau der Punkrock-Bands IntoXication und Uglycute zurück. 2023 war Carolin Zeller jedoch nicht mehr in Rockbands aktiv, sondern landete bzw. fischte – wie derzeit viele junge Artists - im EDM-Teich. Gemeinsam mit dem Producer-Duo AllenSave veröffentliche Calinzy die aktuellen Tracks „Nightride“ und „Stereo Love“. Die Meraner AllenSave haben auch die kürzlich erschienene EP „Lock On!“ von der (mit Carolin Zeller befreundeten) TripHop-Lady Baylenzia produziert.
Drahthaus: „Fireworks (Original Motion Picture Soundtrack”
Das Drahthaus steht in Wien und ist nicht nur ein „monolocale”, sondern hat etliche Zimmer. Eines dieser Zimmer im Drahthaus befindet sich in den oberen Etagen und liegt dort, wo die Dunkelheit scheinbar als erstes eintrifft. Um die Metapher nicht allzu sehr zu überdehnen: Das Wiener Kollektiv Drahthaus hat im April 2022 das Album „Fireworks (Original Motion Picture Soundtrack” veröffentlicht und hat damit – bei aller Vielfalt, die es ansonsten an den Tag legt – ein schönes, fokussiertes, in sich schlüssiges Stück Musik abgeliefert. Es ist der Soundtrack zu einem österreichischen Thriller, aber mit etwas Empathie, mit etwas Vorstellungskraft, muss man den Film nicht gesehen haben, um diesen Soundtrack genießen zu können. Anspieltipp zum Einstieg: „In The Web”.
„Pagan I” oder: Die Skizzen des Joachim Planer
Unsere Releaseliste für 2022 zeigt, wie kreativ der Seiser Musiker Joachim Planer eigentlich ist. Insgesamt acht EP's hat er 2022 veröffentlicht. Planer betont dabei, dass es sich vor allem um Skizzen handeln würde, die aber in ihrer „Unvollständigkeit” den Hunger nach mehr wecken und letztlich die Vorstellungskraft auf gewinnbringende Art und Weise fordern.
Stilistisch liegt Planer im Fahrwasser von Soundtracks, weiß aber durch unterschiedliche Variationen im Klangbild und in der Atmosphäre seiner Musik zu überzeugen. Die „stilistische“ Bandbreite reicht von ruhigen und kurzen Piano-Balladen („natura umana” aus „Piano Works“) bis hin zum düsteren Soundtrack, bei dem man sich auf eine Reise in die Weiten der Zeit begibt („Lights Out“ aus „Pagan I”).
P.S.: Wer sein Herz an gewisse Krautrockbands verloren hat – Popol Vuh etwa oder die frühen Tangerine Dream – der (oder die) wird sich hier zu Hause fühlen (oder umgekehrt).
Narfos & Dead Like Juliet: „Sotto cassa”
Bevor wir zu den Bonustracks kommen, sei euch der vielleicht verrückteste Track des Jahres 2022 verwiesen. Wir haben im Sommer über die EP „Clash Of Trash“ von Narfos darüber geschrieben und möchten daraus zitieren:
„Wirklich gut ist hingegen die B-Seite, denn hier zeigt sich Narfos als Meister der Collage. 'Sotto Cassa' ist eine Zusammenarbeit mit der Metalcore-Band Dead Like Juliet und der Energiepegel erreicht im Laufe der vier Minuten immer wieder ein Maximum.”
Dem ist nach wie vor nichts hinzuzufügen!
Bonustrack 1: Daniel Resca: „Among The Trees”
Daniel Resca lebt schon lange in Wien, und wenn man möchte, könnte man die Metropole auch durchaus heraushören aus den vier Songs seiner EP „Among The Trees”. Eine gewisse Melancholie liegt über der gesamten EP und elektronische Elemente sind nur hier und da wahrzunehmen, wie etwa gegen Ende des Titelsongs oder bei „The Fathers Song”. Die EP, die im Mai 2022 erschienen ist, zeichnet sich gerade auch wegen dieser Zurückhaltung im Arrangement aus, die die Songs, die Stimme und die Stimmung der Songs wirken lässt. Sehr schön.
Bonustrack 2: j.dvst: „Air From The Sky”
Wenn die vorhin erwähnte EP eigentlich in die Sparte Singer/Songwriter-Pop gehört, so gehört der nachfolgende Track eigentlich in zum Punk, bzw. zum Alternative. Und auch wiederum nicht, weil die Drums programmiert sind, die flächigen Synths mit dem Bass stark zum Post-Punk der frühen Achtziger verweisen, in denen auch der SynthWave seine Wurzeln hat: „Air From The Sky” von j.dvst.
j.dvst ist das Projekt von Julian Matzneller, der mit Bands wie Junk Love, Hungerstrike und Meddycrayed bei zahlreichen Wesen des hiesigen Undergrounds bleibende Spuren hinterlassen hat. Schön – wenngleich nicht ganz so spacig und unarrogant abgehoben – sind auch die anderen beiden Songs, die sich im Spotify-Profil finden. Mehr gibt es momentan nicht. Leider.