Politik | Gesundheits- und Sozialdienstleistungen

Das Gute kommt von unten

In seiner Sozialpolitik soll das Land auf Mitsprache und Eigenverantwortung der Menschen mit Benachteiligung setzen, fordert der Dachverband für Soziales.

Große Einmütigkeit und einen betont herzlichen Umgang miteinander demonstrierten heute in Bozen Soziallandesrätin Martha Stocker und der Dachverband für Soziales und Gesundheit vor der Presse. Anlass war die Vorstellung der Schwerpunktthemen, die sich der Verband für das Jahr 2016 vorgenommen hat. Leitmotiv der Pressekonferenz: mehr Mitspracherecht für Betroffene in der Sozial- und Gesundheitspolitik. „Wir sind Experten aus Betroffenheit“, betonte Martin Telser, der Vorsitzende des Dachverbandes, der die Interessen von rund 45.000 Menschen mit Benachteiligung in Südtirol vertritt.

Derzeit wickelt die öffentliche Hand 90 Prozent der Dienstleistungen im Sozialbereich in Eigenregie ab, nur zehn Prozent liegen in der Hand privater Träger. Dieses starke Ungleichgewicht gilt es nach Ansicht des Dachverbands aufzubrechen: Initiativen von unten seien zu fördern und zu stärken, sagte Vizepräsidentin Dorotea Postal. In Südtirol werde das Subsidiaritätsprinzip aus autonomiepolitischen Gründen stets hochgehalten. Der Grundsatz der Selbstverwaltung und der Eigenverantwortung habe aber genauso im Gesundheits- und Sozialbereich seine Berechtigung. Was der Dachverband im sozialen Bereich erreichen möchte: Vorrang für Non-Profit-Organisationen, Raum und Ressourcen für innovative Projekte, die von der Basis kommen und von den Betroffenen selbst getragen werden, und die Möglichkeit für den Bürgern, zwischen mehreren Anbietern zu wählen. Die Soziallandesrätin pflichtete den Verbandsvertretern bei: Sie persönlich sei für einen „guten Mix“ von öffentlichen und privaten Trägern, sagte Stocker. Als „sehr gelungenes“ Beispiel wurde auf der Pressekonferenz die Übernahme der Landhausbar durch eine Sozialgenossenschaft genannt. Diese Maßnahme habe eine wichtige Signalwirkung, sagte Stocker.

Präsident Telser dankte der „lieben Martha“ für die gute Zusammenarbeit. Mit dem Vergabegesetz und dem Inklusionsgesetz seien 2015 „zwei an sich sehr gute“ Neuerungen auf den Weg gebracht worden. Für dieses Jahr hat sich der Verband vorgenommen, die Umsetzung der beiden neuen Regelwerke aufmerksam zu begleiten, damit ihre Wirkung „spürbar“ wird. Das Landesgesetz zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt müsse auch in der Privatwirtschaft greifen. Anders gesagt: geschützte Werkstätten sind aus Sicht des Verbandes nicht der Weisheit letzter Schluss. Deshalb pocht der Verband auf Durchführungsbestimmungen, die die Anstellung von Menschen mit Behinderung in privaten Unternehmen fördern – durch Stützmaßnahmen und individuelle Begleitung. Noch heuer soll ein Monitoring-Ausschuss eingesetzt werden, der die Umsetzung des Inklusionsgesetzes überwachen soll.

Richtungsweisende Durchführungsbestimmungen erwartet der Dachverband auch zum neuen Vergabegesetz, mit dem das Land die Ausschreibung von Sozialdienstleistungen auf eine neue Grundlage gestellt hat. Nachdem in jüngster Vergangenheit mehrere auch wichtige Aufträge an „provinzfremde“ Anbieter gegangen sind, die billigere Angebote gelegt hatten, fordert der Dachverband nun mehr direkte Beauftragungen von lokalen Non-Profit-Organisationen auf der Grundlage von Kriterien wie Qualität und Kontinuität – zumindest was jene Aufträge betrifft, die den Schwellenwert von 750.000 Euro nicht überschreiten. Telser rief die Behörden zu „mehr Mut“ in dieser Frage auf. Stocker bestätigte, dass die Umsetzung des Vergabegesetzes „in Absprache mit dem Dachverband“ erfolgen werde. Es müsse aber auch klar sein, dass die Transparenz in der öffentlichen Verwaltung und die „Konkurrenz unter den Anbietern“ dabei nicht auf der Strecke bleiben dürften.