Bühne | Salto Afternoon

Tanz und Voudon Philosophie

Der Choreograph, Tänzer und "Voudon Meister" aus Benin Koffi Kôkô, feiert in Bozen die italienische Premiere von "The Third Body". Ein Gespräch mit Johannes Odenthal.

Gemeinsam mit dem Perkussionisten Manus Tsangaris wird Koffi Kôkô Samstag den 22. Juli um 21 Uhr in der Antonio Dalle Nogare Stiftung auftreten. Im Rahmen des Bolzano danza Tanz Bozen Festivals. Der Schriftsteller und Autor Johannes Odenthal, für Texte und Dramaturgie zuständig, wird die beiden Künstlern begleiten. Nach der Tanzvorstellung wird auch das Buch Passagen, das Johannes Odenthal über das Leben und die Kunst von Koffi Kôkô geschrieben hat, vorgestellt.

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Johannes Odenthal studierte Kunstgeschichte und Archäologie in Köln, Bonn und Paris. Er publizierte zahlreiche kulturhistorische Essays und Bücher, ist Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschriften tanz aktuell und ballet international/tanz aktuell. Sein Arbeitsschwerpunkt gilt den zeitgenössischen Performing Arts. Seit 2006 ist Odenthal Programmbeauftragter der Akademie der Künste, Berlin. / Bildquelle: Akademie der Künste

 

Salto.bz: Johannes Odenthal, was ist das Besondere an der Tanzkunst von Koffi Kôkô, und genau in diesem Stück The Third Body?

Johannes Odenthal: Wie kein anderer zeitgenössischer Tänzer verkörpert Koffi Kôkô das Wissen aus den Ritualen und Bewegungstechniken des westafrikanischen Voudon. In mehr als 40 Choreographien hat er dieses Wissen in eine zeitgenössische Sprache übersetzt. In künstlerischen Dialogen zum Beispiel mit Susanne Linke (Mistral 2014) oder dem Jazzmusiker Floros Floridis (Think about? 2016) sucht Koffi Kôkô die direkte Auseinandersetzung mit europäischen Künstlern auf der Bühne. The Third Body ist eine Fortsetzung dieser Begegnungen zwischen verschiedenen Wissensräumen und künstlerischen Genres, jetzt mit dem Komponisten und Percussionisten Manos Tsangaris. Dabei handelt es sich um eine offene künstlerische Versuchsanordnung aus Struktur und Improvisation, die sich nicht als klassische Produktion versteht. Es ist der Versuch, einen Raum von Resonanzen zu erschaffen zwischen Körper und Klang, zwischen Innen und Außen, zwischen Meditation und Explosion, zwischen Performance und Publikum: Wir sprechen vom “dritten Körper”, der die Konventionen unserer Gegenwart für einen Moment öffnet. 
 

Für uns ist Voudon ein einzigartiger Wissensraum für die Zukunft des Menschen. 
(Johannes Odenthal)


Was ist die Voudon Philosophie?

Voudon, Vodun auch Voodoo ist aus der westlichen Perspektive der Inbegriff des Irrationalen. Der Animismus gilt immer noch als primitive Kultur. Und erst langsam wird deutlich, dass die komplexen Beziehungen zwischen Natur und Mensch, wie sie im Voudon und anderen animistischen Kulturen als Zugang zur lebendigen Natur und Umwelt praktiziert werden, als Modell begriffen werden kann gegen die systematische Zerstörung unseres Planeten durch einen auf dem Rationalismus aufbauenden globalen Kapitalismus. Für uns ist Voudon ein einzigartiger Wissensraum für die Zukunft des Menschen. 
 

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Koffi Kôkô: Im tiefsten Sinne Humanist / Foto: Arnaldo J.G. Torres

 

Können Sie kurz den Menschen Koffi Kôkô und seine Kunst beschreiben?

Koffi Kôkô ist, ähnlich wie Manos Tsangaris, im tiefsten Sinne Humanist, geprägt von einem großen Interesse an den Möglichkeiten der menschlichen Existenz.  

Wie haben Sie an die Produktion dieser Performance mitgewirkt, welche ist darin ihre Rolle, zusammen mit dem Musiker Manos Tsangaris?

Ich habe das große Glück, dass ich mit Koffi Kôkô ebenso wie mit Manos Tsangaris auf ganz verschiendenen Ebenen von Produktion und inhaltlichem Austausch seit Jahren zusammenarbeite. Die erste gemeinsame Performance entstand anlässlich der Buchpremiere von Passagen "Der Tänzer Koffi Kôkô und die westafrikanische Philosophie des Vodun", 2018 in Berlin. Das Buch war eine Art geistiger Horizont für ein Weiterführen von Inhalten auf künstlerischer Ebene. 
 

Koffi Kôkô nimmt bis heute eine Position ein, die die Werte und das Wissen seiner Kultur vertritt und für die Gegenwart lebendig hält.


Wie lange kennen Sie Koffi Kôkô und wie hat eure Zusammenarbeit angefangen?

Ich habe Koffi Kôkô 1987 kennengelernt, also vor mehr als 35 Jahren. Ich habe damals mein erstes Interview als Journalist mit ihm geführt. Seitdem habe ich ihn als Dramaturg, als Produzent und Autor begleitet. 

Zu ihrem Buch, das in Bozen vorgestellt wird, was hat Sie bewegt es zu schreiben?

Das Buch ist das Resultat einer 30 Jahre umfassenden intensiven Zusammenarbeit. Es ist ein Buch über den zeitgenössischen Tanz, über die Möglichkeiten, über die Verbrechen von Sklaverei und Kolonialismus auf der Ebene eines künstlerischen Dialogs zu reflektieren und für die Utopie eines Humanismus mit der bedingungslosen Vision gegenseitigen Lernens einzutreten. 

Welche Beziehung haben Sie zum zeitgenössischen Tanz?

Ich habe 2019 ein Buch herausgegeben mit dem Titel "Das Jahrhundert des Tanzes" mit den Texten von einhundert Persönlichkeiten des modernen und zeitgenössischen Tanzes im 20. Jahrhundert. Für mich ist das eine einzigartige Geschichte der Emanzipation, der Befreiung und der Forschung mit dem Körper und in der Bewegung als Antwort auf eine westliche Kultur, die den Körper als Wissensraum marginalisiert hat. Das war auch der Impuls für die Gründung der Zeitschrift tanz aktuell 1986, eine Zeitschrift, die heute tanz heißt. 
 

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Koffi Kôkô / Foto: Arnaldo J.G. Torres


Das Buch ist auch ins Italienische übersetzt worden. Wann ist das Original in deutscher Sprache erschienen?

Die italienische Übersetzung wurde initiiert von der Architektin Barbara Borgini, die mit Koffi Kôkô zusammen die Initiative Atout African in Benin entwickelt hat, eine NGO, die sich für Bildung und Infrastruktur in Benin einsetzt. Barbara Borgini hat auch den Kontakt zu Fontana Editore und zur Übersetzerin Maria Cristina Mondin hergestellt. Das Original im Alexander Verlag in Berlin ist 2018 erschienen. 

Koffi Kôko ist auch Ehrenvorsitzender des Vereins Atout African Arch.it, kennen Sie die Projekte des Vereins und die langjährige Freundschaft von Koffi Kôkô mit dem Verein, dessen Vorsitzende die Architektin Barbara Borgini ist?

Wie schon gesagt: Barbara Borgini hat sehr wichtige Projekte, vor allem den Bau oder die Restaurierung von Schulen vorangetrieben. Es ist eine Initiative, die einen vorbildlichen kooperativen Weg sucht, eine extrem innovative und zukunftsorientierte Form internationaler Zusammenarbeit. 

Können Sie etwas über das soziale Engagement von Koffi Kôkô in Benin erzählen und über seine Beziehung zur afrikanischer Heimat?

Koffi Kôkô nimmt bis heute eine Position ein, die die Werte und das Wissen seiner Kultur vertritt und für die Gegenwart lebendig hält. Auf diese Traditionen gab und gibt es einen massiven Druck aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Erst in den letzten Jahren ist durch die Denkansätze von Felwine Sarr oder Achille Mbembe auch in der Philosophie ein Weg beschrieben worden, der die traditionellen Kulturen nicht als Vergangenheit, sondern als das eigentliche Potential für die Zukunft erkannt hat. Und das nicht allein für Afrika, sondern für das Überleben der Menschheit. 
 

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Koffi Kôkô / Foto: Arnaldo J.G. Torres​​​​​​​