Erinnern an Anita Pichler
Es war ein kurzes Leben, jenes der 1948 in Schenna bei Meran geborenen Anita Pichler. Mit nur 49 Jahren starb die Schriftstellerin und Lektorin 1997 an Krebs, das letzte Jahr verbrachte sie in Bozen, im Kreis von Freunden und Freundinnen. Zwei davon, Renate Mumelter und Sabine Gruber wurden von Anita Pichler zu Nachlassverwalterinnen ihres Werkes bestimmt. Ein Werk, das schmal blieb, aber dicht, und weit über Südtiroler hinaus wahrgenommen wurde. »Im konkreten Erzählen, im knappen Skizzieren der Personen, im Andeuten von Situationen gelingen Anita Pichler suggestive Bilder, eigensinnige Passagen … Anita Pichler hat allerhand gewagt in ihrem ersten Buch«, schrieb etwa "Die Zeit" über den Suhrkamp-Erstling der Südtirolerin, "Die Zaunreiterin" (aus dem Porträt von Renate Mumelter auf fem.bio)
Sie reitet auf dem Zaun, sitzt auf der Grenze zwischen Eingefriedetem und Offenem, auf der Schwelle vom Heimischen zum Unheimlichen; sie ist eine Grenzgängerin, weiß nicht, wo sie sich „wirklich“ befindet. Anita Pichler erzählt die Geschichte einer Frau, die nach außen hin „funktioniert“: Sie schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, verteilt Fragebögen und erhält absurde Antworten. (aus Haga Zussa, Die Zaunreiterin)
Mit diesem Buch wurde Anita Pichler auf einen Schlag bekannt, sie hatte damit am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen und galt als aufregende und interessante neue Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur. Fortan wurde dies ihr Ansatz im Schreiben, ein lyrisches Erzählen mit Motiven aus Mythologien oder Sagen, dargestellt an Figuren der Gegenwart, oft und gerne Frauen. "Die Zaunreiterin" wurde 2004 als "Haga Zussa" im Folio-Verlag neu aufgelegt.
Nun stellen Sabine Gruber und Renate Mumelter eine weitere Neuauflage vor: "Wie die Monate das Jahr" ist eine dreigeteilte Erzählung aus dem Jahr 1989, "eine schillernde, mehrschichtige Szenenfolge aus kleinen Prosasegmenten. Hier bildet sich Gegenwart in der Vergangenheit ab, Myriam verwebt die Begebenheiten aus ihrem Alltag mit den Geschichten um Oswald von Wolkenstein und den ladinischen Legenden." In der Folio-Neuausgabe ist ein Aufsatz der Literaturwissenschaftlerin Chrstine Riccabona nachzulesen und der Künstler Markus Vallazza, der mit Anita Pichler befreundet war, hat zwei Radieurungen beigesteuert.
Warum die in Wien lebende Schriftstellerin Sabine Gruber und die Boznerin Renate Mumelter Anita Pichlers Werk und Andenken an ihr Leben so hochhalten, hat sie Kunigunde Weissenegger in einem Interview auf franzmagazine gefragt. "Damit ihr Werk nicht verschwindet", ist die einfache Antwort, hinter der mehr Engagement steckt als man meinen könnte.
"Wir veranstalten immer wieder Lesungen, sorgen dafür, daß Anita Pichlers Texte in der einen oder anderen Anthologie vertreten sind, daß ihre Biobibliographie in Nachschlagewerken und online abrufbar ist. Wir machen für Anita Pichler und ihr Werk Werbung auf Facebook und setzen uns dafür ein, daß die testamentarische Verfügung, ihre Wohnung in Venedig betreffend, eingehalten wird. Sie wünschte sich, daß diese nach ihrem Tod Schriftstellern und Schriftstellerinnen zur Verfügung steht.
Seit Anita Pichlers Tod sind 17 Jahre vergangen, wir haben uns nie spekulativ oder in Form von Gerüchten über ihr Privatleben geäußert, was in Anitas Sinne ist. Sie wollte der Öffentlichkeit nie mehr preisgeben als ihre Texte. Genau das haben wir uns auch zum Ziel gesetzt. Im Übrigen fließen – auch das sei einmal öffentlich gesagt – alle Tantiemen und Einnahmen aus ihrem Werk auf ein Konto. Das Geld, das hereinkommt, wird für Werkausgaben und Veranstaltungen ausgegeben. Unsere Arbeit ist ehrenamtlich."
Das Buch "Wie die Monate das Jahr" wird als Neuausgabe des Folio-Verlags am Montag, 22. September um 18 Uhr von Sabine Gruber, Renate Mumelter, Christine Riccabona vorgestellt.